Am 1. Februar hat in Frankreich ein der Kultur gewidmeter Sender der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt France Télévisions namens „Kulturbox“ den Betrieb aufgenommen. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) steht ein Budget von fünf Millionen Euro zur Verfügung. Der Sender soll jeden Abend eine Theateraufführung oder ein Konzert übertragen. Auch die darstellende Kunst soll gepflegt werden. Rund um die Inszenierungen werden Berichte und Live-Interviews mit Darstellern, Autoren und Kritikern ausgestrahlt. Wie die Intendantin Delphine Ernotte gegen- über der FAZ sagte, habe die zuständige Ministerin „voller Begeisterung“ zugestimmt. Das Kulturangebot soll so lange ausgestrahlt werden, bis der Kulturbereich wieder öffnet. Aber auch danach, so verspricht die Intendantin, werde man „fünfmal mehr Zeit“ als bisher für die Kultur zur Verfügung stellen. Während in Paris der Start der „Kulturbox“ bekannt gegeben worden ist, teilte der federführende ARD-Sender MDR mit, dass die geplante ARD-Kulturplattform vorerst nicht entwickelt werde. Für dieses digitale Angebot hatte die ARD ebenfalls einen Etat in Höhe von fünf Millionen Euro veranschlagt.
Diese unverständliche, kulturlose Verfügung der ARD überrascht nicht. Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow hatte bereits im November, noch vor dem endgültigen Plazet in Sachsen-Anhalt über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags, angekündigt, dass das Kulturprojekt abgesagt werden könnte. Ohne die Beitragserhöhung würde der ARD das Geld dafür fehlen, erklärte Buhrow gegenüber der Berliner Zeitung. Drohgebärden und Entscheidungen gegen die in der Corona-Pandemie stark leidende Kultur sind ein Armutszeugnis für die ARD. Dem französischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen jährlich 3,2 Milliarden Euro zur Verfügung, der ARD fast 6 Milliarden. Während es in Frankreich ohne jahrelange Debatte über den Auftrag möglich ist, kurzfristig 5 Millionen Euro für ein kulturelles Projekt zur Verfügung zu stellen, ist der reichere Verbund der neun Landesrundfunkanstalten dazu nicht in der Lage.
ARD lehnte gemeinsame Kulturplattform mit dem ZDF ab
Lobenswerterweise produzieren ARD, ZDF und Deutschlandradio während der Corona-Pandemie zusätzliche Kulturformate, übertragen Konzerte aus Wohnzimmern oder leeren Sälen, verschaffen Künstlern eine Auftrittschance und den Zuschauern ein zusätzliches kulturelles Erlebnis. Doch diese Initiativen können den systematischen Programmabbau in den Kulturangeboten der ARD und des ZDF nicht überdecken. Auf einer ARD-Kulturplattform könnten auch diese Initiativen und Ideen gebündelt werden und so mehr Zuschauer erreichen, wie es bei ZDFkultur der Fall ist. Das digitale Kulturangebot des ZDF konzentriert und präsentiert Inhalte aus diversen Genres der Hoch- und Popkultur. Hier können auch Konzerte, die während der Pandemie entstanden sind, wie „Klassik auf der Couch“, erlebt werden. Auf Facebook ist ZDFkultur bereits seit dem Start aktiv und verzeichnet dort mehr als 215.000 Abonnentinnen und Abonnenten sowie zuletzt durchschnittlich acht Millionen Videosichtungen im Monat. Auch auf YouTube soll das Social-Media-Angebot, neben den bereits bestehenden Formaten „13 Fragen“ und „Germania“, ausgeweitet werden. Als die Idee für ZDFkultur entstand, hatte man der ARD angeboten, sich zu beteiligen und eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Kulturplattform zu schaffen. Das hätte Kosten gespart und endlich einen einheitlichen beitragsfinanzierten digitalen Kulturraum ermöglicht. Doch die ARD lehnte aus organisatorischen Gründen ab. Die neue Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR), Katja Wildermuth, bekräftigte gegenüber DWDL.de, dass sich die Frage nach der digitalen Kulturplattform derzeit nicht stelle. Wenn es in Sachen Rundfunkbeitrag eine Entscheidung gebe, werde sie sich das Projekt für den BR – der sich an der ARD-Kulturplattform nicht beteiligen wollte – erneut anschauen.
Leider entsteht anhand der konkreten Sparkonzepte der Eindruck, dass „derzeit“ „niemals“ bedeutet, dass die langsame, aber stetige Absenkung des Kulturniveaus der ARD Teil einer Strategie ist, nur noch Programme zu finanzieren, die ein Massenpublikum erreichen. Der Stopp der ARD-Kulturplattform passt zu einer Vielzahl von Meldungen der letzten Wochen aus Landesrundfunkanstalten wie dem Hessischen Rundfunk (HR), Norddeutschen Rundfunk (NDR), Westdeutschen Rundfunk (WDR) und dem Rundfunk-Berlin-Brandenburg (rbb), Kulturangebote einzustellen oder zu reduzieren. France Télévisions will nach der Coronakrise „fünfmal mehr Zeit“ als bisher für die Kultur zur Verfügung stellen. Für die ARD anscheinend eine irrationale Vorstellung. Im Gegenteil, der ARD-Vorsitzende hat ja bereits Programmreduzierungen angekündigt, die anscheinend zuerst die Kultur treffen könnten. Und wahrscheinlich wird man es noch öfter zu hören bekommen, dass die Abgeordneten in Sachsen-Anhalt daran schuld seien, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk beim Kulturangebot sparen müsse, da das relativ teuer sei und man damit nicht so viele Hörer oder Zuschauer erreiche, wie beispielsweise mit einem „Tatort“ oder „Traumschiff“.
