Kon­sti­tu­ti­ves Element

Anti­se­mi­tis­mus im Rechtsextremismus

Anti­se­mi­tis­mus gehört zu den kon­sti­tu­ti­ven Ele­men­ten des Rechts­extre­mis­mus. Dies gilt sowohl für das rechts­extre­mis­ti­sche Par­tei­en­spek­trum als auch rechts­extre­mis­ti­sche Bewe­gun­gen. Der Anti­se­mi­tis­mus ist das eini­gende Band der unter­schied­li­chen Aus­prä­gun­gen des Rechts­extre­mis­mus. Er gehört zu den zen­tra­len gemein­sa­men ideo­lo­gi­schen Grund­sät­zen. Zum rechts­extre­men Anti­se­mi­tis­mus zählt neben Juden­feind­schaft auch der Geschichts­re­vi­sio­nis­mus, d. h. die Leug­nung bzw. Rela­ti­vie­rung des Holocaust.

Wer­den anti­se­mi­ti­sche Straf- und Gewalt­ta­ten in den Blick genom­men, wird offen­kun­dig, dass der größte Teil von rechts stammt. Das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz weist in sei­nem im April 2022 erschie­ne­nen „Lage­bild Anti­se­mi­tis­mus 2020/21“ für das Jahr 2020 2.351 anti­se­mi­ti­sche Straf- und Gewalt­ta­ten aus, dar­un­ter 50 Gewalt­ta­ten. Im Jahr 2017 waren es noch 1.504 Straf- und Gewalt­ta­ten, davon 29 Gewalt­ta­ten. In Pro­zent­zah­len aus­ge­drückt wur­den im Jahr 2020 95 Pro­zent der anti­se­mi­ti­schen Straf- und Gewalt­ta­ten von rechts began­gen, von den ver­blei­ben­den fünf Pro­zent ent­fal­len zwei Pro­zent auf aus­län­di­sche Ideo­lo­gien, wei­tere zwei Pro­zent sind nicht zuzu­ord­nen, ein Pro­zent wer­den aus reli­giö­ser Ideo­lo­gie began­gen, anti­se­mi­ti­sche Straf- und Gewalt­ta­ten von links haben einen Anteil von unter einem Pro­zent. Bei der Bekämp­fung des poli­tisch moti­vier­ten Anti­se­mi­tis­mus muss es daher darum gehen, ins­be­son­dere das rechte Spek­trum in den Blick zu nehmen.

Rechts­extreme Parteien

Von den rechts­extre­men Par­teien ist zuerst die 1964 gegrün­dete NPD zu nen­nen. Sie ver­fügt über ein fes­tes anti­se­mi­ti­sches Grund­ge­rüst, hetzt gegen Juden und Aus­län­der und ver­brei­tet gän­gige Ver­schwö­rungs­theo­rien. Die Par­tei ist offen isra­el­feind­lich. Nach­dem die Ter­ror­se­rie des NSU (Natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Unter­grund) 2011 auf­ge­deckt wurde, wurde im Jahr 2012 ein Ver­bots­ver­fah­ren der NPD beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ange­strengt. Die­ses Ver­bots­ver­fah­ren schei­terte schließ­lich 2017. Zwar wurde die Ver­fas­sungs­feind­lich­keit der NPD vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt bestä­tigt, ihr aber zugleich beschei­nigt, dass sie im poli­ti­schen Gesche­hen bedeu­tungs­los und daher ein Ver­bot nicht zu recht­fer­ti­gen sei.

Seit dem Ver­bots­ver­fah­ren camou­fliert die NPD ihre anti­se­mi­ti­sche Hal­tung teil­weise, um erneu­ten Ver­bots­ver­fah­ren zu ent­ge­hen. So wird nicht offen gegen Juden gehetzt oder der Begriff jüdisch genutzt, son­dern es wer­den Chif­fren wie „Ost­küste“ genutzt, um jüdi­sche Ban­kiers an der Wall Street zu bezeich­nen. Isra­el­kri­tik der NPD ver­steigt sich darin zu behaup­ten, dass Israel ein kri­mi­nel­ler Staat sei, der Ter­ror gegen­über der paläs­ti­nen­si­schen Bevöl­ke­rung verübe.

