Mehrheitsgesellschaft – was bedeutet dieser doch recht ungenaue Begriff eigentlich? Wen umfasst er und wen schließt er aus? Genau dieser Frage widmen sich auch Naika Foroutan und Jana Hensel am Anfang ihres Buches „Die Gesellschaft der Anderen“. Die beiden Autorinnen verstehen darunter die Mehrheit einer Gesellschaft, die den gesellschaftlichen und politischen Diskurs maßgeblich bestimmt, „die tonangebende Mehrheit“. Und zu oft werden die migrantischen und ostdeutschen Erfahrungen, Perspektiven und Ideen von dieser Mehrheitsgesellschaft außen vor gelassen. Beide Gruppen werden noch viel zu stark aus dem Blick der diskursbestimmenden Mehrheit beschrieben und zu wenig aus sich selbst: Und so entsteht schnell eine Gesellschaft der Anderen.
Die Migrationsforscherin Naika Foroutan und die Ostdeutschland-Expertin und Journalistin Jana Hensel kommen daher ins Gespräch und halten dieses schriftlich und in acht Kapiteln unterteilt fest. In dem analytischen, kontroversen und zum Teil emotionalen Dialog geht es eingangs um den rassistischen Anschlag von Hanau und die Thüringer Ministerpräsidentenwahl Anfang des Jahres 2020. Sowohl Hanau als auch Thüringen zeigen exemplarisch die Verdrängung des rechten Aufstiegs aus dem öffentlichen Bewusstsein und dessen Konsequenzen.
Doch Foroutan und Hensel stellen auch fest, dass jüngst aus Worten immer häufiger Taten geworden sind und sich darin eine Bewusstseinsveränderung widerspiegelt. Und auch die Zivilgesellschaft immer stärker auf Missstände aufmerksam macht und protestiert, dagegenhält. Schließlich ist es schlimm genug, dass erst mehrere Vorkommnisse die Mehrheitsgesellschaft wachrütteln mussten. Ein lesenswertes Buch, welches Einblick in viele Themen gibt, die in den letzten Jahren häufig die Debatten bestimmten und dabei vor allem die Perspektive derer aufnimmt, die meist die Protagonisten dieser Debatten waren.
Kristin Braband
Naika Foroutan und Jana Hensel. Die Gesellschaft der Anderen. Berlin 2020