Trug­bild oder Zukunftsperspektive?

Digi­ta­les Engagement

Was ist digi­ta­les Enga­ge­ment? Diese Frage wird immer wie­der gestellt, wenn es darum geht, den Zusam­men­hang von digi­ta­lem Wan­del und bür­ger­schaft­li­chem Enga­ge­ment zu ver­ste­hen. Eigent­lich ist sie aber falsch gestellt oder miss­ver­ständ­lich. Denn die Frage nach dem digi­ta­len Enga­ge­ment sug­ge­riert, dass es hier eine beson­dere digi­tale Qua­li­tät gäbe. Doch gibt es diese im Grunde nicht. Selbst wenn Com­pu­ter und Inter­net ver­wen­det wer­den, bleibt doch das Enga­ge­ment immer eine frei­wil­lige, unent­gelt­li­che, gemein­wohl­ori­en­tierte und koope­ra­tive Hand­lungs­weise, die sich als sol­che nicht digi­ta­li­sie­ren lässt. Das gilt auch für die Akti­vis­tin von Fri­days for Future oder den Hacker-Spe­zia­lis­ten vom Chaos Com­pu­ter Club, bei denen man viel­leicht am ehes­ten digi­ta­les Enga­ge­ment ver­mu­ten würde. Beide nut­zen zwar – im Gegen­satz etwa zu den »Grü­nen Damen« im Kran­ken­haus oder ehren­amt­li­cher Haus­auf­ga­ben­hilfe – tech­ni­sche Tools wie Social-Media-Kanäle oder Chat-Foren und Kol­la­bo­ra­ti­ons­platt­for­men. Doch ihr Enga­ge­ment als sol­ches bleibt »ana­log« wie eh und je. Ganz kör­per­lich sit­zen sie vor ihren Com­pu­tern und koor­di­nie­ren gemein­sam mit ande­ren ihr Enga­ge­ment für Kli­ma­schutz und Netz­si­cher­heit. Sie benut­zen zwar digi­tale Tech­nik, doch ihr Enga­ge­ment ist nicht weni­ger real als das im Off­line-Modus. Das Ange­wie­sen­sein auf unse­ren Kör­per, die schlichte Tat­sa­che, dass wir irgendwo sein müs­sen, um etwas zu tun, hält auch die tech­nik­af­fins­ten Enga­gier­ten in einer ana­lo­gen Bezie­hung zum Raum-Zeit-Kon­ti­nuum und zu ihren Mit­men­schen, mit denen sie zwar dank Inter­net über belie­bige Distan­zen in Echt­zeit kom­mu­ni­zie­ren kön­nen, die aber ebenso wie sie an phy­si­sche Prä­senz oder Nicht-Prä­senz gebun­den blei­ben. Anders gesagt: Solange wir den mensch­li­chen Kör­per nicht à la Raum­schiff Enter­prise in einen Punkt­schwarm ver­wan­deln und in der­sel­ben Sekunde an einen ande­ren Ort bea­men kön­nen, wird auch das bür­ger­schaft­li­che Enga­ge­ment immer eine »ana­loge« Tätig­keit blei­ben müssen.

Ist diese simple Fest­stel­lung ein­mal akzep­tiert, lässt sich gleich viel leich­ter über den Zusam­men­hang von Digi­ta­li­sie­rung und Enga­ge­ment dis­ku­tie­ren! Denn jetzt kön­nen wir die Chan­cen des digi­ta­len Wan­dels für Enga­ge­ment und Zivil­ge­sell­schaft beschrei­ben, ohne die »Digi­tal Nati­ves« gegen die »Digi­tal Immi­grants« oder auch »Digi­tal Igno­rants« aus­spie­len zu müs­sen. Viel­mehr kann man dafür wer­ben, dass digi­tale Tech­nik enorme Vor­teile für die Orga­ni­sa­tion des Enga­ge­ments und die damit ver­bun­de­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hält­nisse bereit­hält. Es wäre wenig hilf­reich – und es wird auch kaum noch getan –, dies infrage zu stel­len. Zudem kann man, von der ande­ren Seite betrach­tet, die Pro­bleme und Her­aus­for­de­run­gen, die mit dem digi­ta­len Wan­del eben­falls ver­bun­den sind, in den Blick neh­men, ohne gleich in Kul­tur­pes­si­mis­mus zu ver­fal­len. Bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment, so könnte der Aus­gangs­punkt der Dis­kus­sion über Wohl und Wehe der Digi­ta­li­sie­rung lau­ten, kann durch elek­tro­ni­sche Medien einen wesent­li­chen Schub erfah­ren, wenn man die damit ver­bun­de­nen Zukunfts­per­spek­ti­ven rich­tig einschätzt.

