Der zweite Eintrag in Ijoma Mangolds neuem Buch „Der innere Stammtisch“ beginnt folgendermaßen: „Mein Charaktermakel ist Trotz. … Was für unsinnige, gewollt originelle Thesen habe ich schon aus Trotz in die Welt posaunt. … Auch der Ketzer ist leider ein Besserwisser.“ Diese wenigen Sätze illustrieren den Ton, in dem das Buch von Mangold verfasst ist. Beginnend mit dem 17. September 2019 und endend mit dem 13. April 2020 ist für jeden Tag ein Eintrag verzeichnet. Es geht um „Gott und die Welt“, um politische Fragen, um Einschätzungen zur Corona-Pandemie, immer wieder um Fridays for Future, um Alltagsrassismus, um Freundschaft und vieles andere mehr. Mangold schreibt, dass er mit seinem politischen Tagebuch angetreten ist, sich selbst zu beobachten, und stellt sich in eine Tradition des diarischen Schreibens, beginnend mit den Tagebüchern des 18. Jahrhunderts. Wer nun meint, das Buch sei rein schöngeistig, ist auf dem Holzweg. Mangold ist ein brillanter Erzähler und kluger Beobachter der Gegenwart. Er spielt mit der Sprache, lullt den Leser ein, um ihn danach umso heftiger aufzuwecken. Er ist geistreich und eitel. Er weiß um diese Eitelkeit, kokettiert teilweise mit ihr, hat aber genug Selbstironie, um sich immer wieder davon zu distanzieren. Auch wenn Mangold in seinem zweiten Eintrag damit beginnt, sich als Trotzkopf aus Prinzip in Diskussionen zu charakterisieren, um der allzu großen Harmonie in Debatten unter Gleichgesinnten zu entkommen, ist sein Buch ein Hohelied auf den Kompromiss, ohne den die Demokratie nicht lebensfähig wäre.
Gabriele Schulz
Ijoma Mangold. Der innere Stammtisch. Ein politisches Tagebuch. Hamburg 2020