Lena Gore­lik: Wer wir sind

Im Mai 1992 kommt Lena Gore­lik mit ihren Eltern, dem älte­ren Bru­der und ihrer Groß­mutter nach Deutsch­land. Um 23.55 Uhr fuhr der Zug in Sankt Peters­burg los, es geht über Ber­lin wei­ter nach Stutt­gart. Ihre Hün­din Asta musste sie beim Cou­sin zurück­las­sen – Tiere sind im Asy­lan­ten­wohn­heim nicht erlaubt, sagte man ihr, so stand es im Brief der deut­schen Behör­den. Doch das ist nicht das Ein­zige, das die 11-jäh­rige Lena in der dama­li­gen Hei­mat zurück­lässt. Sie lässt ihre gesamte sowje­ti­sche Kind­heit zurück, die Som­mer in der Dat­scha der Groß­el­tern, die Erin­ne­run­gen an den ver­stor­be­nen Opa, die Plat­ten­bau­ten mit den iden­ti­schen Spiel­plät­zen dazwi­schen. Zuhause – wo und was ist das eigent­lich? Dar­auf wusste sie, als sie damals in der Schule in Baden-Würt­tem­berg gefragt wurde, auch keine Ant­wort. Sie wusste nur eins: „Dazu­ge­hö­ren, ein Wunsch, grö­ßer als alle Geburts­tage zusammen“.

Mit teils nur frag­ment­ar­ti­gen bis hin zu glas­kla­ren Erin­ne­run­gen erzählt Lena Gore­lik in ihrem auto­bio­gra­fi­schen Roman „Wer wir sind“ auf so der­art ein­fühl­same Weise die Geschichte ihrer Fami­lie; geht auf glück­li­che Stun­den, neu­trale Beob­ach­tun­gen und schmerz­li­che Erin­ne­run­gen ein: „So ist die Erin­ne­rung manch­mal, hält sich am fes­tes­ten, was wir zu ver­ges­sen ver­su­chen, krallt sich gerade daran mit Absicht und Kraft.“

Lena Gore­lik erzählt eine Geschichte, die ihr und ihrer Fami­lie gehört, bün­delt Erin­ne­run­gen und lässt zwi­schen den Zei­len Platz für vie­les mehr. Sie schreibt mit so viel Refle­xion, Kraft und Gefühl, dass man das Buch ein­fach nicht weg­le­gen kann und die Sei­ten nach und nach verschlingt.

Kris­tin Braband

Lena Gore­lik. Wer wir sind. 4. Auf­lage. Ber­lin 2022

Von |2022-04-08T12:26:18+02:00April 4th, 2022|Rezension|Kommentare deaktiviert für Lena Gore­lik: Wer wir sind