Wohnen ist das (Streit-)Thema der Stunde. Der Wohnraum in deutschen Großstädten wird immer knapper und entsprechend immer teurer. Initiativen wie Deutsche Wohnen & Co enteignen, die im vergangenen Herbst in Berlin einen Volksentscheid zum Thema angestoßen haben, wollen die Politik zu Handlungen drängen, denn Wohnen ist ein Menschenrecht. Wohin gehen die Entwicklungen? Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen Klara Geywitz gibt Politik & Kultur einen Einblick.
Wo liegen heute die Grenzen des Wachstums?
Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik hier eine gute Richtschnur an die Hand gegeben: „Wenn der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz verletzt wird.“ Diese Schutzpflicht des Staates greift auch bei Klimafolgen, in der Regel verursacht, durch das Ausreizen von Grenzen mit dem Ziel von monetärem Wachstum.
Was bedeutet begrenztes Wachstum für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen? Was heißt nachhaltiges Bauen, denn gerade dieses bindet doch sehr viel Energie?
Wohnen ist vielerorts Mangelware. Hier brauchen wir einen wachsenden Angebotsmarkt, der auch jene versorgt, die mit wenig Geld auskommen müssen. Mit dem Begriff Stadtentwicklung wird bereits grundsätzlich etwas sich Veränderndes, im besten Fall Progressives bezeichnet. Mit begrenztem Wachstum im Bauwesen durch Materialengpässe und -kostensteigerungen sowie dem Fehlen von Planenden und Bauenden müssen wir derzeit umgehen. Und zu guter Letzt, nachhaltiges Bauen – durch Holz beispielsweise – bindet in der Tat auf natürliche Weise CO2. Diese Form zu bauen, wollen wir unterstützen.
Was planen Sie, um trotz steigender Mietpreise in Großstädten wie Berlin, das Grundrecht auf Wohnen weiterhin für alle zu gewährleisten?
Wohnen ist ein Menschenrecht. Dieser Grundsatz leitet mich bei dem Ziel, den Aufwuchs auf 400.000 neue und vor allem bezahlbare Wohnungen jährlich zu schaffen. 100.000 davon sollen im öffentlich geförderten Wohnungsbau entstehen. Dafür stellt die Bundesregierung bis 2026 die Rekordsumme von 14,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Dieser Verhandlungserfolg war mir wichtig, denn die Kurve bei bezahlbaren Wohnungen soll wieder nach oben zeigen. Wir brauchen die Entlastung auf dem Wohnungsmarkt dringend.
Wie kann eine Welt jenseits kontinuierlich zunehmenden wirtschaftlichen Wachstums aussehen – und wie wohnt man dann?
Wir werden niemandem sagen, wie er zu wohnen hat. Aber was ich erreichen will, ist, dass wir über das Wohnen neu nachdenken. Braucht es wirklich einen Extra-Raum, den wir nur für 20 Minuten Sport am Tag nutzen? Ist es wirklich ideal, in einem 200-Quadratmeter-Haus wohnen zu bleiben, obwohl die Kinder ausgezogen sind und die obere Etage leer steht? Wohnen ist ein emotionales Thema und sehr individuell. Wenn wir aber recht grundsätzliche Entscheidungen darüber treffen, ob wir uns z. B. ein Auto oder ein E-Bike anschaffen oder ob wir Fleisch essen oder nicht, warum nicht dann auch darüber, wie wir wohnen?
Wie werden sich unsere Städte in Zukunft weiterentwickeln – z. B. Stichworte Autofreiheit, Mischformen: Wohnen/Arbeiten/Freizeit?
In 15 Minuten von A nach B – das wäre mein Traum. Weg von der Stadtplanung der 1970er Jahre, als riesige Autobahnschneisen ganz Orte durchschnitten haben und es heute noch tun, weil die Werkstatt im Hinterhof als zu laut galt und Gewerbe an den Rand gedrängt wurde, dafür das Auto aber mit seinen Abgasen und Lärm unsere Innenstadt dominiert. Wohnen, Arbeiten und Freizeit sollten und werden zunehmend stärker zusammengedacht. Städten kommt insbesondere beim Thema Nachhaltigkeit und Resilienz eine Vorreiter-Rolle zu, die wir im Rahmen unserer Innenstadtkonferenz im Juli und bei unserem G7-Treffen in Potsdam diskutieren werden.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2022.