„Alle Lager müs­sen mit­ein­an­der reden“

Felix Klein im Gespräch

Seit Mai 2018 ist Felix Klein Beauf­trag­ter der Bun­des­re­gie­rung für jüdi­sches Leben in Deutsch­land und den Kampf gegen Anti­se­mi­tis­mus. Mit Lud­wig Gre­ven spricht er über die Debatte um die dies­jäh­rige Docu­menta, BDS und vie­les mehr.

Lud­wig Gre­ven: Was hal­ten Sie als Anti­se­mi­tis­mus-Beauf­trag­ter von „Anti-Anti­se­mi­tis­mus“?
Felix Klein: Wir wol­len Anti­se­mi­tis­mus in jeder Form bekämp­fen, auch den israel­be­zo­ge­nen. Des­halb finde ich die­sen Begriff gut, der sich vor allem im Kul­tur­be­reich eta­bliert hat. Er muss aber noch deut­li­cher aus­ge­füllt werden.

Das indo­ne­si­sche Ver­an­stal­ter-­Kol­lek­tiv ruan­grupa wollte über ihn auf der dies­jäh­ri­gen Docu­menta „im post­ko­lo­nia­len Kon­text“ dis­ku­tie­ren, nach­dem dem Kol­lek­tiv selbst Juden­feind­lich­keit vor­ge­wor­fen wurde. Aller­dings ohne die Ver­tre­tung der Opfer, dem Zen­tral­rat der Juden in Deutsch­land. Nun haben sie die Dis­kus­sion abge­sagt. Aus Angst vor Kri­tik an ihnen selbst?
Die Dis­kus­sion ist drin­gend not­wen­dig. Das zeigt ja auch wie­der die Debatte, die sich an der Absage ent­spon­nen hat. Alle Lager müs­sen mit­ein­an­der reden. Es war ein gro­ßer Feh­ler, den Zen­tral­rat der Juden nicht ein­zu­bin­den, obwohl er dazu bereit war und es Kon­takte gab. Dass plötz­lich auch über „anti-paläs­ti­nen­si­schen Ras­sis­mus“ gespro­chen wer­den sollte, war min­des­tens selt­sam. Ich kannte den Begriff bis dahin gar nicht. Es sollte doch in ers­ter Linie um Anti­se­mi­tis­mus gehen. Des­halb ist die Absage nur kon­se­quent. Ich bin wie Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Clau­dia Roth der Ansicht, dass nun Ver­trauen wie­der­her­ge­stellt wer­den muss. Wich­tig wäre aus mei­ner Sicht, auch jüdi­sche Künst­le­rin­nen oder Künst­ler aus Israel zur Docu­menta ein­zu­la­den. Das ist bis­lang nicht vorgesehen.

Fällt das nicht in die künst­le­ri­sche Frei­heit der Veranstalter?
Ja sicher, aber die Aus­sage der Kura­to­ren, dass sie nicht auf die natio­nale Her­kunft schauen, halte ich für unbe­frie­di­gend. Dass Kunst auch poli­tisch sein kann und es hier auch sein sollte, im Sinne von ruan­grupas eige­nem Anspruch, das zei­gen ja gerade die auf­ge­heiz­ten Vorgänge.

Bestä­tigt die Nicht-Ein­la­dung jüdi­scher und israe­li­scher Künst­ler den Vor­wurf an die Aus­stel­lungs­ma­cher, dass sie BDS ­nahe­ste­hen? Denn der Boy­kott gilt ja auch Künstlern.
Diese Annahme liegt zumin­dest nahe. Das Kura­to­ren­team sollte glaub­wür­dig dar­le­gen, dass es nie­man­den boykottiert.

Ein­ge­la­den wur­den statt­des­sen paläs­ti­nen­si­sche Künst­ler, die sich klar anti­se­mi­tisch äußern.
Auch da wären Erklä­run­gen der Ver­an­stal­ter not­wen­dig. Man kann ja nun wirk­lich nicht sagen, dass in Deutsch­land post­ko­lo­niale Stim­men und sol­che des glo­ba­len Südens nicht genug gehört wür­den. Das hat ja schon die breite Debatte um die Aus­füh­run­gen von Achille Mbembe gezeigt. Es gäbe immer noch die Chance, dass man post­ko­lo­nia­lis­ti­sche Posi­tio­nen mit der Auf­ar­bei­tung der deut­schen Ver­gan­gen­heit zusam­men­bringt. Diese Chance wurde im Vor­feld der Docu­menta lei­der verpasst.

