Ich bin ein Kriegskind, ein Flüchtlingskind, ein Kind der deutschen Teilung«, so die Ich-Erzählerin im Erzählungsband von Helga Schubert. Ein Buch, das ein deutsches Jahrhundertleben in 29 unterschiedlich langen Episoden zeichnet – ein Leben in Geschichte. Die Bachmann-Preisträgerin schreibt von den Prägungen ihres Lebens – Fiktion und Wahrheit zugleich – und setzt sich vor allem literarisch mit ihrer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung auseinander.
Die Mutter, vom Weltkrieg geprägt, den Vater nie kennengelernt, da er als Soldat stirbt, als das Kind ein Jahr alt ist, Nachkriegskindheit, ihre Lebensjahre in der DDR, die sie als immer absurder empfand und nicht zuletzt die schönen und teils schwierigen Freiheiten in einem vereinten Land – die Episoden lesen sich flüssig und berühren. Es sind keine Abrechnungen mit schwierigen Lebensphasen und Beziehungen. Kein Groll, sondern Erinnerungen.
„Mein idealer Ort“, so lautet die Überschrift der ersten Erzählung. Dieser Ort ist eine Erinnerung: die Hängematte im Garten der Großmutter in der Greifswalder Obstbausiedlung. Mit Muckefuck und Umarmungen. Hier findet die Ich-Erzählerin Geborgenheit – das Gegenteil zur Beziehung zu ihrer Mutter, die ihrer Tochter stets ihre drei Heldentaten im Leben vermittelt: Sie habe sie nicht abgetrieben, sie auf die Flucht im Zweiten Weltkrieg mitgenommen und vor dem Einmarsch der russischen Soldaten nicht erschossen. Ihre Mutter, die mit über 100 Jahren starb, als Bachmann 76 war, wollte, dass über sie ein Buch geschrieben wird. „Aber wie sollte ich über sie schreiben, als sie noch lebte.“ In diesem Buch ist es Helga Schubert lesenswert gelungen. Mit der den Band abschließenden Geschichte „Vom Aufstehen“ gewann Helga Schubert 2020 den Ingeborg-Bachmann-Preis, für ihren Erzählband ist sie zudem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Maike Karnebogen
Helga Schubert. Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichte. München 2021