Für viel Kritik hat jüngst das Vorhaben des WDR gesorgt, das Literaturprogramm bei WDR3 zu reduzieren. So hat der Sender in einer internen E-Mail an seine Mitarbeiter die massiven Streichungen verkündet. Schon von März an soll es in der Sendung „Mosaik“ im WDR3 keine Buchrezensionen als feste Rubrik mehr geben. Insgesamt stehen vier Literatursendungen und -rubriken vor einer ungewissen Zukunft. Gerade erst hatte der NDR das „Bücherjournal“ abgeschafft, der HR sein Kulturprogramm „reformiert“.
Die Rechten drängen in den kulturellen Raum
„Die neue Rechte freut sich – sie baut die Literaturkritik nämlich gerade aus“, resümiert die Süddeutsche Zeitung (SZ) am 27. Januar 2021 diese Entwicklung: „Richtig bitter wird es dadurch, dass man in Deutschland natürlich nicht einfach aufhört, über Bücher zu diskutieren, nur weil der WDR dafür keine Energie mehr aufbringt. Diese Energie findet sich woanders: Die Zeitschriften und Blogs der ganz rechten Infosphäre bauen ihre Literaturkritik kontinuierlich aus, und sie unterbreiten den freien Kritikern, die von den öffentlich-rechtlichen Medien stempeln geschickt werden, Angebote. Die antiglobalistische, völkische, deutschblütige Rechte hat genau verstanden, dass ein Land morgen von jenen geführt wird, die heute den Kanon formulieren. Auf YouTube wimmelt es von völkischen Diskussionsrunden, die über die Verbindungen zwischen Hannah Arendt und Renaud Camus philosophieren; der Sloterdijk-Schüler Marc Jongen ist nicht nur AfD-Abgeordneter, sondern auch Obmann des Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag; in Radebeul ist der völkische Dichter Jörg Bernig als Kulturamtsleiter im vergangenen Jahr nur mit Ach und Krach verhindert worden. Die Rechten drängen in den kulturellen Raum, wo immer sie können, auf nationaler, regionaler, kommunaler Ebene, in den sozialen Netzwerken in Wort und Schrift, um ihre Sprache und ihre Begriffe zu platzieren.“ Natürlich sei mit Literaturkritik nicht das große Geld zu machen. Aber man stelle sich vor, schreibt die SZ, es gäbe so etwas wie eine öffentlich finanzierte Sendeanstalt, in der sich Literaturkritik entfalten kann, ohne ökonomischem Druck ausgesetzt zu sein.
Kultur ist Teil der DNA des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verstößt mit der Reduzierung des Kulturangebotes gegen seinen Auftrag. So heißt es im Medienstaatsvertrag: „Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge, insbesondere zur Kultur, anzubieten.“ Dazu stellt Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien Hamburgs, gegenüber medienpolitik.net fest: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss auch künftig seiner gesellschaftlichen, journalistischen und kulturellen Aufgabe gerecht werden. Dazu gehört, dass Kultur in ihrer ganzen Breite auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erlebbar ist.“ Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner Aufgabe gerecht werden könne, müsse man ihn aber auch so ausstatten, dass er seinen Auftrag erfüllen kann. Und zu dem gehörten kulturelle Angebote unzweifelhaft dazu. Sie sind seit jeher Teil der DNA des öffentlich-rechtlichen Programms. Im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte über eine Novellierung des Auftrages äußert Brosda die Erwartung, dass mit diesem Auftrag „auch die Breite der Kultur weiter im öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgebildet werden muss“. Es sei wichtig, dass man die Relevanz der Inhalte nicht nur an der sicheren Quote misst, sondern es auch als Auftrag versteht, für attraktives Programm Reichweite zu erzeugen.
Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei und Kulturminister in Sachsen-Anhalt, verweist darauf, dass bei der Argumentation der Anstalten unterschlagen werde, dass die Kulturplattform auf einen Auftrag aus dem schon 2018 beschlossenen 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrag zurückgehe, der schon vor der Debatte um die Beitragserhöhung bestand. Das ZDF habe diesen Auftrag zügig umgesetzt, die ARD lange vor sich hergeschoben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so Robra weiter, ist ein wichtiger Eckpfeiler im demokratischen Diskurs und dafür sei Akzeptanz wichtig und eine Profilschärfung des Auftrages notwendig. „Kultur muss dabei ebenso, wie beispielsweise Bildung oder Information, prominent präsent sein. Nicht ohne Grund wird in der Öffentlichkeit immer gerne auf das Leitbild von ARTE verwiesen“, formuliert der Kulturminister und Medienpolitiker aus Sachsen-Anhalt seine Vorstellung vom Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieses Meinungsbild lässt hoffen, dass die Bundesländer, die eine baldige Reform des Auftrages der öffentlich-rechtlichen Sender angekündigt hatten, den kulturellen Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ernster nehmen als die Sender und ihn quantitativ eindeutiger fassen als bisher. Die Kultur benötigt, um ihre wichtige gesellschaftliche Aufgabe erfüllen zu können, ein Nachdenken über unsere Demokratie zu befördern, verlässliche Partner und nicht gelegentliche Goodwill-Aktionen und lockere Verhältnisse. Es ist angesichts der katastrophalen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kulturlandschaft Zeit für ein Kultur-Bündnis. Einer der wichtigsten Verbündeten muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2021.