Leicht, ein­fach, verständlich

Inklu­sive Spra­che in Kul­tur und Medien

In einer inklu­si­ven Gesell­schaft müs­sen alle par­ti­zi­pie­ren und kul­tu­rell teil­ha­ben kön­nen. Eine rich­tige und wich­tige Aus­sage. Aber vie­len in unse­rem Land fällt es schwer, die­sen Satz voll­stän­dig zu ver­ste­hen. Das sind Men­schen mit Lern­schwie­rig­kei­ten, mit Demenz oder Men­schen, die nicht so gut Deutsch kön­nen. Wir haben in der Bun­des­re­pu­blik 7,5 Mil­lio­nen Men­schen, die nicht rich­tig spre­chen, lesen oder schrei­ben kön­nen. Dane­ben gehen wir davon aus, dass 13 Mil­lio­nen Men­schen in unse­rem Land Bücher, Zei­tun­gen, Gebrauchs­an­wei­sun­gen oder Behör­den­schrei­ben nur lang­sam und feh­ler­haft lesen und ver­ste­hen. Gerade zur Kul­tur gehört neben dem Erle­ben auch das Ver­ständ­nis. Hier hel­fen die Instru­mente Leichte Spra­che und Ein­fa­che Spra­che vie­len Men­schen, Kunst und Kul­tur für sich und mit ande­ren zu entdecken.

Leichte Spra­che wurde ursprüng­lich für Men­schen mit Lern­schwie­rig­kei­ten ent­wi­ckelt. Texte und Spra­che sol­len ein­fach zu ver­ste­hen sein. Nur ein­fa­che und kurze Wör­ter sowie kurze Sätze mit ein­fa­chem Satz­bau wer­den ver­wen­det, auf Fremd­wör­ter wird ver­zich­tet. Die Inhalte wer­den durch Absätze und Über­schrif­ten klar struk­tu­riert. Außer­dem gehö­ren zu jedem Text in Leich­ter Spra­che auch ent­spre­chende Bil­der, die den Text ver­an­schau­li­chen. Für Leichte Spra­che gibt es ein fes­tes Regel­werk. Sie ent­spricht dem Sprach­ni­veau A1.

Ein­fa­che Spra­che ist kom­ple­xer als Leichte Spra­che. Die Wör­ter dür­fen schwie­ri­ger sein und die Sätze län­ger. Im Gegen­satz zur Leich­ten Spra­che gibt es für die Ein­fa­che Spra­che keine fes­ten Regeln. Einige Texte sind leicht. Einige Texte sind schwe­rer. Ein­fa­che Spra­che ent­spricht in etwa dem Sprach­ni­veau A2-B1. Es gilt aber auch hier: Fremd­wör­ter ver­mei­den oder erklä­ren und Texte klar struk­tu­rie­ren und sinn­voll aufgliedern.

In den letz­ten Jah­ren haben wir beträcht­li­che Fort­schritte gemacht, gerade mit Leich­ter und Ein­fa­cher Spra­che im Medi­en­be­reich und in den Museen. Im Deut­schen Bun­des­tag konn­ten wir die Ange­bote zur Infor­ma­tion und zur poli­ti­schen Bil­dung wesent­lich erwei­tern; bei Aus­stel­lun­gen, im Inter­net und auch als eigene Bei­lage in der Par­la­ments­zei­tung. Der Deutsch­land­funk hat mit nachrichtenleicht.de ein tol­les Ange­bot im Pro­gramm. Die Touch­down-Aus­stel­lun­gen mit und über Men­schen mit Down-Syn­drom in der Bun­des­kunst­halle in Bonn, in der Kul­turAm­bu­lanz in Bre­men und im Zen­trum Paul Klee in Bern waren sehr erfolg­reich. Ebenso leis­tet die Kul­tur­ver­mitt­lung z. B. mit spe­zi­el­len Füh­run­gen in Museen und bei Kunst- und Kul­tur­fes­ti­vals einen wert­vol­len Bei­trag. Die Bun­des­kunst­halle in Bonn ent­wi­ckelte inno­va­tive Module für eine inklu­sive und bar­rie­re­freie Gestal­tung von Aus­stel­lun­gen und Museen, und das Netz­werk Leichte Spra­che und auch wir bei der Lebens­hilfe haben vor­bild­li­che Kon­zepte. Ein Pro­jekt der Lebens­hilfe heißt „Kul­tu­relle Bil­dung Inklu­siv“. Hier begeg­nen sich vor Ort Men­schen, auch mit schwe­rer Beein­träch­ti­gung, um gemein­sam Kunst zu schaf­fen. Das gemein­same Schaf­fen und Erle­ben von Kunst und Kul­tur und eine Begeg­nung auf Augen­höhe ste­hen im Mittelpunkt.

