Serge Embacher 6. Oktober 2020 Logo_Initiative_print.png

Trug­bild oder Zukunftsperspektive?

Digi­ta­les Engagement

Was ist digitales Engagement? Diese Frage wird immer wieder gestellt, wenn es darum geht, den Zusammenhang von digitalem Wandel und bürgerschaftlichem Engagement zu verstehen. Eigentlich ist sie aber falsch gestellt oder missverständlich. Denn die Frage nach dem digitalen Engagement suggeriert, dass es hier eine besondere digitale Qualität gäbe. Doch gibt es diese im Grunde nicht. Selbst wenn Computer und Internet verwendet werden, bleibt doch das Engagement immer eine freiwillige, unentgeltliche, gemeinwohlorientierte und kooperative Handlungsweise, die sich als solche nicht digitalisieren lässt. Das gilt auch für die Aktivistin von Fridays for Future oder den Hacker-Spezialisten vom Chaos Computer Club, bei denen man vielleicht am ehesten digitales Engagement vermuten würde. Beide nutzen zwar – im Gegensatz etwa zu den »Grünen Damen« im Krankenhaus oder ehrenamtlicher Hausaufgabenhilfe – technische Tools wie Social-Media-Kanäle oder Chat-Foren und Kollaborationsplattformen. Doch ihr Engagement als solches bleibt »analog« wie eh und je. Ganz körperlich sitzen sie vor ihren Computern und koordinieren gemeinsam mit anderen ihr Engagement für Klimaschutz und Netzsicherheit. Sie benutzen zwar digitale Technik, doch ihr Engagement ist nicht weniger real als das im Offline-Modus. Das Angewiesensein auf unseren Körper, die schlichte Tatsache, dass wir irgendwo sein müssen, um etwas zu tun, hält auch die technikaffinsten Engagierten in einer analogen Beziehung zum Raum-Zeit-Kontinuum und zu ihren Mitmenschen, mit denen sie zwar dank Internet über beliebige Distanzen in Echtzeit kommunizieren können, die aber ebenso wie sie an physische Präsenz oder Nicht-Präsenz gebunden bleiben. Anders gesagt: Solange wir den menschlichen Körper nicht à la Raumschiff Enterprise in einen Punktschwarm verwandeln und in derselben Sekunde an einen anderen Ort beamen können, wird auch das bürgerschaftliche Engagement immer eine »analoge« Tätigkeit bleiben müssen.

Ist diese simple Feststellung einmal akzeptiert, lässt sich gleich viel leichter über den Zusammenhang von Digitalisierung und Engagement diskutieren! Denn jetzt können wir die Chancen des digitalen Wandels für Engagement und Zivilgesellschaft beschreiben, ohne die »Digital Natives« gegen die »Digital Immigrants« oder auch »Digital Ignorants« ausspielen zu müssen. Vielmehr kann man dafür werben, dass digitale Technik enorme Vorteile für die Organisation des Engagements und die damit verbundenen Kommunikationsverhältnisse bereithält. Es wäre wenig hilfreich – und es wird auch kaum noch getan –, dies infrage zu stellen. Zudem kann man, von der anderen Seite betrachtet, die Probleme und Herausforderungen, die mit dem digitalen Wandel ebenfalls verbunden sind, in den Blick nehmen, ohne gleich in Kulturpessimismus zu verfallen. Bürgerschaftliches Engagement, so könnte der Ausgangspunkt der Diskussion über Wohl und Wehe der Digitalisierung lauten, kann durch elektronische Medien einen wesentlichen Schub erfahren, wenn man die damit verbundenen Zukunftsperspektiven richtig einschätzt.

