Rap, Ver­schwö­rungs­my­then und Antisemitismus

Der Rap­per Ben Salomo im Gespräch

Ben Salomo heißt mit bür­ger­li­chem Namen Jona­than Kal­ma­no­vich und wurde 1977 in Recho­vot, Israel gebo­ren. Aus einem kur­zen Besuch 1981 bei sei­nen in Ber­lin leben­den Groß­el­tern wurde ein immer län­ge­rer Besuch. Plötz­lich ging Ben Salomo in Ber­lin in den Kin­der­gar­ten, die Grund- und Ober­schule. Seit­dem lebt der Rap­per und Song­wri­ter in Deutsch­land. Als Jugend­li­cher ent­deckte er die Rap-Musik für sich, schrieb eigene Songs, in denen er sich mit sei­ner jüdi­schen Iden­ti­tät befasste. Ins­ge­samt 20 Jahre bewegte Ben Salomo sich in der Rap-Szene, bevor er ihr trotz Erfolgs den Rücken zukehrte – aus Protest.

Kris­tin Bra­band: Ihre jüdi­sche Iden­ti­tät ist Thema Ihrer Song­texte. Eine Aus­nahme in der Rap-Szene, die immer wie­der durch gewalt­ver­herr­li­chende, frau­en­feind­li­che, homo­phobe und anti­se­mi­ti­sche Aus­sa­gen sowie zuneh­mend als Nähr­bo­den für Ver­schwö­rungs­my­then auf­fällt. Vor etwa drei Jah­ren haben Sie die­ser Szene den Rücken zuge­kehrt. Wel­che Erfah­run­gen haben Sie per­sön­lich gemacht?
Ben Salomo: Diese gan­zen Ver­schwö­rungs­my­then sind schon seit vie­len, vie­len Jah­ren in der Rap-Szene vor­han­den. Ich würde sogar sagen, seit min­des­tens 15 Jah­ren. Das, was die Gesell­schaft jetzt mit­be­kommt, was nun an die Ober­flä­che gelangt, exis­tiert in der Rap-Szene schon sehr lange. Das erste Mal habe ich es kurz nach dem 11. Sep­tem­ber mit­be­kom­men. Da began­nen anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­nar­ra­tive in der Rap-Szene zu fruch­ten und Fuß zu fas­sen. Am Anfang hätte man viel­leicht noch den­ken kön­nen, das sei jetzt ein­fach nur so eine Art Spie­le­rei für den Rap, aber immer mehr Rap­per haben ange­fan­gen, diese Nar­ra­tive tat­säch­lich zu glau­ben, ins­be­son­dere durch irgend­wel­che „Ver­schwö­rungs­do­kus“, die im Netz kur­sier­ten. Und viele Rap­per haben diese Dinge dann auf­ge­so­gen und über­nom­men. Und das wird in den Song­tex­ten und Inter­views der Musi­ker repro­du­ziert. Dazu kamen diese typi­schen alten, klas­si­schen anti­se­mi­ti­schen Ver­schwö­rungs­le­gen­den – z. B. über die Roth­schilds, die die Welt beherr­schen wür­den. „Die Roth­schilds“ ist dabei eigent­lich nur ein Platz­hal­ter­be­griff für Juden. Ich habe auch das Gefühl gehabt, dass gar keine Soli­da­ri­tät zu fin­den ist und die Leute das alles ver­harm­lo­sen, rela­ti­vie­ren oder sogar leug­nen. Mich sogar als eine Art Schutz­schild gegen Anti­se­mi­tis­mus­vor­würfe ver­wen­den, wenn die Szene von außen für anti­se­mi­ti­sche Aus­sa­gen in Tex­ten oder Inter­views kri­ti­siert wurde. Der „nütz­li­che Jude“ sein, das wollte ich nicht.