Hätte Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Roth frü­her ein­grei­fen müssen?
Das hat sie. Sie ist nach Kas­sel gefah­ren und hat ver­sucht, die ver­schie­de­nen Sei­ten in einen Dia­log zu brin­gen. Dass ihre Gesprächs­an­ge­bote aus­ge­schla­gen wur­den, ist schwer verständlich.

Öffent­lich hat sie aber erst Stel­lung bezo­gen, als sich der Zen­tral­rat der Juden beschwerte. Und sie hat 2019 auch nicht die Anti-BDS-Reso­lu­tion des Bun­des­tags mitgetragen.
Weil sie das nicht getan hat, wird ihr Han­deln jetzt von vie­len jüdi­schen Orga­ni­sa­tio­nen beson­ders kri­tisch beglei­tet. Aber bei der Docu­menta war sie schon im Vor­feld aktiv, weil sie die Pro­ble­ma­tik gese­hen hat.

Ist BDS ins­ge­samt anti­se­mi­tisch? Oder nur in Tei­len, wie Clau­dia Roth damals argu­men­tiert hat und wie es auch Künst­ler und Wis­sen­schaft­ler sagen?
BDS ist ein loser Ver­bund, keine feste Orga­ni­sa­tion. Darin gibt es sehr viele Radi­kale ins­be­son­dere in der ara­bi­schen Welt, die das Exis­tenz­recht Isra­els negie­ren und auch sonst ein­deu­tig anti­se­mi­ti­sche Nar­ra­tive bedie­nen. Auch in Deutsch­land sagen etli­che, das gehöre dazu, oder sie las­sen es sich selbst zurech­nen. Des­we­gen kann man sagen, dass BDS in Bezug auf Ziele und Metho­den anti­se­mi­tisch agiert. Die große Mehr­heit der jüdi­schen Gemein­schaft – nicht nur in Deutsch­land – emp­fin­det die Boy­kott­be­we­gung als Bedro­hung. Diese Rück­mel­dung bekomme ich immer wie­der. Die­sen Befund sollte die Poli­tik ernst neh­men und ent­spre­chend han­deln. Ein Aus­druck war die Reso­lu­tion des Deut­schen Bun­des­tags. Das Par­la­ment hat ein Zei­chen der Soli­da­ri­tät mit der jüdi­schen Gemein­schaft und mit Israel gesetzt.

Man­che Künst­ler betrach­ten die BDS-Reso­lu­tion jedoch als Ein­griff in ihre künst­le­ri­sche Freiheit.
Der Beschluss hat keine unmit­tel­bare, gesetz­li­che Wir­kung. Er drückt die Hal­tung einer brei­ten Mehr­heit des Bun­des­tags und der Gesell­schaft aus. Den Boy­kott­auf­ruf an die Staats­an­ge­hö­rig­keit zu knüp­fen, nicht an ein kon­kre­tes, indi­vi­du­el­les Han­deln, und ins­be­son­dere Juden mit Israe­lis gleich­zu­set­zen, halte ich für anti­se­mi­tisch. Eine sol­che Kol­lek­tiv­haf­tung tritt die Rechte von Min­der­hei­ten mit Füßen. Künst­le­rin­nen und Künst­ler kön­nen – wie alle – selbst­ver­ständ­lich die israe­li­sche Poli­tik kri­ti­sie­ren. Aber Anti­se­mi­tis­mus, auch israel­be­zo­ge­ner, darf bei uns, im Land der Täter, kei­nen Raum haben, auch nicht in der künst­le­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung. Sobald Steu­er­gel­der ein­ge­setzt wer­den wie bei der Docu­menta, darf sich nie­mand wun­dern, wenn Ver­tre­ter des Staa­tes und große Teile der Öffent­lich­keit dann Ein­spruch ein­le­gen. Auch das ist ein nor­ma­ler Teil des Diskurses.

