Vier For­men des Antisemitismus

Richard C. Schnei­der im Gespräch über die Dokuse­rie „Die Sache mit den Juden“

Über zehn Jahre lei­tete Richard C. Schnei­der das ARD-Fern­seh­stu­dio in Tel Aviv. Nun hat er die Dokuse­rie „Die Sache mit den Juden“ ver­öf­fent­licht. Dabei skiz­ziert er in vier Tei­len à 20 Minu­ten vier ver­schie­dene Aus­prä­gun­gen anti­jü­di­scher Res­sen­ti­ments und erklärt gewollte und unge­wollte anti­se­mi­ti­sche Mecha­nis­men. Im Gespräch mit The­resa Brüh­eim gibt er einen Ein­blick in Idee und Hin­ter­gründe der Dokuserie.

The­resa Brüh­eim: In Ihrer Doku­serie „Die Sache mit den Juden“, die aktu­ell in der ARD-Media­thek ver­füg­bar ist, erklä­ren Sie gemein­sam mit Exper­ten, Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Betrof­fe­nen Hin­ter­gründe und Phä­no­men­be­rei­che von Anti­se­mi­tis­mus. Wie kam es zur Dokuserie?
Richard C. Schnei­der: Die Idee ist nach dem Anschlag von Halle ent­stan­den. Es war ursprüng­lich aber anders gedacht: Ich wollte zuerst eine vier­tei­lige Doku­men­ta­ti­ons­reihe à 45 Minu­ten für das lineare Fern­se­hen über Anti­se­mi­tis­mus in Europa machen. Jede Folge sollte ein Land beinhal­ten: Frank­reich, Groß­bri­tan­nien, Ungarn und Deutsch­land. Anhand des jewei­li­gen Lan­des hätte ich eine bestimmte Form von Anti­se­mi­tis­mus behan­delt, z. B. Anti­se­mi­tis­mus unter Mus­li­men in Frank­reich. Gleich­zei­tig wollte ich ange­sichts des wach­sen­den Anti­se­mi­tis­mus in Europa die über­ge­ord­nete Frage stel­len: Was ist los mit dem Libe­ra­lis­mus in der euro­päi­schen Demokratie?

Dann kam Corona. Wir muss­ten uns auf eine neue Form und ein neues Kon­zept ein­las­sen, denn Rei­sen waren ja nicht mög­lich. Ich habe dann ver­sucht, inner­halb Deutsch­lands diese vier ­Aspekte des Anti­se­mi­tis­mus zu behan­deln. Dann ist das ent­stan­den, was man heute sehen kann.

Die Doku besteht aus vier Tei­len. Diese behan­deln unter­schied­li­che Phä­no­men­be­rei­che des Anti­se­mi­tis­mus: „Von links“, „Unter Mus­li­men“, „Von rechts“ und „Im All­tag“. Was erwar­tet die Zuschaue­rin­nen und Zuschauer in den jewei­li­gen Folgen?
Für die Fern­seh­pro­duk­tion beleuch­ten wir vier grö­ßere For­men von Anti­se­mi­tis­mus: Das ist natür­lich der Anti­se­mi­tis­mus, den jeder kennt, von rechts außen. Es gibt mitt­ler­weile einen auch in der Öffent­lich­keit bekann­te­ren mus­li­mi­schen Anti­se­mi­tis­mus. Und es gibt, was viele nicht wis­sen oder nicht wis­sen wol­len, einen lin­ken Anti­se­mi­tis­mus. Dazu kommt der soge­nannte Anti­se­mi­tis­mus in der Mitte der Gesell­schaft, der rein von der Dar­stel­lung her sehr schwie­rig ist, denn die­ser Anti­se­mi­tis­mus spie­gelt sich nicht groß in Situa­tio­nen wider, son­dern oft sind es nur Sätze oder kleine Geschich­ten. Wir haben uns dafür Ele­mente des all­täg­li­chen Anti­se­mi­tis­mus raus­ge­sucht. Bei­spiels­weise beschäf­tigt diese Folge sich auch mit Anti­se­mi­tis­mus in der Unter­hal­tungs­bran­che und im Inter­net – das sind auch all­täg­li­che Vorkommnisse.