Im Zuge der Corona-Pan­de­mie haben Ver­schwö­rungs­my­then auch in der Breite der Gesell­schaft eine neue Auf­merk­sam­keit erfah­ren. Wür­den Sie sagen, dass diese The­ma­tik in der Rap-Szene dadurch auch noch ein­mal ver­stärkt ver­brei­tet wurde?
Sicher­lich wird es die einen oder ande­ren in der Rap-Szene geben, die auch gewisse Ver­schwö­rungs­my­then, die rund um die Corona-Pan­de­mie exis­tie­ren, auf­grei­fen. Was ich viel mehr sehe, ist, dass alte und teil­weise sehr absurde Ver­schwö­rungs­my­then, die in der Rap-Szene schon jah­re­lang exis­tie­ren, nun durch die Corona-Pan­de­mie in einem brei­te­ren Teil unse­rer Gesell­schaft ver­fan­gen. Und wenn man vor­her diese Dinge mit vor­ge­hal­te­ner Hand gesagt hat, traut man sich heute, das klar zu arti­ku­lie­ren. Durch das Inter­net und soziale Netz­werke ist die Mög­lich­keit der Ver­net­zung so stark gewor­den und ein regel­rech­tes ver­schwö­rungs­my­tho­lo­gi­sches Move­ment ent­stan­den – eine Art Par­al­lel­uni­ver­sum der Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gen, das an der Gesell­schaft vor­bei exis­tiert. Und diese hat noch gar nicht rich­tig erfasst, was das bedeutet.

Sie haben es schon ange­spro­chen. Beson­ders in den Sozia­len Medien ist die Ver­brei­tung von anti­se­mi­ti­schen Gedan­ken gefähr­lich. Was muss Ihrer Mei­nung nach jetzt pas­sie­ren? Wel­che Her­aus­for­de­run­gen stel­len sich?
Wenn wir von Ver­schwö­rungs­my­then spre­chen, dann kön­nen wir eigent­lich von einer Art toxi­scher Infor­ma­tion reden. Wie begeg­net man toxi­scher Infor­ma­tion? Man muss Gegen­in­for­ma­tion lie­fern. Man muss auf brei­ter Ebene, in der Schule, in der Auf­klä­rung, in den Medien, diese Ver­schwö­rungs­my­then auf­grei­fen und mit Gegen­in­for­ma­tion kon­tern. Das ist eine sehr große Auf­gabe. Wenn wir von anti­se­mi­ti­schen Ver­schwö­rungs­le­gen­den spre­chen, müs­sen wir noch tie­fer in die Geschichte gehen und uns die Frage stel­len, wie diese toxi­schen Infor­ma­tio­nen, diese Legen­den über­haupt ent­stan­den sind. Da muss man ganz früh, ins­be­son­dere in der Schule, anset­zen und die Geschichte wirk­lich von A bis Z erzäh­len. Es braucht eine Art Ein­mal­eins der Anti­se­mi­tis­mus­prä­ven­tion, das abruf­bar ist wie die bino­mi­schen For­meln in der Mathe­ma­tik. So hätte man diese Alarm­glo­cke im Kopf, weil man von klein auf Anti­se­mi­tis­mus gegen­über sen­si­bi­li­siert wurde. Dabei muss man den rech­ten Anti­se­mi­tis­mus genauso bekämp­fen, wie man den lin­ken und den migran­ti­schen und auch den Anti­se­mi­tis­mus aus der bür­ger­li­chen Mitte bekämp­fen muss.

Am 9. Okto­ber 2020 – zum Jah­res­tag des Atten­tats auf die Syn­agoge in Halle/Saale – haben Sie den Song „Deduschka“, auf Deutsch „Groß­va­ter“, ver­öf­fent­licht. Worum geht es?
Der Song ent­stand aus einem Wut­mo­ment her­aus. Ich führe in dem Lied eine Art Zwie­ge­spräch mit mei­nem inzwi­schen ver­stor­be­nen Groß­va­ter, der ja der Grund ist, warum ich heute in Deutsch­land lebe. Der Ver­trau­ens­vor­schuss, den er Deutsch­land gege­ben hat, ist der Grund, wes­we­gen mein Leben sich in Deutsch­land abspielt. Und in die­sem Zwie­ge­spräch mit ihm ver­su­che ich zu reflek­tie­ren und zu ver­ar­bei­ten, dass sein Ver­trau­ens­vor­schuss mir inzwi­schen voll­kom­men geraubt wor­den ist. Er ist schon einige Jahre tot und kann diese Ent­wick­lung der letz­ten Jahre nicht mit­er­le­ben und auch das, was ich als Jugend­li­cher schon erfah­ren habe, hat er nicht erlebt. Inzwi­schen habe ich gemerkt: Moment mal, so ein­fach ist das gar nicht mit dem „Nie wie­der“. Wie viel Leben wird denn die­sem „Nie wie­der“ tat­säch­lich ein­ge­haucht? Und wenn man fest­stellt, dass es viel zu wenig ist und vor allem oft­mals eben gar nicht kon­sis­tent, dann braucht man sich nicht wun­dern, wenn der Ver­trau­ens­vor­schuss dahin ist. Der Song spricht für sehr viele Jüdin­nen und Juden in die­sem Land. Ich habe zwei Kin­der und möchte nicht, dass sie die glei­chen Erfah­run­gen machen wie ich. Und dage­gen muss ich ange­hen und die jüdi­sche Per­spek­tive domi­nan­ter ins Gedächt­nis der Mehr­heits­ge­sell­schaft rufen.

„Deduschka“ ist der offi­zi­elle Song des Jubi­lä­ums­jah­res „1.700 Jahre jüdi­sches Leben in Deutsch­land“. Was bedeu­tet die­ses Jubi­läum für Sie? Und was erwar­ten Sie von dem Festjahr?
Es ist für mich ein Gefühl der Zer­ris­sen­heit, das muss ich ganz ehr­lich sagen. Juden leben hier seit 1.700 Jah­ren. Für mich ist das nichts Neues. In der jüdi­schen Geschichte weiß man das. Ich habe die Befürch­tung, dass einige die­ses „Fest­jahr“ für sich instru­men­ta­li­sie­ren möch­ten, um so zu tun, als sei doch 1.700 Jahre alles rela­tiv har­mo­nisch und fried­lich gewe­sen und nur die Jahre zwi­schen 1933 und 1945 eben pro­ble­ma­tisch. Und das ist eine Per­spek­tive und Geschichts­klit­te­rung, die ich so nie­mals gut fin­den kann. Des­we­gen ist mein Gefühl sehr zer­ris­sen. Wir könn­ten das viel mehr fei­ern, wenn wir die anti­se­mi­ti­schen Vor­fälle der letz­ten Jahre nicht hät­ten, wie Über­griffe auf Syn­ago­gen, anti­se­mi­ti­sche Gerichts­ur­teile, Isra­el­fah­nen­ver­bren­nun­gen. Die Lage ist sehr brenz­lig und eine gigan­ti­sche Auf­gabe liegt vor uns. Selbst wenn wirk­lich ein Ruck durch Deutsch­land gehen würde, durch die Bevöl­ke­rung, durch die Mehr­heits­ge­sell­schaft, durch die Poli­tik, wäre das noch eine gigan­ti­sche Aufgabe.

Zum Abschluss eine Frage zu der vom Deut­schen Kul­tur­rat mode­rier­ten Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion. Die 15 The­sen der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion tra­gen den Titel „Zusam­men­halt in Viel­falt“. Was bedeu­tet für Sie per­sön­lich „Zusam­men­halt in Viel­falt“ und wel­che der 15 The­sen ist Ihre „Lieb­lings­these“?
Also, von die­sen gan­zen 15 The­sen finde ich aktu­ell These 8 „Die frei­heit­li­che Demo­kra­tie ver­langt Tole­ranz und Respekt“ wun­der­bar. Vor allem weil in dem Begleit­text zur These steht, dass man diese Tole­ranz und die­sen Respekt gegen­über Into­le­ranz auch ver­tei­di­gen muss. Zum Bei­spiel, dass man Extre­mis­mus­for­men in kei­nem Bereich dul­det. Auch die These Num­mer 15 „Kul­tu­relle Viel­falt ist eine Stärke“ gefällt mir sehr. Denn ich denke, viele, viele Hände kön­nen gemein­sam, wenn sie in Syn­er­gien arbei­ten, sehr viel errei­chen. Vor Beginn der Corona-Pan­de­mie hatte ich das erste Mal seit lan­ger Zeit das Gefühl, die Bekämp­fung von Anti­se­mi­tis­mus bekommt Auf­wind, geht in die Offen­sive. Ich habe schon das Gefühl, dass wir mehr sind. Und es wer­den immer mehr Leute, die sagen: „Es reicht!“ Und das ist wichtig.

Vie­len Dank.

Die­ses Inter­view ist unter ande­rem erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 04/2021.

Von |2021-04-01T11:45:11+02:00April 1st, 2021|Religiöse Vielfalt|Kommentare deaktiviert für

Rap, Ver­schwö­rungs­my­then und Antisemitismus

Der Rap­per Ben Salomo im Gespräch

Ben Salomo ist ein aus Israel stammender Rapper und Songwriter. Kristin Braband ist Referentin für kulturelle Integration beim Deutschen Kulturrat.