Barbara Haack 28. Juni 2021 Logo_Initiative_print.png

Hil­de­gard E. Kel­ler: Was wir scheinen

Ein Roman über Hannah Arendt? Nachdem vor einigen Jahren die große „politische Theoretikerin“, wie sie selbst genannt werden wollte, von Barbara Sukowa im Film gespielt wurde, folgt nun ein weiteres Werk, das sich – mehr oder weniger – fiktional mit der Arendt auseinandersetzt. Natürlich basiert das Buch auf „wahren Begebenheiten“, lässt aber auch das Bild einer Frau erscheinen, die eben nicht nur Denkerin, scharfe Analytikerin, Politikphilosophin war. Zu Beginn der Erzählung von Hildegard E. Keller reist die 75-Jährige ein letztes Mal in den geliebten Tessin. Von hier aus werden die Fäden durch ihr Leben gesponnen: die Flucht der Jüdin aus Königsberg über die Schweiz nach Paris, schließlich über Lissabon in die USA. Erinnerungen an den schwierigen Start, gemeinsam mit ihrem geliebten Heinrich, die zunehmende Anerkennung als Schriftstellerin und Journalistin, ihre Professur in Berkeley werden geweckt. Der Leser wird in die Lebensabschnitte der Arendt hineinversetzt, lernt sie als Mensch kennen, für den Freundschaften lebenswichtig sind: „Wer flieht, nimmt keine Möbel mit, nur Freunde, bei denen man Schutz und Geborgenheit findet, als wären sie Tisch und Bett.“ Zum Teil dauern diese Freundschaften ein Leben lang, z. B. die Verbindung zu Karl Jaspers. Andere wenden sich von ihr ab, weil sie ihre Überzeugungen und Erkenntnisse nicht teilen (wollen), allen voran Martin Heidegger und Gershom Scholem. Auch von Verlusten ist die Rede, nicht zuletzt von dem ihres Freundes Walter Benjamin. Und natürlich geht es um den Eichmann-Prozess, für Hannah Arendt ein deutlicher Einschnitt in ihrer Biografie, der sie nicht loslässt. Die „Banalität des Bösen“, die sie hier erkannte, die Kritik an den Judenräten: Das, was auf die Veröffentlichung ihres Eichmann-Buches folgte, würde man heute „Shitstorm“ nennen. Keller versucht nachzuvollziehen, wie Arendt den Prozess erlebt. Es gelingt ihr, die große Denkerin als Mensch zu zeigen und ihre Biografie auf lesenswerte Art Revue passieren zu lassen.

Barbara Haack

Hildegard E. Keller. Was wir scheinen. Frankfurt am Main 2021

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