Zugang zur Diversität

Drei Fra­gen an Hel­mut Vogel

In Deutsch­land leben etwa 80.000 Gehör­lose. Als „Gehör­los“ wer­den Per­so­nen bezeich­net, die auf­grund einer Hör­schä­di­gung wie Taub­heit oder Schwer­hö­rig­keit vor­wie­gend in Gebär­den­spra­che kom­mu­ni­zie­ren. Der Deut­sche Gehör­lo­sen-Bund ver­tritt ihre Inter­es­sen – auch in der Kul­tur. Hel­mut Vogel weiß, was für die Inklu­sion von Gehör­lo­sen noch getan wer­den muss: sehr viel.

Wie beur­tei­len Sie die Inklu­sion von gehör­lo­sen Men­schen im Kul­tur­be­reich in der Bundesrepublik?
Auch wenn es in den ver­gan­ge­nen Jah­ren Fort­schritte gege­ben hat und es immer mehr kul­tu­relle Ange­bote in Deut­scher Gebär­den­spra­che gibt, bleibt immer noch eine große, unbe­ach­tete Lücke in der Inklu­sion: gehör­lose Men­schen, die im Kul­tur­be­trieb schöp­fe­risch und orga­ni­sa­to­risch tätig sind. Wir haben in eini­gen Fäl­len zumin­dest einen pas­si­ven Zugang als Zuschau­ende, aber auf der ande­ren Seite nur einen sehr schwie­ri­gen, eigent­lich unmög­li­chen Zugang zur Kul­tur als Betä­ti­gungs­feld. Für das gehör­lose Publi­kum wäre viel getan, wenn die Bun­des­re­gie­rung end­lich die Ver­pflich­tung der Pri­vat­wirt­schaft zur Bar­rie­re­frei­heit in das Behin­der­ten­gleich­stel­lungs­ge­setz bzw. in das All­ge­meine Gleich­be­hand­lungs­ge­setz auf­neh­men würde. Die 2009 rati­fi­zierte UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion muss end­lich als gel­ten­des Recht behan­delt werden.

Was muss die Kul­tur­po­li­tik Ihres Erach­tens tun, um die Inklu­sion im Kul­tur­be­reich wei­ter voranzubringen?
Das Wich­tigste ist, ver­stärkt gehör­lose Men­schen mit ihrer Gebär­den­spra­che zu för­dern und im Kul­tur­be­reich arbei­ten zu las­sen – aber natür­lich auch, ihre eigene Kul­tur, die Gehör­lo­sen­kul­tur, zu för­dern und diese nicht zu ver­ges­sen. Das sind dann nicht nur die bil­den­den Künste, son­dern auch Thea­ter, Per­for­mance und Schau­spiel, Regie und Pro­duk­tion. Gehör­lose Men­schen haben über ihren visu­el­len Zugang zur Welt einen ganz beson­de­ren Blick auf das Leben und wie man es künst­le­risch dar­stel­len kann. Natür­lich kön­nen Gehör­lose alle Arbei­ten machen, die auch Hörende erle­di­gen – außer viel­leicht in der Ton­pro­duk­tion. Lei­der ver­sper­ren die exklu­si­ven Struk­tu­ren im Kul­tur­be­trieb und die feh­lende För­de­rung im Arbeits­le­ben vie­len Gehör­lo­sen den Weg. Der Ein­stieg erfolgt oft über ein Prak­ti­kum oder ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment – hier wer­den die Kos­ten für Dol­met­sche­rin­nen und Dol­met­scher für Deut­sche Gebär­den­spra­che und Deutsch meist nicht über­nom­men, das Glei­che gilt für Minijobs.

Hier muss die Poli­tik han­deln und einen nied­rig­schwel­li­gen Zugang zu Dol­met­sch­leis­tun­gen schaf­fen. Das gilt natür­lich nicht nur für gehör­lose Men­schen, auch für andere mar­gi­na­li­sierte oder behin­derte Grup­pen muss ein Zugang geschaf­fen werden.

Was kön­nen Kul­tur­or­ga­ni­sa­tio­nen und -insti­tu­tio­nen jetzt tun, um gehör­lose Men­schen wei­ter einzubinden?
Ganz kon­kret: Neh­men Sie gehör­lose Men­schen in Ihre Teams auf! Wenn man sich dazu ver­pflich­tet, ein diver­ses Team auf­zu­stel­len und diese Auf­gabe auch ernst nimmt – und nicht vor orga­ni­sa­to­ri­schen Bar­rie­ren zurück­scheut – dann ent­steht allein durch den Pro­zess schon ein Bewusst­sein dafür, was nötig ist, um die Men­schen einzubinden.

Ein diver­ses Team wie­derum wird auch an ein diver­ses Publi­kum den­ken und den Teil des Publi­kums, wel­cher der gesell­schaft­li­chen Norm ent­spricht, den Spie­gel vor­hal­ten und zei­gen, wie viel­fäl­tig unsere Gesell­schaft eigent­lich ist.

Denn auch die angeb­lich Nor­ma­len müs­sen einen Zugang fin­den – und zwar zur Diversität.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2021.

Von |2021-09-02T17:03:56+02:00September 2nd, 2021|lnklusion|Kommentare deaktiviert für

Zugang zur Diversität

Drei Fra­gen an Hel­mut Vogel

Helmut Vogel ist Präsident des Deutscher Gehörlosen-Bundes.