Unter wel­ches Ziel haben Sie die Dokuse­rie gestellt?
Im bes­ten Sinne ver­sucht man, ein Stück auf­klä­re­ri­sche Arbeit zu leis­ten. Inwie­fern das funk­tio­niert und ankommt, da darf man so seine Zwei­fel haben. Gerade bei umstrit­te­nen The­men, die den Leu­ten nicht ange­nehm sind, schauen sich meis­tens die­je­ni­gen diese Filme an, die eh schon bes­ten Wil­lens sind.

Wel­che Reak­tio­nen haben Sie bis­her erhalten?
Es gab viele Reak­tio­nen vor allem zum soge­nann­ten lin­ken Anti­se­mi­tis­mus. Viele wuss­ten nicht, wie der sich mani­fes­tiert. Es gab natür­lich auch etli­che Linke, die wahn­sin­nig wütend reagier­ten und mich beschimpf­ten. Es gibt einen sehr bekann­ten deut­schen Intel­lek­tu­el­len, der sich durch die­sen Film ange­spro­chen fühlte – wenn­gleich nicht nament­lich, aber inhalt­lich – und dann in einem Arti­kel in einer deut­schen Zei­tung den gan­zen Film als eine Ver­ir­rung bezeichnete.

Bei den ande­ren Fol­gen war man­ches bekannt, aber vie­len waren die Struk­tu­ren und die Funk­ti­ons­wei­sen nicht klar. Natür­lich sind die Reak­tio­nen, die wir erhal­ten haben, nicht reprä­sen­ta­tiv, aber sie waren doch mut­ma­chend. Es war schön, zu sehen, dass es Leute gibt, die aus der Doku­men­ta­tion einen Erkennt­nis­ge­winn gezo­gen haben.

Es ist natür­lich auch völ­lig in Ord­nung, eine fach­li­che Kri­tik zu erhal­ten. Leute haben auch die Dinge anders bewer­tet bzw. ein­ge­ord­net. Solange es nicht wüste anti­se­mi­ti­sche Beschimp­fun­gen sind … aber die habe ich natür­lich auch bekom­men, ist ja klar.

Der Unter­ti­tel der Dokuse­rie lau­tet: „Gewollt oder Unge­wollt: Über Mecha­nis­men eines Vor­ur­teils“. Wel­che Vor­ur­teils­me­cha­nis­men wur­den Ihnen beim Dreh noch­mal beson­ders deutlich?
Kurz zu die­sem etwas sper­ri­gen Unter­ti­tel: Anti­se­mi­tis­mus ist im Grunde genom­men kein Vor­ur­teil, Anti­se­mi­tis­mus ist eine Welt­an­schau­ung. Es gab einige Wis­sen­schaft­ler, die auch in die­sem Film zu Wort kom­men, die mir den Vor­wurf gemacht haben, dass ich im Unter­ti­tel den Begriff „Vor­ur­teil“ nutze. Ich habe ihn aber nach Rück­spra­che mit Juris­ten und Kol­le­gen trotz­dem ver­wen­det. Denn wir ver­su­chen gewollte und eben auch unge­wollte For­men des Anti­se­mi­tis­mus dar­zu­stel­len. Es gibt viele Leute, die sind eigent­lich guten Wil­lens und mer­ken gar nicht, dass das, was sie tun, anti­se­mi­tisch ist. Darum habe ich das etwas neu­tra­lere Wort „Vor­ur­teil“ gewählt und darum eben auch „gewollt und ungewollt“.

Was die Mecha­nis­men betrifft, war für mich nichts davon neu – abso­lut nichts. Neu waren für mich die eben­falls neuen Gefäße, in die die­ses uralte Ding Anti­se­mi­tis­mus hin­ein­ge­schüt­tet wird: Am Schluss sind es bei der gan­zen QAnon- und Coro­na­leug­ner-Num­mer nur „die guten alten“ Welt­ver­schwö­rungs­theo­rien. Die sind ja nicht neu, nur ihre Dar­stel­lung ist es.

