Hil­de­gard E. Kel­ler: Was wir scheinen

Ein Roman über Han­nah Are­ndt? Nach­dem vor eini­gen Jah­ren die große „poli­ti­sche Theo­re­ti­ke­rin“, wie sie selbst genannt wer­den wollte, von Bar­bara Sukowa im Film gespielt wurde, folgt nun ein wei­te­res Werk, das sich – mehr oder weni­ger – fik­tio­nal mit der Are­ndt aus­ein­an­der­setzt. Natür­lich basiert das Buch auf „wah­ren Bege­ben­hei­ten“, lässt aber auch das Bild einer Frau erschei­nen, die eben nicht nur Den­ke­rin, scharfe Ana­ly­ti­ke­rin, Poli­tik­phi­lo­so­phin war. Zu Beginn der Erzäh­lung von Hil­de­gard E. Kel­ler reist die 75-Jäh­rige ein letz­tes Mal in den gelieb­ten Tes­sin. Von hier aus wer­den die Fäden durch ihr Leben gespon­nen: die Flucht der Jüdin aus Königs­berg über die Schweiz nach Paris, schließ­lich über Lis­sa­bon in die USA. Erin­ne­run­gen an den schwie­ri­gen Start, gemein­sam mit ihrem gelieb­ten Hein­rich, die zuneh­mende Aner­ken­nung als Schrift­stel­le­rin und Jour­na­lis­tin, ihre Pro­fes­sur in Ber­ke­ley wer­den geweckt. Der Leser wird in die Lebens­ab­schnitte der Are­ndt hin­ein­ver­setzt, lernt sie als Mensch ken­nen, für den Freund­schaf­ten lebens­wich­tig sind: „Wer flieht, nimmt keine Möbel mit, nur Freunde, bei denen man Schutz und Gebor­gen­heit fin­det, als wären sie Tisch und Bett.“ Zum Teil dau­ern diese Freund­schaf­ten ein Leben lang, z. B. die Ver­bin­dung zu Karl Jas­pers. Andere wen­den sich von ihr ab, weil sie ihre Über­zeu­gun­gen und Erkennt­nisse nicht tei­len (wol­len), allen voran Mar­tin Heid­eg­ger und Gers­hom Scholem. Auch von Ver­lus­ten ist die Rede, nicht zuletzt von dem ihres Freun­des Wal­ter Ben­ja­min. Und natür­lich geht es um den Eich­mann-Pro­zess, für Han­nah Are­ndt ein deut­li­cher Ein­schnitt in ihrer Bio­gra­fie, der sie nicht los­lässt. Die „Bana­li­tät des Bösen“, die sie hier erkannte, die Kri­tik an den Juden­rä­ten: Das, was auf die Ver­öf­fent­li­chung ihres Eich­mann-Buches folgte, würde man heute „Shit­s­torm“ nen­nen. Kel­ler ver­sucht nach­zu­voll­zie­hen, wie Are­ndt den Pro­zess erlebt. Es gelingt ihr, die große Den­ke­rin als Mensch zu zei­gen und ihre Bio­gra­fie auf lesens­werte Art Revue pas­sie­ren zu lassen.

Bar­bara Haack

Hil­de­gard E. Kel­ler. Was wir schei­nen. Frank­furt am Main 2021

Von |2021-06-28T16:52:29+02:00Juni 28th, 2021|Rezension|Kommentare deaktiviert für Hil­de­gard E. Kel­ler: Was wir scheinen
Barbara Haack ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.