Das Recht auf Infor­ma­tion ist ein Menschenrecht

Inklu­sion in Bibliotheken

Die UN-Men­schen­rechts­charta von 1948 legt im Arti­kel 19 das Recht auf Infor­ma­ti­ons- und Mei­nungs­frei­heit als grund­le­gen­des Men­schen­recht fest: „Jeder hat das Recht auf Mei­nungs­frei­heit und freie Mei­nungs­äu­ße­rung; die­ses Recht schließt die Frei­heit ein, Mei­nun­gen unge­hin­dert anzu­hän­gen sowie über Medien jeder Art und ohne Rück­sicht auf Gren­zen Infor­ma­tio­nen und Gedan­ken­gut zu suchen, zu emp­fan­gen und zu ver­brei­ten.“ Biblio­the­ken bezie­hen sich als Basis für ihre Auf­ga­ben auf die­ses Grund­recht, das sie im Rah­men ihres Auf­trags umset­zen und, wo immer mög­lich und nötig, schüt­zen und ver­tei­di­gen. Vor die­sem Hin­ter­grund ist auch das lang­jäh­rige Bestre­ben der Biblio­the­ken zu sehen, ihre Ange­bote und Dienst­leis­tun­gen für Men­schen mit Behin­de­rung zugäng­lich zu machen, Inklu­sion zu leben und als Quer­schnitts­auf­gabe zu insti­tu­tio­na­li­sie­ren. Damit leis­ten die Biblio­the­ken einen wesent­li­chen Bei­trag zur Umset­zung der Chan­cen­gleich­heit und Chan­cen­ge­rech­tig­keit. Die­ses Anlie­gen ist kein Anspruch indi­vi­du­el­len oder per­sön­li­chen sozia­len Enga­ge­ments ein­zel­ner Biblio­the­ka­rin­nen oder Biblio­the­kare , son­dern es wird auf natio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ebene von den Biblio­theks­ver­bän­den als prio­ri­tär akzen­tu­iert und breit unter­stützt. Dies ist ins­be­son­dere von Rele­vanz, um den Unter­halts­trä­gern der Biblio­the­ken die Bedeu­tung der Inklu­sion für deren Arbeit zu verdeutlichen.

Eines der Basis-Doku­mente für diese Posi­tio­nie­rung der Biblio­the­ken ist das IFLA/UNESCO Public Library Mani­festo von 1994. Hier heißt es gleich in der Prä­am­bel: „Die Leis­tun­gen der Öffent­li­chen Biblio­thek basie­ren auf dem Ange­bot eines gleich­be­rech­tig­ten Zugangs für alle, unab­hän­gig von Alter, Rasse, Geschlecht, Reli­gion, Natio­na­li­tät, Spra­che oder sozia­lem Sta­tus. Beson­dere Leis­tun­gen und Mate­ria­lien müs­sen für die­je­ni­gen Benut­zer ange­bo­ten wer­den, die, aus wel­chen Grün­den auch immer, kei­nen Zugang zu regu­lä­ren Dienst­leis­tun­gen und Mate­ria­lien haben. Zu die­sen Benut­zern zäh­len bei­spiels­weise sprach­li­che Min­der­hei­ten, Men­schen mit Behin­de­run­gen oder Men­schen im Kran­ken­haus oder Gefäng­nis. … Die Dienst­leis­tun­gen müs­sen für die gesamte Bevöl­ke­rung phy­sisch zugäng­lich sein, wobei Out­reach-Akti­vi­tä­ten zu orga­ni­sie­ren sind, die die Biblio­thek nicht auf­su­chen kön­nen“. Die IFLA als der Welt­ver­band der Biblio­the­ken und Biblio­theks­ver­bände ist auf inter­na­tio­na­ler Ebene der Haupt­ak­teur und Haupt­prot­ago­nist für die Ver­tre­tung und die Ver­tei­di­gung des Rech­tes auf freien Zugang zur Infor­ma­tion und hat natür­lich auch die spe­zi­fi­schen Bedarfe von Men­schen mit Behin­de­run­gen im Fokus.