Die Par­tei DIE RECHTE, die der Neo­nazi-Szene zuzu­rech­nen ist, unter­schei­det sich mit Blick auf das anti­se­mi­ti­sche Grund­ver­ständ­nis wenig von der NPD. Sie pro­pa­giert, wie das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz im oben genann­ten Bericht schreibt, unter den rech­ten Par­teien den Anti­se­mi­tis­mus am offen­sivs­ten. Dazu gehö­ren unter ande­rem Wahl­pla­kate mit Auf­schrif­ten „Wer Deutsch­land liebt, ist Anti­se­mit!“ usw. Die Par­tei nimmt natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Paro­len auf, so z. B. „die Ima­gi­na­tion ›des Juden‹ als Herr­scher über das Finanz­ka­pi­tal und damit als Sün­den­bock für ver­meint­lich nega­tive öko­no­mi­sche Pro­zesse“, so der oben genannte Verfassungsschutzbericht.

Auch die Par­tei Der III. Weg ist in der Neo­nazi-Szene zu ver­or­ten. Ihr Anti­se­mi­tis­mus ist teils ver­deck­ter und kon­zen­triert sich vor allem auf Isra­el­feind­schaft. Dabei wer­den teil­weise isra­el­feind­li­che und paläs­ti­nen­si­sche Sym­bole und Motive mit­ein­an­der ver­bun­den. Ein wich­ti­ges poli­ti­sches Hand­lungs­feld ist der Auf­ruf zum Boy­kott israe­li­scher Pro­dukte. Wei­ter wen­det sich die Par­tei gegen den Schutz jüdi­scher Ein­rich­tun­gen und ver­un­glimpft die­sen lei­der erfor­der­li­chen Schutz als Kos­ten­fak­tor für den Staat.

So uner­träg­lich diese rechts­extre­men Par­teien sind, so sind sie glück­li­cher­weise aktu­ell in den Land­ta­gen und im Deut­schen Bun­des­tag der­zeit nicht ver­tre­ten. Nicht von der Hand zu wei­sen, ist aller­dings, dass Begriffe aus dem anti­se­mi­ti­schen Kon­text die­ser Par­teien teil­weise Ein­gang in die AfD gefun­den haben, wenn z. B. von „Schuld­kult“ im Zusam­men­hang mit der Shoah die Rede ist. Nicht umsonst ste­hen einige Lan­des­ver­bände der AfD unter Beob­ach­tung des Verfassungsschutzes.

Rechts­extreme Musik

Neben den rechts­extre­men Par­teien besteht eine rechts­extreme Szene, die zu den uner­freu­li­chen Tei­len der Zivil­ge­sell­schaft in Deutsch­land zählt. Die­ser Rechts­extre­mis­mus ist teils gewalt­ori­en­tiert. So gehörte der Atten­tä­ter auf die Syn­agoge in Halle/Saale am 9. Okto­ber 2019 zum rechts­extre­men Spek­trum. Gewalt­ta­ten wie der erwähnte Anschlag in Halle sind aller­dings nur die Spitze des Eis­bergs anti­se­mi­ti­scher Straf- und Gewalttaten.

Eine wich­tige Rolle im Rechts­extre­mis­mus nimmt rechte Musik ein. Der Ver­fas­sungs­schutz schreibt hierzu in sei­nem oben genann­ten Bericht: „Die rechts­extre­mis­ti­sche Musik­szene ist grund­le­gend von der Ver­brei­tung von ‚fremden‘-feindlichem, ras­sis­ti­schem, anti­se­mi­ti­schem, den Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­herr­li­chen­dem und den Holo­caust leug­nen­den Gedan­ken­gut geprägt.“ Rechts­extre­mis­ti­sche Musik ist in der Szene ein Mobi­li­sie­rungs­me­dium. Um Indi­zie­run­gen oder Ver­bo­ten zu ent­ge­hen, wer­den die Ton­trä­ger, so der Ver­fas­sungs­schutz, teil­weise auf Rechts­ver­stöße im Vor­feld juris­tisch geprüft. Teil­weise wer­den sie im Aus­land her­ge­stellt oder nur in sehr begrenz­ter Stück­zahl und dann auch nur sze­nein­tern ver­trie­ben. Fer­ner wer­den sie über soziale Netz­werke, sze­ne­e­igene Foren oder Por­tale ver­trie­ben. Offe­ner Anti­se­mi­tis­mus, Auf­rufe zu Gewalt gegen Juden oder jüdi­sche Ein­rich­tun­gen gehö­ren zum Reper­toire rechts­extre­mis­ti­scher Musik.

