„Lernen mit Bijin“ heißt die Facebook-Gruppe, in der Bjeen Alhassan geflüchtete Frauen beim Deutschlernen und mit praktischen Tipps für den Berufsweg unterstützt. Für dieses wertvolle Engagement wurde sie mit dem Nationalen Integrationspreis 2020 ausgezeichnet. Nominiert wurde sie von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Bjeen Alhassan ist in Rojava im Norden Syriens aufgewachsen, lebt seit 2014 in Deutschland und absolvierte 2019 ihren Masterabschluss in Business Management. Aktuell arbeitet sie in der Koordinierungsstelle für Weiterbildung und Beschäftigung e.V. in Hamburg.
Vielen Dank, Bjeen Alhassan, für dein großartiges Engagement und das Teilen deiner Erfahrungen!
Für deine Facebook-Gruppe „Lernen mit Bijin“ wurdest du im vergangenen Jahr mit dem Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin ausgezeichnet. Wie kam es zu dieser Gruppe? Und was passiert da genau?
Während meines Masterstudiums habe ich als Dolmetscherin gearbeitet. Ich habe den geflüchteten Frauen Fragen gestellt, wie: Was wollen Sie machen? Warum haben Sie noch nicht Deutsch gelernt?
„Bildung hat mir geholfen, Schwierigkeiten im Leben zu überwinden.“
Ich habe gesehen, wie sehr sie sich wünschen, in Deutschland etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Im März 2020 habe ich von zu Hause gearbeitet und dachte an die Frauen, die jetzt ebenfalls zu Hause sitzen und keine Kurse besuchen können oder keine Kurse besucht haben. Da habe ich an eine Plattform für sie gedacht und eine Facebook-Gruppe gegründet.
Mit der Gruppe ermutigst du Frauen, ihr Leben in Deutschland selbst in die Hand zu nehmen, und unterstützt sie unter anderem beim Einstieg in die Arbeitswelt. Welche Motivation steckt dahinter?
Damals, im Jahr 2014, habe ich mir eine ähnliche Facebook-Gruppe gewünscht. Ich habe mir auch gewünscht, jemanden zu haben, zu dem ich aufschauen kann. Zu sehen, dass eine geflüchtete Frau es schafft, Deutsch zu lernen, in sechs Jahren einen Abschluss zu erlangen und zu arbeiten – dann kann ich das auch. Ich möchte Hoffnung und Motivation verbreiten. Geflüchtet und eine Frau zu sein, ist schwer genug, und wenn ich die Frauen auf irgendeine Weise unterstützen kann, dann mache ich das natürlich.
Momentan arbeitest du für die Koordinierungsstelle für Weiterbildung und Beschäftigung in Hamburg e.V. (KWB). In welchem Bereich bist du tätig?
Ich bin in zwei Projekten tätig. In dem Projekt „Fachkräfte für Hamburg“ arbeite ich zusammen mit der Sozialbehörde im Hamburg Welcome Center (HWC) und berate Menschen mit Fluchtgeschichte. Meine Aufgabe ist es, ihnen einen Ausbildungsplatz zu vermitteln. In dem anderen Projekt „Talent Day“ arbeite ich im Event Management und im Bereich der Berufsorientierung für Jugendliche in Medien und IT.
Du sprichst Kurdisch, Arabisch, Deutsch und Englisch. In deiner Facebook- Gruppe unterstützt du andere Frauen beim Sprachunterricht. Welche Rolle spielt Sprache in deinem Leben?
Geboren und aufgewachsen bin ich in der kurdischen Stadt Qamishlo in Syrien. Als
Minderheit aufzuwachsen war nicht einfach für mich. Wir durften in der Öffentlichkeit nicht Kurdisch sprechen, also habe ich zu Hause Kurdisch gesprochen und in der Schule Arabisch gelernt. Ich achtete darauf, perfekt Kurdisch zu sprechen, weil es meine Muttersprache ist, aber auch fließend Arabisch zu sprechen, um dazuzugehören. So begann meine Beziehung zu Sprachen und ich lernte, jede Sprache, jeden Dialekt und sogar jeden Akzent zu schätzen. Ich finde, Sprache ist ein Schlüsselfaktor der Selbstverwirklichung und Zugehörigkeit.
„Sprache ist ein Schlüsselfaktor der Selbstverwirklichung und Zugehörigkeit.“
Die 15 Thesen der Initiative kulturelle Integration tragen den Titel „Zusammenhalt in Vielfalt“. Was bedeutet für dich „Zusammenhalt in Vielfalt“ und welche der 15 Thesen ist deine „Lieblingsthese“?
„Zusammenhalt in Vielfalt“ bedeutet für mich, dass bei aller Unterschiedlichkeit unserer Kulturen es doch eine Sache gibt, die uns alle verbindet und die wir erreichen wollen: Und zwar wollen wir alle hier leben und unabhängig von unserer Herkunft zusammenarbeiten. Dadurch können wir unsere Gesellschaft täglich zu einem besseren Ort machen, für uns und für die nächsten Generationen. Unsere unterschiedlichen Kulturen sollten ein Grund sein, zusammenzukommen, um voneinander zu lernen, unsere eigene Kultur zu kennen und uns weiterzuentwickeln.
Meine Lieblingsthese ist These 11: „Bildung schafft den Zugang zur Gesellschaft.“ Bildung hat mir geholfen, Schwierigkeiten im Leben zu überwinden. Angefangen in Syrien als Frau und kurdische Minderheit bis hin zu meinem Leben in Deutschland. Bildung hat mir geholfen, selbstbewusst zu sein und zu glauben, dass ich alles erreichen kann, wovon ich träume. Sie hat mich glauben lassen, dass ich trotz meiner ethnischen Zugehörigkeit, meines Geschlechts und meines Glaubens in der Lage bin, die Welt mit den Mitteln, die ich habe, zu einem besseren Ort zu verändern.
Vielen Dank!