Ein­heit­li­che Erfas­sung anti­se­mi­ti­scher Vor­fälle in ganz Deutschland

Vier Fra­gen an Ben­ja­min Stei­nitz vom Bun­des­ver­band RIAS

Am 31. Okto­ber 2018 wurde in Ber­lin der Bun­des­ver­band der Recher­che- und Infor­ma­ti­ons­stel­len Anti­se­mi­tis­mus gegrün­det. Für Poli­tik & Kul­tur beant­wor­tet Geschäfts­füh­rer Ben­ja­min Stei­nitz einige Fra­gen zur Arbeit des Bundesverbandes.

Was tut der Bun­des­ver­band der Recher­che- und Infor­ma­ti­ons­stel­len Anti­se­mi­tis­mus genau? Und wel­che Ziele ver­folgt er damit?
Der Bun­des­ver­band RIAS ist der Dach­ver­band zivil­ge­sell­schaft­li­cher Mel­de­stel­len für Anti­se­mi­tis­mus in Deutsch­land. Wir qua­li­fi­zie­ren regio­nale Mel­de­stel­len und unter­stüt­zen sie so, anti­se­mi­ti­sche Vor­fälle auch unter­halb der Straf­bar­keits­grenze nach kla­ren Stan­dards und aus Per­spek­tive von Betrof­fe­nen zu doku­men­tie­ren. Das Ziel des Bun­des­ver­ban­des ist, eine ein­heit­li­che Erfas­sung anti­se­mi­ti­scher Vor­fälle in ganz Deutsch­land zu eta­blie­ren. So soll mehr Licht ins Dun­kel anti­se­mi­ti­scher Hand­lun­gen gebracht wer­den. Für Jüdin­nen und Juden ist Anti­se­mi­tis­mus Teil einer all­tags­prä­gen­den Erfah­rung. Die nicht­jü­di­sche Mehr­heits­ge­sell­schaft kann das häu­fig nicht nach­voll­zie­hen, wir spre­chen hier von einer Wahr­neh­mungs­dis­kre­panz. Die Sicht­bar­ma­chung kon­kre­ter Vor­fälle soll die­ser Dis­kre­panz entgegenwirken.

Wie hel­fen Sie bei anti­se­mi­ti­schen Vor­fäl­len? Was ist in sol­chen Situa­tio­nen zu tun?
Betrof­fene und Zeu­gin­nen und Zeu­gen anti­se­mi­ti­scher Vor­fälle kön­nen diese unkom­pli­ziert und auf Wunsch auch anonym bei­spiels­weise auf der Web­seite report-antisemitism.de mel­den. Wir hören den Betrof­fe­nen zu und stel­len ihre Erfah­run­gen nicht infrage. Nach einer Veri­fi­zie­rung im Aus­tausch mit den Mel­den­den ord­nen die RIAS-Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter den Vor­fall fach­lich ein. Bei Bedarf ver­mit­teln sie pas­sende Bera­tungs­an­ge­bote oder ver­öf­fent­li­chen ein­zelne Vor­fälle. Und schließ­lich fließt jede veri­fi­zierte Mel­dung in eine Sta­tis­tik ein: So hilft sie, ein genaue­res Bild von Anti­se­mi­tis­mus in Deutsch­land zu ver­mit­teln. Medien und Poli­tik grei­fen unsere Berichte und Ana­ly­sen immer wie­der auf.

Es gibt den Bun­des­ver­band der Recher­che- und Infor­ma­ti­ons­stel­len Anti­se­mi­tis­mus seit 2018. Wie haben sich seit­dem die Anzahl gemel­de­ter anti­se­mi­ti­scher Vor­fälle entwickelt?
Ins­ge­samt bekom­men wir als Bun­des­ver­band und durch die Arbeit von mehr und mehr Mel­de­stel­len in den Bun­des­län­dern natür­lich mehr mit. Das liegt aber auch daran, dass das Ange­bot von RIAS bekann­ter wird und bei vie­len die Hemm­schwelle, anti­se­mi­ti­sche Erleb­nisse auch zu mel­den, sinkt. In Bezug auf die anti­se­mi­ti­schen Vor­fälle gibt es keine ein­heit­li­che Ent­wick­lung seit 2018. Wir gehen auf Basis der doku­men­tier­ten Sach­ver­halte davon aus, dass anti­se­mi­ti­sche Hand­lun­gen nicht ein­fach Jahr für Jahr zuneh­men. Die RIAS-Mel­de­stel­len beob­ach­ten statt­des­sen, dass es gewisse Anlässe gibt, die Men­schen moti­vie­ren, ihre anti­se­mi­ti­schen Ein­stel­lun­gen auch offen zu äußern und ent­spre­chend zu han­deln. Zuletzt waren das die Coro­na­pan­de­mie, aber auch Eska­la­tio­nen im israe­lisch-ara­bi­schen Kon­flikt. Lei­der beob­ach­ten wir auch, dass beson­ders gewalt­för­mige For­men von Anti­se­mi­tis­mus zuneh­men. Der rechts­extreme Ter­ror­an­schlag an Jom Kip­pur 2019 in Halle ist hier­für das dras­tischste Bei­spiel. Und auch wenn der Bun­des­ver­band RIAS beob­ach­tet hat, dass das Spek­trum des isra­el­feind­li­chen Akti­vis­mus an Bedeu­tung gewann, kom­men die meis­ten zuor­den­bare Fälle doch aus rechts­extrem-rechts­po­pu­lis­ti­schen Milieus.

Was for­dern Sie dies­be­züg­lich von der Politik?
Die Poli­tik muss Poli­zei und Jus­tiz in die Lage ver­set­zen, Anti­se­mi­tis­mus zu erken­nen und anti­se­mi­ti­sche Straf­ta­ten zu ver­fol­gen. Der Schutz von jüdi­schen Ein­rich­tun­gen, die Unter­stüt­zung von Betrof­fe­nen anti­se­mi­ti­scher Gewalt muss wei­ter ver­bes­sert wer­den. Aber es hilft nicht, nur auf die Poli­tik zu schauen. Auch die Zivil­ge­sell­schaft ist gefor­dert: Anti­se­mi­tis­mus ist in Deutsch­land zu oft ledig­lich der Anti­se­mi­tis­mus der ande­ren. Die Arbeit von RIAS zeigt aber: Anti­se­mi­tis­mus ist ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches Pro­blem. Gerade bei Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen haben wir zuletzt beob­ach­tet, wie schwer sich diese häu­fig tun, sich klar von anti­se­mi­ti­schen Posi­tio­nen gegen­über Israel zu distan­zie­ren. Das ist aber drin­gend not­wen­dig, auch um Jüdin­nen und Juden den Zugang zu die­sen Insti­tu­tio­nen und ihren Ange­bo­ten zu ermög­li­chen. Es muss klar sein: Anti­se­mi­tis­mus ist keine legi­time Mei­nung. In all sei­nen For­men dient er der Legi­ti­ma­tion von Gewalt und ist eine Bedro­hung für Jüdin­nen und Juden.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2022.

Von |2022-08-05T09:48:08+02:00Juni 3rd, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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