Stefan Hensel & Ludwig Greven 4. Juni 2021 Logo_Initiative_print.png

„Das ist eine neue Stufe des Judenhasses“

Ste­fan Hen­sel im Gespräch 

Ludwig Greven spricht mit dem neuen Hamburger Antisemitismusbeauftragten über Attacken auf Juden anlässlich des jüngsten Konflikts Israels mit der Hamas, über Unterstützung für sie auch durch Klimaschützer und Begegnungen muslimischer Jugendlicher mit Israel.

Ludwig Greven: Während der Angriffe der Hamas auf Israel gab es hierzulande antijüdische Ausschreitungen und Hass gegen Juden im Netz. Wieso werden, wenn es im Nahen Osten knallt, reflexhaft Juden in Deutschland attackiert? Was haben sie mit dem Dauerkonflikt dort zu tun?
Stefan Hensel: Gar nichts, weil die meisten Juden, die hier leben, Deutsche sind. Warum die Stimmung so ist, dafür gibt es viele Erklärungen. Das eine ist das David-Goliath-Phänomen. Israel wird als der Stärkere gesehen, der sich verteidigen kann. Gemessen wird das an den Opferzahlen, obwohl das überhaupt nichts besagt. Das andere sind Vorurteile und Stereotype. Eine massive Wiederbelebung antisemitischer Weltbilder erleben wir bereits seit Beginn der Coronakrise. Simple Erklärungsmuster für komplexe Fragen. Der Antisemitismus modernisiert sich und passt sich an, je nach dem, was der Zeitgeist verlangt. Das Grundmuster bleibt jedoch immer gleich. Das hat auch jetzt dazu geführt, die Aufmerksamkeit in den sozialen Medien gezielt zu lenken.

Von wem?
Aus allen möglichen Richtungen. Das hängt immer vom Milieu ab. Während die einen sich bemühen zu trennen zwischen Kritik an Israel und Hass auf Juden, unterscheiden andere häufig nicht zwischen Judentum, Israel, Zionismus oder Verschwörungsfantasien. Das verschmilzt. Das ist das Einfallstor für Leute, die das gezielt nutzen.

Hass und Gewalt gingen diesmal sehr stark von jungen muslimischen Migranten aus, mit Unterstützung von Linken und BDSlern, die zum Boykott gegen Israel aufrufen. Woran liegt das?Das war beim letzten Gaza-Konflikt 2014 schon ähnlich. Was wir allerdings jetzt erlebt haben, ging fast ausschließlich von jungen arabischen Männern aus. Wir haben es hier mit einem Antisemitismus zu tun, den es sehr stark auch im Nahen Osten gibt. Menschen, die von dort kommen oder Fernsehsender aus diesen Ländern verfolgen, legen ihn nicht deshalb ab, weil sie jetzt hier leben.

Von dieser Seite kommt oft das Argument: Was haben wir mit eurer deutschen Geschichte und Verantwortung zu tun?Der Holocaust war ein Menschheitsverbrechen, das von Deutschen begangen wurde, aber alle Menschen betrifft. Deshalb finde ich dieses Argument absurd. Meine Erfahrung sagt jedoch, dass die Mehrheit der Migranten, auch der muslimischen, das nicht so sieht. Ich habe häufig mit Jugendlichen zu tun, die das differenziert betrachten und es häufig beeindruckend finden, was Israel geschaffen hat, und sich das für ihre eigenen Länder und die Herkunftsländer ihrer Eltern wünschen. Oder die, wenn sie im Rahmen eines Schüleraustauschs nach Israel gefahren sind, ein ganz anderes Bild haben. Auch weil sie dort ein anderes Bild von sich bekommen. Sie merken, ich werde dort in der israelischen Einwanderungsgesellschaft als Deutscher wahrgenommen, obwohl ich aus Afghanistan oder dem Irak stamme. Das stellt Fragen an ihre Identität und ermöglicht ihnen einen anderen Blick auf ihre Situation. Deshalb glaube ich, dass man nicht pauschal sagen kann, migrantische Jugendliche sind antisemitischer als andere. Das Problem betrifft Jugendliche mit einer bestimmten kulturellen Prägung, hinzu kommt eine grundsätzliche Verpestung der ganzen „Israel-Debatte“.

Nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle gab es sofort Demonstrationen und Aufrufe von Politikern gegen Antisemitismus. Weshalb jetzt erst sehr spät?Es ist Politikern wohl nicht recht klar, wann Solidarität mit Juden und wann mit Israel angebracht ist. Es hat jedoch relativ klare Statements führender Politiker gegeben. Zuerst zu den Juden hier in Deutschland, dann zu der Frage, steht Deutschland an der Seite Israels.

Aber wenig Konkretes zu dem Judenhass von muslimischen Migranten.
Die Diskussion über muslimischen Antisemitismus ist in der Gesellschaft insgesamt schwierig zu führen, weil man immer Angst hat, dass man Muslime stigmatisiert. Grundsätzlich finde ich das löblich. Aber es verstellt den Blick auf die Wirklichkeit, vor allem auf die Migranten, die aus Ländern kommen, die nicht antisemitisch geprägt sind und die gleichen Probleme mit Leuten haben, die islamistisch und judenfeindlich sind. Sie oder ihre Eltern sind ja oft vor diesem Terror geflohen.

Weshalb tun sich vor allem Linke so schwer mit Antisemitismus von Muslimen?
Sie wollen keine antimuslimischen Ressentiments bedienen und Rechtspopulisten nicht in die Hände spielen. Sie tun aber das Gegenteil, weil die muslimische Gemeinschaft sehr viel differenzierter ist, als sie meinen.

Verbreitet ist bei Linken auch pauschale Israelkritik.
Es gibt eine starke auch mediale Fokussierung auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Dabei ist die Lage in Nachbarländern wie Syrien oder Jemen viel schlimmer.

Wie finden Sie es, wenn auch auf Kanälen von Fridays for Future Karten verbreitet werden von Palästina ohne Israel, ohne Juden?
Ich finde das schockierend. Das ist eine neue Stufe des Judenhasses und von Desinformation. Die sozialen Medien leisten da Vorschub. Ich habe mir Hunderte Profile von jungen Leuten angeschaut, die sich zu dem Thema geäußert haben und sonst voll sind mit Modethemen oder Ähnlichem. Wir hatten „Black lives matter“, jetzt „Stay with Gaza“. Natürlich ist es richtig, sich gegen Rassismus und für Palästinenser einzusetzen. Aber das sind Modewellen, das geht nicht in die Tiefe. In zwei Wochen haben wir da ein neues Thema.

Was haben Sie sich als Hamburger Antisemitismusbeauftragter vorgenommen?
Ich kann Antisemitismus nicht allein bekämpfen. Ich möchte das Thema mit denen, die sich damit befassen, voranbringen, und zwar so, dass es für junge Leute zugänglich ist. Sehr niederschwellig. Mir geht es darum, jüdisches Leben sichtbarer zu machen. Und dass wir junge Leute mit einem vom Hamburger Senat geförderten Programm nach Israel bringen und Lehrer und Lehrerinnen dazu  befähigen, bei diesem Thema, das im sozialen Umfeld ihrer Schüler eine wichtige Rolle spielt, eine Position zu ergreifen. Dass Antisemitismus Judenhass ist und dieser hierzulande nichts zu suchen hat. Wer seine Schule mit „antirassistisch“ labelt, aber zulässt, dass dort antijüdische Klischees verbreitet werden, macht sich unglaubwürdig.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2021.
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