Im Ein­zel­nen könnte die Dis­kus­sion wie folgt aus­se­hen. Um digi­tale Mög­lich­kei­ten zur Orga­ni­sa­tion und Unter­stüt­zung von bür­ger­schaft­li­chem Enga­ge­ment zu nut­zen, bedarf es zunächst eines gewis­sen Maßes an digi­ta­ler Kom­pe­tenz. Haupt- und Ehren­amt­li­che in gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen benö­ti­gen Wis­sen und Qua­li­fi­ka­tion – Wis­sen über die Funk­ti­ons­weise eines Com­pu­ters, Wis­sen über die Gestal­tung von Video­kon­fe­ren­zen via Zoom, Jitsi, Teams, Wis­sen über die Nut­zung von Pro­jekt­ma­nage­ment-Tools wie Trello, oder Slack. Zur digi­ta­len Kom­pe­tenz gehört neben dem Anwen­dungs­wis­sen aber noch ein refle­xi­ves Wis­sen, das es dem oder der Ein­zel­nen ermög­licht, ein sou­ve­rä­nes Ver­hält­nis zur Welt des Digi­ta­len zu gewin­nen. Nur weil »alle« Face­book, Twit­ter oder Whats­App nut­zen, muss das für mich nicht unbe­dingt sinn­voll sein. Und wenn ich diese Dienste benutze, sollte ich sehr genau wis­sen, was dabei mit mei­nen Daten pas­siert und wel­che Rechte und Ein­fluss­mög­lich­kei­ten ich habe. Die Dis­kus­sion über digi­tale Kom­pe­tenz zieht außer­dem die Frage nach Mög­lich­kei­ten der digi­ta­len Teil­habe für alle Men­schen nach sich. Aus der digi­ta­len Spal­tung, die ziem­lich genau ent­lang der sons­ti­gen sozia­len Spal­tun­gen in unse­rer Gesell­schaft ver­läuft, erwächst ein Auf­trag an die Poli­tik, dem diese bis­lang nur unzu­rei­chend nach­ge­kom­men ist.

Eine wei­tere Debat­ten­bau­stelle im digi­ta­len Wan­del ist die Frage nach den Ent­wick­lungs­po­ten­zia­len für gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen. Viele Ver­eine, Ver­bände und Initia­ti­ven haben sich längst auf den Weg gemacht, das Thema Digi­ta­li­sie­rung stra­te­gisch zu den­ken und zu über­le­gen, wie man mit­tels Com­pu­ter­tech­nik die inne­ren Abläufe, die Außen­kom­mu­ni­ka­tion und das Ehren­amts­ma­nage­ment – sprich die Gewin­nung und Bin­dung von Enga­gier­ten – ver­bes­sern könnte. Viele andere jedoch bewe­gen sich hier hin­ge­gen noch auf einer Terra Inco­gnita oder haben nicht die Res­sour­cen wie Hard­ware, Soft­ware, kun­di­ges und tech­nik­af­fi­nes Per­so­nal, die erfor­der­lich sind, um im digi­ta­len Wan­del weiterzukommen.

Auch hier wäre die Poli­tik in Bun­des­tag und Bun­des­re­gie­rung gefor­dert, bei­spiels­weise indem man die zuwen­dungs­recht­li­chen Bedin­gun­gen bei der För­de­rung von Pro­jek­ten so ändert, dass bei jedem Pro­jekt eigens Mit­tel für die Digi­ta­li­sie­rung des Pro­jekt­trä­gers selbst bereit­ge­stellt wer­den kön­nen. Und hier wäre auch ein wich­ti­ger Ansatz­punkt für die bes­sere Ver­net­zung gemein­nüt­zi­ger Orga­ni­sa­tio­nen unter­ein­an­der – Stich­wort Online-Plattformen.

Außer­dem wäre es, um noch zwei wei­tere Aspekte zu benen­nen, wich­tig, sich um die The­men Daten­schutz und Daten­si­cher­heit sowie Demo­kra­tie­ent­wick­lung zu küm­mern. Die Daten­skan­dale der letz­ten Jahre und die Dis­kus­sion über die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung (DSGVO) haben zwar die Sen­si­bi­li­tät gestei­gert, doch gilt die Sicher­heit von Daten und damit auch der Schutz von Orga­ni­sa­tio­nen und Per­so­nen vor Miss­brauch immer noch als Fall für Fach­leute und »Beauf­tragte«. Ebenso wurde die Debatte über die Kul­tur der öffent­li­chen Kom­mu­ni­ka­tion im Inter­net bis­lang nicht mit der nöti­gen Inten­si­tät geführt.

Die fan­tas­ti­schen Mög­lich­kei­ten der »Many-to-many-Kom­mu­ni­ka­tion« im Inter­net, die jeden Emp­fän­ger zum poten­zi­el­len Sen­der machen und damit die demo­kra­tie­po­li­ti­schen Ver­hei­ßun­gen der Brecht’schen Radio­theo­rie in den Bereich des tech­nisch Mög­li­chen gera­ten las­sen, wer­den allzu oft in zer­stö­re­ri­scher Absicht genutzt. Soziale Medien wer­den zu »aso­zia­len« Medien, wenn sie – was mitt­ler­weile sehr häu­fig geschieht – für demo­kra­tie­feind­li­che Umtriebe genutzt wer­den und als bil­lige Instru­mente der Ver­brei­tung von Hass und Hetze oder oft auch hane­bü­che­nem Schwach­sinn genutzt wer­den. Hier liegt eine Auf­gabe für alle gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen, nicht nur für die­je­ni­gen, die sich dem »Kampf gegen Rechts« ver­schrie­ben haben.

Fazit: Wenn man den Zusam­men­hang von digi­ta­lem Wan­del und bür­ger­schaft­li­chem Enga­ge­ment rich­tig ver­steht, dann kann die Dis­kus­sion dar­über zu einer Wei­ter­ent­wick­lung der Zivil­ge­sell­schaft als Eck­pfei­ler der Demo­kra­tie füh­ren. Aber nur dann!

Die­ser Bei­trag ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 10/2020.

Von |2020-11-04T09:56:02+01:00Oktober 6th, 2020|Bürgerschaftliches Engagement|Kommentare deaktiviert für

Trug­bild oder Zukunftsperspektive?

Digi­ta­les Engagement

Serge Embacher ist Leiter des Projekts "Digitalisierung und Engagement" beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement.