Ben Salomo & Kristin Braband 1. April 2021 Logo_Initiative_print.png

Rap, Ver­schwö­rungs­my­then und Antisemitismus

Der Rap­per Ben Salomo im Gespräch

Ben Salomo heißt mit bürgerlichem Namen Jonathan Kalmanovich und wurde 1977 in Rechovot, Israel geboren. Aus einem kurzen Besuch 1981 bei seinen in Berlin lebenden Großeltern wurde ein immer längerer Besuch. Plötzlich ging Ben Salomo in Berlin in den Kindergarten, die Grund- und Oberschule. Seitdem lebt der Rapper und Songwriter in Deutschland. Als Jugendlicher entdeckte er die Rap-Musik für sich, schrieb eigene Songs, in denen er sich mit seiner jüdischen Identität befasste. Insgesamt 20 Jahre bewegte Ben Salomo sich in der Rap-Szene, bevor er ihr trotz Erfolgs den Rücken zukehrte – aus Protest.

Kristin Braband: Ihre jüdische Identität ist Thema Ihrer Songtexte. Eine Ausnahme in der Rap-Szene, die immer wieder durch gewaltverherrlichende, frauenfeindliche, homophobe und antisemitische Aussagen sowie zunehmend als Nährboden für Verschwörungsmythen auffällt. Vor etwa drei Jahren haben Sie dieser Szene den Rücken zugekehrt. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht?
Ben Salomo: Diese ganzen Verschwörungsmythen sind schon seit vielen, vielen Jahren in der Rap-Szene vorhanden. Ich würde sogar sagen, seit mindestens 15 Jahren. Das, was die Gesellschaft jetzt mitbekommt, was nun an die Oberfläche gelangt, existiert in der Rap-Szene schon sehr lange. Das erste Mal habe ich es kurz nach dem 11. September mitbekommen. Da begannen antisemitische Verschwörungsnarrative in der Rap-Szene zu fruchten und Fuß zu fassen. Am Anfang hätte man vielleicht noch denken können, das sei jetzt einfach nur so eine Art Spielerei für den Rap, aber immer mehr Rapper haben angefangen, diese Narrative tatsächlich zu glauben, insbesondere durch irgendwelche „Verschwörungsdokus“, die im Netz kursierten. Und viele Rapper haben diese Dinge dann aufgesogen und übernommen. Und das wird in den Songtexten und Interviews der Musiker reproduziert. Dazu kamen diese typischen alten, klassischen antisemitischen Verschwörungslegenden – z. B. über die Rothschilds, die die Welt beherrschen würden. „Die Rothschilds“ ist dabei eigentlich nur ein Platzhalterbegriff für Juden. Ich habe auch das Gefühl gehabt, dass gar keine Solidarität zu finden ist und die Leute das alles verharmlosen, relativieren oder sogar leugnen. Mich sogar als eine Art Schutzschild gegen Antisemitismusvorwürfe verwenden, wenn die Szene von außen für antisemitische Aussagen in Texten oder Interviews kritisiert wurde. Der „nützliche Jude“ sein, das wollte ich nicht.

Im Zuge der Corona-Pandemie haben Verschwörungsmythen auch in der Breite der Gesellschaft eine neue Aufmerksamkeit erfahren. Würden Sie sagen, dass diese Thematik in der Rap-Szene dadurch auch noch einmal verstärkt verbreitet wurde?
Sicherlich wird es die einen oder anderen in der Rap-Szene geben, die auch gewisse Verschwörungsmythen, die rund um die Corona-Pandemie existieren, aufgreifen. Was ich viel mehr sehe, ist, dass alte und teilweise sehr absurde Verschwörungsmythen, die in der Rap-Szene schon jahrelang existieren, nun durch die Corona-Pandemie in einem breiteren Teil unserer Gesellschaft verfangen. Und wenn man vorher diese Dinge mit vorgehaltener Hand gesagt hat, traut man sich heute, das klar zu artikulieren. Durch das Internet und soziale Netzwerke ist die Möglichkeit der Vernetzung so stark geworden und ein regelrechtes verschwörungsmythologisches Movement entstanden – eine Art Paralleluniversum der Verschwörungsideologen, das an der Gesellschaft vorbei existiert. Und diese hat noch gar nicht richtig erfasst, was das bedeutet.

Sie haben es schon angesprochen. Besonders in den Sozialen Medien ist die Verbreitung von antisemitischen Gedanken gefährlich. Was muss Ihrer Meinung nach jetzt passieren? Welche Herausforderungen stellen sich?
Wenn wir von Verschwörungsmythen sprechen, dann können wir eigentlich von einer Art toxischer Information reden. Wie begegnet man toxischer Information? Man muss Gegeninformation liefern. Man muss auf breiter Ebene, in der Schule, in der Aufklärung, in den Medien, diese Verschwörungsmythen aufgreifen und mit Gegeninformation kontern. Das ist eine sehr große Aufgabe. Wenn wir von antisemitischen Verschwörungslegenden sprechen, müssen wir noch tiefer in die Geschichte gehen und uns die Frage stellen, wie diese toxischen Informationen, diese Legenden überhaupt entstanden sind. Da muss man ganz früh, insbesondere in der Schule, ansetzen und die Geschichte wirklich von A bis Z erzählen. Es braucht eine Art Einmaleins der Antisemitismusprävention, das abrufbar ist wie die binomischen Formeln in der Mathematik. So hätte man diese Alarmglocke im Kopf, weil man von klein auf Antisemitismus gegenüber sensibilisiert wurde. Dabei muss man den rechten Antisemitismus genauso bekämpfen, wie man den linken und den migrantischen und auch den Antisemitismus aus der bürgerlichen Mitte bekämpfen muss.

Am 9. Oktober 2020 – zum Jahrestag des Attentats auf die Synagoge in Halle/Saale – haben Sie den Song „Deduschka“, auf Deutsch „Großvater“, veröffentlicht. Worum geht es?
Der Song entstand aus einem Wutmoment heraus. Ich führe in dem Lied eine Art Zwiegespräch mit meinem inzwischen verstorbenen Großvater, der ja der Grund ist, warum ich heute in Deutschland lebe. Der Vertrauensvorschuss, den er Deutschland gegeben hat, ist der Grund, weswegen mein Leben sich in Deutschland abspielt. Und in diesem Zwiegespräch mit ihm versuche ich zu reflektieren und zu verarbeiten, dass sein Vertrauensvorschuss mir inzwischen vollkommen geraubt worden ist. Er ist schon einige Jahre tot und kann diese Entwicklung der letzten Jahre nicht miterleben und auch das, was ich als Jugendlicher schon erfahren habe, hat er nicht erlebt. Inzwischen habe ich gemerkt: Moment mal, so einfach ist das gar nicht mit dem „Nie wieder“. Wie viel Leben wird denn diesem „Nie wieder“ tatsächlich eingehaucht? Und wenn man feststellt, dass es viel zu wenig ist und vor allem oftmals eben gar nicht konsistent, dann braucht man sich nicht wundern, wenn der Vertrauensvorschuss dahin ist. Der Song spricht für sehr viele Jüdinnen und Juden in diesem Land. Ich habe zwei Kinder und möchte nicht, dass sie die gleichen Erfahrungen machen wie ich. Und dagegen muss ich angehen und die jüdische Perspektive dominanter ins Gedächtnis der Mehrheitsgesellschaft rufen.

„Deduschka“ ist der offizielle Song des Jubiläumsjahres „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Was bedeutet dieses Jubiläum für Sie? Und was erwarten Sie von dem Festjahr?
Es ist für mich ein Gefühl der Zerrissenheit, das muss ich ganz ehrlich sagen. Juden leben hier seit 1.700 Jahren. Für mich ist das nichts Neues. In der jüdischen Geschichte weiß man das. Ich habe die Befürchtung, dass einige dieses „Festjahr“ für sich instrumentalisieren möchten, um so zu tun, als sei doch 1.700 Jahre alles relativ harmonisch und friedlich gewesen und nur die Jahre zwischen 1933 und 1945 eben problematisch. Und das ist eine Perspektive und Geschichtsklitterung, die ich so niemals gut finden kann. Deswegen ist mein Gefühl sehr zerrissen. Wir könnten das viel mehr feiern, wenn wir die antisemitischen Vorfälle der letzten Jahre nicht hätten, wie Übergriffe auf Synagogen, antisemitische Gerichtsurteile, Israelfahnenverbrennungen. Die Lage ist sehr brenzlig und eine gigantische Aufgabe liegt vor uns. Selbst wenn wirklich ein Ruck durch Deutschland gehen würde, durch die Bevölkerung, durch die Mehrheitsgesellschaft, durch die Politik, wäre das noch eine gigantische Aufgabe.

Zum Abschluss eine Frage zu der vom Deutschen Kulturrat moderierten Initiative kulturelle Integration. Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für Sie persönlich „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist Ihre „Lieblingsthese“?
Also, von diesen ganzen 15 Thesen finde ich aktuell These 8 „Die freiheitliche Demokratie verlangt Toleranz und Respekt“ wunderbar. Vor allem weil in dem Begleittext zur These steht, dass man diese Toleranz und diesen Respekt gegenüber Intoleranz auch verteidigen muss. Zum Beispiel, dass man Extremismusformen in keinem Bereich duldet. Auch die These Nummer 15 „Kulturelle Vielfalt ist eine Stärke“ gefällt mir sehr. Denn ich denke, viele, viele Hände können gemeinsam, wenn sie in Synergien arbeiten, sehr viel erreichen. Vor Beginn der Corona-Pandemie hatte ich das erste Mal seit langer Zeit das Gefühl, die Bekämpfung von Antisemitismus bekommt Aufwind, geht in die Offensive. Ich habe schon das Gefühl, dass wir mehr sind. Und es werden immer mehr Leute, die sagen: „Es reicht!“ Und das ist wichtig.

Vielen Dank.

Dieses Interview ist unter anderem erschienen in Politik & Kultur 04/2021.

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