„Das ist eine neue Stufe des Judenhasses“

Ste­fan Hen­sel im Gespräch 

Lud­wig Gre­ven spricht mit dem neuen Ham­bur­ger Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­trag­ten über Atta­cken auf Juden anläss­lich des jüngs­ten Kon­flikts Isra­els mit der Hamas, über Unter­stüt­zung für sie auch durch Kli­ma­schüt­zer und Begeg­nun­gen mus­li­mi­scher Jugend­li­cher mit Israel.

Lud­wig Gre­ven: Wäh­rend der Angriffe der Hamas auf Israel gab es hier­zu­lande anti­jü­di­sche Aus­schrei­tun­gen und Hass gegen Juden im Netz. Wieso wer­den, wenn es im Nahen Osten knallt, reflex­haft Juden in Deutsch­land atta­ckiert? Was haben sie mit dem Dau­er­kon­flikt dort zu tun?
Ste­fan Hen­sel: Gar nichts, weil die meis­ten Juden, die hier leben, Deut­sche sind. Warum die Stim­mung so ist, dafür gibt es viele Erklä­run­gen. Das eine ist das David-Goli­ath-Phä­no­men. Israel wird als der Stär­kere gese­hen, der sich ver­tei­di­gen kann. Gemes­sen wird das an den Opfer­zah­len, obwohl das über­haupt nichts besagt. Das andere sind Vor­ur­teile und Ste­reo­type. Eine mas­sive Wie­der­be­le­bung anti­se­mi­ti­scher Welt­bil­der erle­ben wir bereits seit Beginn der Coro­na­krise. Simple Erklä­rungs­mus­ter für kom­plexe Fra­gen. Der Anti­se­mi­tis­mus moder­ni­siert sich und passt sich an, je nach dem, was der Zeit­geist ver­langt. Das Grund­mus­ter bleibt jedoch immer gleich. Das hat auch jetzt dazu geführt, die Auf­merk­sam­keit in den sozia­len Medien gezielt zu lenken.

Von wem?
Aus allen mög­li­chen Rich­tun­gen. Das hängt immer vom Milieu ab. Wäh­rend die einen sich bemü­hen zu tren­nen zwi­schen Kri­tik an Israel und Hass auf Juden, unter­schei­den andere häu­fig nicht zwi­schen Juden­tum, Israel, Zio­nis­mus oder Ver­schwö­rungs­fan­ta­sien. Das ver­schmilzt. Das ist das Ein­falls­tor für Leute, die das gezielt nutzen.

Hass und Gewalt gin­gen dies­mal sehr stark von jun­gen mus­li­mi­schen Migran­ten aus, mit Unter­stüt­zung von Lin­ken und BDS­lern, die zum Boy­kott gegen Israel auf­ru­fen. Woran liegt das?Das war beim letz­ten Gaza-Kon­flikt 2014 schon ähn­lich. Was wir aller­dings jetzt erlebt haben, ging fast aus­schließ­lich von jun­gen ara­bi­schen Män­nern aus. Wir haben es hier mit einem Anti­se­mi­tis­mus zu tun, den es sehr stark auch im Nahen Osten gibt. Men­schen, die von dort kom­men oder Fern­seh­sen­der aus die­sen Län­dern ver­fol­gen, legen ihn nicht des­halb ab, weil sie jetzt hier leben.

Von die­ser Seite kommt oft das Argu­ment: Was haben wir mit eurer deut­schen Geschichte und Ver­ant­wor­tung zu tun?Der Holo­caust war ein Mensch­heits­ver­bre­chen, das von Deut­schen began­gen wurde, aber alle Men­schen betrifft. Des­halb finde ich die­ses Argu­ment absurd. Meine Erfah­rung sagt jedoch, dass die Mehr­heit der Migran­ten, auch der mus­li­mi­schen, das nicht so sieht. Ich habe häu­fig mit Jugend­li­chen zu tun, die das dif­fe­ren­ziert betrach­ten und es häu­fig beein­dru­ckend fin­den, was Israel geschaf­fen hat, und sich das für ihre eige­nen Län­der und die Her­kunfts­län­der ihrer Eltern wün­schen. Oder die, wenn sie im Rah­men eines Schü­ler­aus­tauschs nach Israel gefah­ren sind, ein ganz ande­res Bild haben. Auch weil sie dort ein ande­res Bild von sich bekom­men. Sie mer­ken, ich werde dort in der israe­li­schen Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft als Deut­scher wahr­ge­nom­men, obwohl ich aus Afgha­ni­stan oder dem Irak stamme. Das stellt Fra­gen an ihre Iden­ti­tät und ermög­licht ihnen einen ande­ren Blick auf ihre Situa­tion. Des­halb glaube ich, dass man nicht pau­schal sagen kann, migran­ti­sche Jugend­li­che sind anti­se­mi­ti­scher als andere. Das Pro­blem betrifft Jugend­li­che mit einer bestimm­ten kul­tu­rel­len Prä­gung, hinzu kommt eine grund­sätz­li­che Ver­pes­tung der gan­zen „Israel-Debatte“.