Seit vie­len Jah­ren lebe ich in Israel und auch, wenn ich nor­ma­ler­weise stän­dig in Deutsch­land bin, ging das anfangs wäh­rend der Pan­de­mie nicht so ein­fach und ich habe diese ganze Coro­na­leug­nungs­ge­schichte pri­mär aus den Medien mit­be­kom­men. Hier in Israel gibt es diese Aus­ein­an­der­set­zun­gen nicht und die Impf­be­reit­schaft war auch sehr, sehr viel höher als in Deutsch­land. Als ich dann gese­hen habe, dass sich wirk­lich von Yoga­leh­rern bis zu Reichs­bür­gern alle gegen die Coro­na­maß­nah­men ver­sam­meln, war es inter­es­sant zu sehen, wie das neu tickt. Ebenso die Vor­ge­hens­weise der Initia­tive GG 5.3 Welt­of­fen­heit – ich unter­stelle den Leu­ten nicht, dass sie im Ein­zel­nen anti­se­mi­tisch sind, doch im Gesam­ten ist die Initia­tive pro­ble­ma­tisch. Im Inter­view für die Doku arbei­tet der Jurist und Jour­na­list Ronen Steinke sehr klar her­aus, dass auch da wie­der ein ganz klas­si­sches anti­se­mi­ti­sches Nar­ra­tiv her­vor­ge­zau­bert wird: Es gibt diese eine kleine Gruppe, die ist so mäch­tig, dass man auf­pas­sen muss, sonst kriegt man Pro­bleme. Da sind wir ganz schnell wie­der bei der jüdi­schen Welt­ver­schwö­rung und den Pro­to­kol­len der Wei­sen von Zion. Und das ist gar nicht die Inten­tion die­ser Leute. Das ist mir völ­lig klar. Aber es pas­siert trotzdem.

In dem grö­ße­ren Zusam­men­hang der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung in Deutsch­land macht das auch deut­lich, dass ganz vie­les über­haupt nicht auf­ge­ar­bei­tet wurde, dass die­ses „Nie wie­der“ über­haupt nicht durch­dacht war, son­dern sich immer nur auf die Ver­gan­gen­heit bezog, aber nie auf die Frage, was heißt das denn wirk­lich in der Kon­se­quenz für die Zukunft – und zwar nicht nur, was das jüdi­sche Thema anbe­langt, son­dern auch für die Ver­tei­di­gung von Frei­heit, für die Ver­tei­di­gung von Demo­kra­tie. Inso­fern sehe ich da auch Anti­se­mi­tis­mus – übri­gens wie immer in der Geschichte: Wir Juden sind immer ein biss­chen die Kana­ri­en­vö­gel unter Tage. Wenn es gegen uns geht, dann geht es am Schluss immer gegen alle. Anti­se­mi­tis­mus ist immer ein lei­der sehr gut funk­tio­nie­ren­des Vor­zei­chen dafür, dass in einer Gesell­schaft plötz­lich etwas nicht mehr stimmt. Und dann sind die Juden natür­lich immer die Aller­ers­ten, auf die man ein­hackt, aber es bleibt nicht dabei. Das geht viel tie­fer und viel weiter.

Vie­len Dank.

Die­ses Inter­view ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2022.

Von |2023-03-02T15:11:56+01:00Juni 3rd, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

Vier For­men des Antisemitismus

Richard C. Schnei­der im Gespräch über die Dokuse­rie „Die Sache mit den Juden“

Richard C. Schneider ist Editor-at-Large beim BR/ARD, Journalist und Dokumentarfilmer. Als freier Autor berichtet er für den „Spiegel“ aus Israel. Seine Dokuserie „Die Sache mit den Juden“ ist in der ARD-Mediathek abrufbar. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.