Neben Ton­trä­gern spie­len vor allem Kon­zerte von rechts­extre­men Musik­grup­pen eine wich­tige Rolle. Hier wer­den zum Teil offen anti­se­mi­ti­sche Texte ver­brei­tet. Anti­se­mi­ti­sche Musik fin­det sich in den ver­schie­de­nen Musik­gen­res. Eine wich­tige Rolle spie­len aller­dings Rock­mu­sik sowie Rap und Hip-Hop. Eine wich­tige Rolle kommt dabei dem Gangsta-Rap zu. In der Aus­gabe Dezem­ber 2020/Januar 2021 von Poli­tik & Kul­tur haben Marc Grimm und Jakob Baier for­mu­liert, dass „anti­se­mi­ti­sche Motive in kei­nem ande­ren Genre popu­lä­rer Musik so offen in Erschei­nung tre­ten“ wie im Gangsta-Rap. Sie füh­ren wei­ter aus, dass in der Gruppe der anti­se­mi­tisch ein­ge­stell­ten Jugend­li­chen 81,4 Pro­zent gerne oder sehr gerne Gangsta-Rap hören. Die­ses Genre ist mit 48,9 Pro­zent aber auch bei Jugend­li­chen beliebt, die keine anti­se­mi­ti­sche Grund­ein­stel­lung haben. Das bedeu­tet, dass anti­se­mi­ti­sche Inhalte ins­be­son­dere über den Gangsta-Rap, aber auch durch andere Musik­stile Jugend­li­che errei­chen. Dabei ist, so Grimm und Baier, die Fähig­keit von Jugend­li­chen Anti­se­mi­tis­mus zu erken­nen bzw. zu dechif­frie­ren schwach aus­ge­bil­det. Sie emp­feh­len medi­en­päd­ago­gi­sche Präventionsmaßnahmen.

Dar­über hin­aus gilt es sicher­lich auch, inner­halb des Musik­be­rei­ches das Thema rechts­extreme bzw. anti­se­mi­ti­sche Musik inten­si­ver zu dis­ku­tie­ren und sich mit die­sem Markt­seg­ment aus­ein­an­der­zu­set­zen. In kei­nem ande­ren künst­le­ri­schen Genre spie­len rechts­extreme bzw. anti­se­mi­ti­sche Inhalte eine so große Rolle bzw. haben eine so große Ver­brei­tung wie in der Musik. So haben bei­spiels­weise im Gegen­satz zu Musik Druckerzeug­nisse, also Zei­tun­gen, Zeit­schrif­ten und Bücher, im Buch- und Zeit­schrif­ten­markt eine unter­ge­ord­nete Bedeutung.

Fazit

Auch wenn rechts­extreme Par­teien im Gegen­satz zu rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­teien wie z. B. der AfD bei Wah­len in Deutsch­land keine nen­nens­wer­ten Erfolge erzie­len, darf die Bedro­hung durch Rechts­extre­mis­mus nicht unter­schätzt wer­den. Offe­ner und auch chif­frier­ter Anti­se­mi­tis­mus gehö­ren wesent­lich zur rechts­extre­mis­ti­schen Ideo­lo­gie. Diese Ideo­lo­gie wird auch über Musik ver­brei­tet und fin­det damit Zugang ins­be­son­dere zu Kin­dern und Jugend­li­chen. Hier ist die Bran­che gefragt, um ähn­lich Fil­men oder Com­pu­ter­spie­len über Modelle der Selbst­re­gu­lie­rung nach­zu­den­ken, damit mög­li­cher­weise schon vor der Indi­zie­rung als jugend­ge­fähr­dende Musik Maß­nah­men ein­ge­führt wer­den kön­nen, um die­sen Markt auszutrocknen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2022.

Von |2022-08-05T09:56:30+02:00Juni 3rd, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.