Die Modelle Leichte Spra­che und Ein­fa­che Spra­che müs­sen wei­ter­ent­wi­ckelt und -ver­brei­tet wer­den, beson­ders in der Kul­tur. Kunst und Kul­tur sol­len von allen erlebt und ver­stan­den wer­den kön­nen. Lite­ra­tur in Ein­fa­cher Spra­che, beson­dere Über­set­zun­gen oder die Beschrei­bung eines Kunst­wer­kes in Leich­ter Spra­che sind gute Mög­lich­kei­ten für mehr Inklu­sion in der Kultur.

Ich weiß, Kunst lebt auch von Kom­ple­xi­tät. Nicht alles kann und soll ein­fach „über­setzt“ wer­den. Es geht mir vor allem um zusätz­li­che Ange­bote, damit die Kul­tur auch viele neue Freun­din­nen und Freunde fin­det und begeis­tert. Mit dem Nach­er­zäh­len von Ori­gi­nal­tex­ten in Ein­fa­cher Spra­che, in gro­ßer Schrift und mit Bebil­de­rung fin­den bei­spiels­weise mehr Men­schen Zugang zur Literatur.

Aber es muss uns auch darum gehen, dass Men­schen mit Behin­de­run­gen ihr eige­nes krea­ti­ves künst­le­ri­sches und intel­lek­tu­el­les Poten­zial bes­ser ent­fal­ten kön­nen. Sie brin­gen so viel mit, ihre per­sön­li­chen Erfah­run­gen und ihr eige­nes Kön­nen. Selbst­ver­trauen, Fähig­kei­ten und Begeis­te­rung der Men­schen wach­sen mit der Zeit. Das weiß bestimmt jeder, der sich an sei­nen ers­ten Auf­tritt im Schul­thea­ter oder an sei­nen ers­ten Opern­be­such zurück­er­in­nert. Mit der Rati­fi­zie­rung der UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion in 2009 ver­pflich­tete sich die Bun­des­re­pu­blik zur gleich­be­rech­tig­ten Teil­habe von Men­schen mit Behin­de­rung in der gan­zen Band­breite des Kul­tur­le­bens. Kul­tu­relle Teil­habe fokus­siert sich bis heute aber zu oft auf die Besei­ti­gung äuße­rer Bar­rie­ren und auf die Zugäng­lich­keit zu kul­tu­rel­len Ange­bo­ten. Hier hel­fen Leichte Spra­che und Ein­fa­che Spra­che. Die Gestal­tung des Kul­tur­le­bens durch Men­schen mit Behin­de­rung selbst steht dabei noch nicht aus­rei­chend im Mit­tel­punkt. Dafür brau­chen wir mehr künst­le­ri­sche Ausbildungs- und Arbeits­mög­lich­kei­ten für begabte Men­schen mit Behin­de­rung auf und hin­ter der Bühne, so wie an der Uni­ver­sity of Cali­for­nia in Los Ange­les mit ihren Stu­di­en­an­ge­bo­ten für Men­schen mit geis­ti­ger Behinderung.

Inklu­sion meint, dass jeder die Mög­lich­kei­ten hat, an unse­rer Gesell­schaft teil­zu­neh­men, mit sei­nen per­sön­li­chen Fähig­kei­ten und, wenn not­wen­dig, unter­stützt durch pas­sende Hil­fen. Den Rah­men dafür zu orga­ni­sie­ren und auch zu finan­zie­ren ist eine große poli­ti­sche Auf­gabe. Gerade Kul­tur- und Bil­dungs­ein­rich­tun­gen und die Kul­tur­schaf­fen­den selbst kön­nen einen gro­ßen Bei­trag leis­ten, Men­schen mit und ohne Behin­de­run­gen zusam­men­zu­brin­gen. Auch Musik-, Tanz- und Thea­ter­grup­pen, in denen Men­schen mit und ohne Behin­de­run­gen spie­len, brau­chen die öffent­li­che Kul­tur­för­de­rung. Ich bin mir sicher, wenn wir Inklu­sion wei­ter vor­an­brin­gen, hat jeder von uns etwas davon. So ler­nen wir tolle Men­schen ken­nen, die unter­neh­mungs­lus­tig und offen für neue Ein­flüsse sind.

Kul­tur braucht Inklu­sion und Inklu­sion braucht Kul­tur. Das war das Motto der gemein­sa­men Tagung des Behin­der­ten­be­auf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung und des Deut­schen Kul­tur­ra­tes in die­sem Jahr. Ich wün­sche mir, dass Kul­tur und Inklu­sion in der nächs­ten Wahl­pe­ri­ode ein Schwer­punkt der par­la­men­ta­ri­schen Arbeit im Deut­schen Bun­des­tag bleibt. Dass wir zusam­men mit den vie­len Akti­ven wei­ter dafür sor­gen, dass die große Viel­falt des mensch­li­chen Lebens durch struk­tur­er­gän­zende Maß­nah­men in der gan­zen Band­breite der künst­le­ri­schen und publi­zis­ti­schen Arbeit sicht­bar wird.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2021.

Von |2021-09-02T17:03:43+02:00September 2nd, 2021|lnklusion|Kommentare deaktiviert für

Leicht, ein­fach, verständlich

Inklu­sive Spra­che in Kul­tur und Medien

Ulla Schmidt ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.