Eine der wich­tigs­ten Aktio­nen in die­sem Zusam­men­hang war das umfang­rei­che Enga­ge­ment der IFLA bei den Ver­hand­lun­gen zum Ver­trag von Mar­ra­kesch, der letzt­end­lich im Sep­tem­ber 2013 von der WIPO, der World Intellec­tual Pro­perty Orga­niza­tion, ver­ab­schie­det wurde, und seit­dem von den Staa­ten in natio­na­les Recht umge­setzt wer­den soll. Deutsch­land hat ihn übri­gens schon 2014 rati­fi­ziert, aller­dings erst 2018 die ent­spre­chen­den Rege­lun­gen in das deut­sche Urhe­ber­recht über­führt. Die­ser Ver­trag sieht vor, dass Seh­be­hin­derte, Blinde oder sons­tige lese­be­hin­derte Men­schen von urhe­ber­recht­lich geschütz­ten Tex­ten eine für sie zugäng­li­che Fas­sung bzw. Kopie von Tex­ten und Illus­tra­tio­nen her­stel­len dür­fen, ohne jeweils eine Zustim­mung der Rech­te­inha­ber ein­ho­len zu müs­sen. Die­ser Erfolg kam nur auf der Basis einer brei­ten Inter­es­sen­ko­ali­tion zustande, bei der die IFLA eine Haupt­rolle spielte.

Die Akti­vi­tä­ten der IFLA für die Umset­zung des Prin­zips der Inklu­sion in Biblio­the­ken sind über ein­zelne Pro­jekte hin­aus noch wesent­lich brei­ter ange­legt. In vie­len wei­te­ren Pro­gram­men und Arbeits­vor­ha­ben spielt das Thema Inklu­sion eine wesent­li­che Rolle. Z. B. wid­met eine der rund 50 inter­na­tio­na­len Fach­grup­pen sich der Ver­bes­se­rung der Biblio­theks­dienst­leis­tun­gen für Men­schen mit spe­zi­el­len Bedar­fen, das sind Men­schen mit Behin­de­rung jeg­li­cher Art, aber auch Men­schen in beson­dere Lebens­si­tua­tio­nen wie z. B. Obdach­lose oder Inhaf­tierte. Diese Fach­gruppe ver­öf­fent­licht Richt­li­nien und Check­lis­ten für die prak­ti­sche Arbeit der Biblio­the­ken vor Ort, die für alle Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zugäng­lich und nutz­bar sind.

Ein ganz umfang­rei­ches Enga­ge­ment der IFLA betrifft die Ver­wirk­li­chung der Ziele der UN-Nach­hal­tig­keits­agenda 2030 durch die Arbeit der Biblio­the­ken. Diese 2015 ver­ab­schie­dete Agenda strebt unter dem Motto „Nie­mand soll zurück­ge­las­sen wer­den“ in meh­re­ren ihrer Ziele auch die Umset­zung der Rechte und die Ver­bes­se­rung der Lebens­be­din­gun­gen von Men­schen mit Behin­de­run­gen an: „Men­schen, die ver­letz­lich sind, müs­sen gestärkt wer­den. Zu den Bedürf­nis­sen der Agenda gehö­ren alle Kin­der, Jugend­li­che, Men­schen mit Behin­de­run­gen (von denen mehr als 80 % in Armut leben), Men­schen mit HIV/Aids, ältere Men­schen, indi­gene Völ­ker, Flücht­linge sowie Bin­nen­ver­trie­bene und Migran­ten.“ Die IFLA infor­miert seit 2016 die Biblio­the­ken kon­ti­nu­ier­lich über die Agenda 2030 und deren Fort­schritte und hat diverse Pro­gramme ent­wi­ckelt, die die Biblio­the­ken bei der Umset­zung der Agenda-Ziele unter­stüt­zen sol­len. Das Thema Inklu­sion steht hier als eines der Haupt­ak­ti­ons­fel­der im Vor­der­grund; so wird nicht nur ein Bewusst­sein für die Rele­vanz die­ses The­mas geschaf­fen bzw. erwei­tert, son­dern es wer­den auch kon­krete Vor­schläge für Inklu­si­ons­stra­te­gien und -maß­nah­men in der welt­wei­ten biblio­the­ka­ri­schen Com­mu­nity präsentiert.

Die Biblio­the­ken in Deutsch­land ver­fol­gen die viel­fäl­ti­gen Akti­vi­tä­ten und Initia­ti­ven der IFLA zum Thema Inklu­sion mit aller­größ­tem Inter­esse. Sie grei­fen diese kon­ti­nu­ier­lich für ihre Arbeit auf und set­zen sie nach Mög­lich­keit in ihren Dienst­leis­tun­gen enga­giert um.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 09/2021.

Von |2021-09-02T17:01:24+02:00September 2nd, 2021|lnklusion|Kommentare deaktiviert für

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Inklu­sion in Bibliotheken

Barbara Lison ist Direktorin der Stadtbibliothek Bremen und designierte Präsidentin des Weltverbandes der Bibliotheken und Bibliotheksverbände IFLA.