Nach dem Atten­tat auf die Syn­agoge in Halle gab es sofort Demons­tra­tio­nen und Auf­rufe von Poli­ti­kern gegen Anti­se­mi­tis­mus. Wes­halb jetzt erst sehr spät?Es ist Poli­ti­kern wohl nicht recht klar, wann Soli­da­ri­tät mit Juden und wann mit Israel ange­bracht ist. Es hat jedoch rela­tiv klare State­ments füh­ren­der Poli­ti­ker gege­ben. Zuerst zu den Juden hier in Deutsch­land, dann zu der Frage, steht Deutsch­land an der Seite Israels.

Aber wenig Kon­kre­tes zu dem Juden­hass von mus­li­mi­schen Migranten.
Die Dis­kus­sion über mus­li­mi­schen Anti­se­mi­tis­mus ist in der Gesell­schaft ins­ge­samt schwie­rig zu füh­ren, weil man immer Angst hat, dass man Mus­lime stig­ma­ti­siert. Grund­sätz­lich finde ich das löb­lich. Aber es ver­stellt den Blick auf die Wirk­lich­keit, vor allem auf die Migran­ten, die aus Län­dern kom­men, die nicht anti­se­mi­tisch geprägt sind und die glei­chen Pro­bleme mit Leu­ten haben, die isla­mis­tisch und juden­feind­lich sind. Sie oder ihre Eltern sind ja oft vor die­sem Ter­ror geflohen.

Wes­halb tun sich vor allem Linke so schwer mit Anti­se­mi­tis­mus von Muslimen?
Sie wol­len keine anti­mus­li­mi­schen Res­sen­ti­ments bedie­nen und Rechts­po­pu­lis­ten nicht in die Hände spie­len. Sie tun aber das Gegen­teil, weil die mus­li­mi­sche Gemein­schaft sehr viel dif­fe­ren­zier­ter ist, als sie meinen.

Ver­brei­tet ist bei Lin­ken auch pau­schale Israelkritik.
Es gibt eine starke auch mediale Fokus­sie­rung auf den Kon­flikt zwi­schen Israe­lis und Paläs­ti­nen­sern. Dabei ist die Lage in Nach­bar­län­dern wie Syrien oder Jemen viel schlimmer.

Wie fin­den Sie es, wenn auch auf Kanä­len von Fri­days for Future Kar­ten ver­brei­tet wer­den von Paläs­tina ohne Israel, ohne Juden?
Ich finde das scho­ckie­rend. Das ist eine neue Stufe des Juden­has­ses und von Des­in­for­ma­tion. Die sozia­len Medien leis­ten da Vor­schub. Ich habe mir Hun­derte Pro­file von jun­gen Leu­ten ange­schaut, die sich zu dem Thema geäu­ßert haben und sonst voll sind mit Mode­the­men oder Ähn­li­chem. Wir hat­ten „Black lives mat­ter“, jetzt „Stay with Gaza“. Natür­lich ist es rich­tig, sich gegen Ras­sis­mus und für Paläs­ti­nen­ser ein­zu­set­zen. Aber das sind Mode­wel­len, das geht nicht in die Tiefe. In zwei Wochen haben wir da ein neues Thema.

Was haben Sie sich als Ham­bur­ger Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­trag­ter vorgenommen?
Ich kann Anti­se­mi­tis­mus nicht allein bekämp­fen. Ich möchte das Thema mit denen, die sich damit befas­sen, vor­an­brin­gen, und zwar so, dass es für junge Leute zugäng­lich ist. Sehr nie­der­schwel­lig. Mir geht es darum, jüdi­sches Leben sicht­ba­rer zu machen. Und dass wir junge Leute mit einem vom Ham­bur­ger Senat geför­der­ten Pro­gramm nach Israel brin­gen und Leh­rer und Leh­re­rin­nen dazu  befä­hi­gen, bei die­sem Thema, das im sozia­len Umfeld ihrer Schü­ler eine wich­tige Rolle spielt, eine Posi­tion zu ergrei­fen. Dass Anti­se­mi­tis­mus Juden­hass ist und die­ser hier­zu­lande nichts zu suchen hat. Wer seine Schule mit „anti­ras­sis­tisch“ labelt, aber zulässt, dass dort anti­jü­di­sche Kli­schees ver­brei­tet wer­den, macht sich unglaubwürdig.

Vie­len Dank.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2021.
Von |2021-06-21T13:58:43+02:00Juni 4th, 2021|Religiöse Vielfalt|Kommentare deaktiviert für

„Das ist eine neue Stufe des Judenhasses“

Ste­fan Hen­sel im Gespräch 

Stefan Hensel leitet die Hamburger Arbeitsgemeinschaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Auf Vorschlag der Jüdischen Gemeinde Hamburg wurde er zum 1. Juli vom Senat in das neue Amt des Hamburger Antisemitismus-beauftragten berufen. Ludwig Greven ist freier Publizist.