Wes­halb äußern viele Künst­ler pau­schale Kri­tik an Israel?
Das hängt auch damit zusam­men, dass sich die Welt­öf­fent­lich­keit und die Medien sehr auf den Nah­ost-Kon­flikt kon­zen­trie­ren, obwohl es andere Kon­flikte gibt, die oft­mals viel här­ter geführt wer­den. Davon sind Künst­ler nicht frei. An Israel wer­den Maß­stäbe ange­legt wie an keine andere Demo­kra­tie. Wo sind die Künst­ler, die sich für die Frau­en­rechte in Afgha­ni­stan ein­set­zen oder für die Men­schen­rechte in Tibet? Man­che gehen auch schlicht anti­se­mi­ti­schen Erzäh­lun­gen auf den Leim. Ein Merk­mal des israel­be­zo­ge­nen Anti­se­mi­tis­mus ist gerade, dass er den Betref­fen­den oft nicht bewusst ist. Künst­ler soll­ten sehen, dass in Israel jetzt Ver­tre­ter der ara­bi­schen Min­der­heit mit­re­gie­ren – ein Akt der Eman­zi­pa­tion von der paläs­ti­nen­si­schen Füh­rung in Ramal­lah. Auch die Annä­he­rung eini­ger ara­bi­scher Staa­ten an Israel mit ihren posi­ti­ven Aus­wir­kun­gen zeigt, dass der Weg der tota­len Blo­ckade die­ses Lan­des der fal­sche ist.

Sie sind von der neuen Bun­des­re­gie­rung in ihrem Amt bestä­tigt wor­den. Anti­se­mi­tis­mus nimmt in Deutsch­land trotz aller Bemü­hun­gen auch von ihnen in allen Schich­ten von rechts bis links zu. Sind sie manch­mal frus­triert, wie wenig sie letzt­lich bewir­ken können?
Ich könnte die­ses Amt nicht aus­üben, wenn ich nicht opti­mis­tisch wäre. Und wir haben in den letz­ten Jah­ren ja eini­ges errei­chen kön­nen: Bei mei­nem Amts­an­tritt etwa waren nur ca. 20 Pro­zent der Ansicht, dass Anti­se­mi­tis­mus ein gra­vie­ren­des Pro­blem in der deut­schen Gesell­schaft ist, heute sind es fast zwei Drit­tel. Das Bewusst­sein dafür ist sehr gewach­sen. Die jüdi­sche Gemein­schaft fühlt sich dadurch bes­ser, soli­da­ri­scher auf­ge­ho­ben. Dass wir ein All­zeit­hoch anti­se­mi­ti­scher Straf­ta­ten haben, ist auch darin begrün­det, dass das Dun­kel­feld stär­ker aus­ge­leuch­tet wird. Betrof­fene, die das vor­her gescheut haben, gehen nun zur Poli­zei, weil die Rechts­lage ver­bes­sert wurde und das Ver­trauen in die Behör­den gewach­sen ist. Das Ver­bren­nen aus­län­di­scher Fah­nen wurde unter Strafe gestellt. Und wir haben einen neuen Straf­tat­be­stand der ver­het­zen­den Belei­di­gung, der bis dahin bestehende Straf­bar­keits­lü­cken geschlos­sen hat. Das waren bei­des Anre­gun­gen von mir. Gut ist auch, dass die Jus­tiz schär­fer vor­geht, etwa gegen das Zei­gen von soge­nann­ten Juden­ster­nen mit der Auf­schrift „Unge­impft“ bei den Corona-Demons­tra­tio­nen. Holo­caust-Leug­nung und -Rela­ti­vie­rung sind schon lange ver­bo­ten, aber jetzt wird dies end­lich kon­se­quent ver­folgt. Auch in der Anti­se­mi­tis­mus­prä­ven­tion haben wir einige Erfolge zu ver­zeich­nen. Den­noch haben wir immer wie­der schreck­li­che Rück­schläge. Das Atten­tat von Halle war der schlimmste Tag in mei­ner Amts­zeit. Sol­che Ereig­nisse dür­fen aber nicht dazu füh­ren, dass wir aufgeben.

Vie­len Dank.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2022.

Von |2022-08-05T09:57:38+02:00Juni 3rd, 2022|Antisemitismus|Kommentare deaktiviert für

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Felix Klein im Gespräch

Felix Klein ist Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Ludwig Greven ist freier Publizist.