Im Einzelnen könnte die Diskussion wie folgt aussehen. Um digitale Möglichkeiten zur Organisation und Unterstützung von bürgerschaftlichem Engagement zu nutzen, bedarf es zunächst eines gewissen Maßes an digitaler Kompetenz. Haupt- und Ehrenamtliche in gemeinnützigen Organisationen benötigen Wissen und Qualifikation – Wissen über die Funktionsweise eines Computers, Wissen über die Gestaltung von Videokonferenzen via Zoom, Jitsi, Teams, Wissen über die Nutzung von Projektmanagement-Tools wie Trello, oder Slack. Zur digitalen Kompetenz gehört neben dem Anwendungswissen aber noch ein reflexives Wissen, das es dem oder der Einzelnen ermöglicht, ein souveränes Verhältnis zur Welt des Digitalen zu gewinnen. Nur weil »alle« Facebook, Twitter oder WhatsApp nutzen, muss das für mich nicht unbedingt sinnvoll sein. Und wenn ich diese Dienste benutze, sollte ich sehr genau wissen, was dabei mit meinen Daten passiert und welche Rechte und Einflussmöglichkeiten ich habe. Die Diskussion über digitale Kompetenz zieht außerdem die Frage nach Möglichkeiten der digitalen Teilhabe für alle Menschen nach sich. Aus der digitalen Spaltung, die ziemlich genau entlang der sonstigen sozialen Spaltungen in unserer Gesellschaft verläuft, erwächst ein Auftrag an die Politik, dem diese bislang nur unzureichend nachgekommen ist.

Eine weitere Debattenbaustelle im digitalen Wandel ist die Frage nach den Entwicklungspotenzialen für gemeinnützige Organisationen. Viele Vereine, Verbände und Initiativen haben sich längst auf den Weg gemacht, das Thema Digitalisierung strategisch zu denken und zu überlegen, wie man mittels Computertechnik die inneren Abläufe, die Außenkommunikation und das Ehrenamtsmanagement – sprich die Gewinnung und Bindung von Engagierten – verbessern könnte. Viele andere jedoch bewegen sich hier hingegen noch auf einer Terra Incognita oder haben nicht die Ressourcen wie Hardware, Software, kundiges und technikaffines Personal, die erforderlich sind, um im digitalen Wandel weiterzukommen.

Auch hier wäre die Politik in Bundestag und Bundesregierung gefordert, beispielsweise indem man die zuwendungsrechtlichen Bedingungen bei der Förderung von Projekten so ändert, dass bei jedem Projekt eigens Mittel für die Digitalisierung des Projektträgers selbst bereitgestellt werden können. Und hier wäre auch ein wichtiger Ansatzpunkt für die bessere Vernetzung gemeinnütziger Organisationen untereinander – Stichwort Online-Plattformen.

Außerdem wäre es, um noch zwei weitere Aspekte zu benennen, wichtig, sich um die Themen Datenschutz und Datensicherheit sowie Demokratieentwicklung zu kümmern. Die Datenskandale der letzten Jahre und die Diskussion über die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) haben zwar die Sensibilität gesteigert, doch gilt die Sicherheit von Daten und damit auch der Schutz von Organisationen und Personen vor Missbrauch immer noch als Fall für Fachleute und »Beauftragte«. Ebenso wurde die Debatte über die Kultur der öffentlichen Kommunikation im Internet bislang nicht mit der nötigen Intensität geführt.

Die fantastischen Möglichkeiten der »Many-to-many-Kommunikation« im Internet, die jeden Empfänger zum potenziellen Sender machen und damit die demokratiepolitischen Verheißungen der Brecht’schen Radiotheorie in den Bereich des technisch Möglichen geraten lassen, werden allzu oft in zerstörerischer Absicht genutzt. Soziale Medien werden zu »asozialen« Medien, wenn sie – was mittlerweile sehr häufig geschieht – für demokratiefeindliche Umtriebe genutzt werden und als billige Instrumente der Verbreitung von Hass und Hetze oder oft auch hanebüchenem Schwachsinn genutzt werden. Hier liegt eine Aufgabe für alle gemeinnützigen Organisationen, nicht nur für diejenigen, die sich dem »Kampf gegen Rechts« verschrieben haben.

Fazit: Wenn man den Zusammenhang von digitalem Wandel und bürgerschaftlichem Engagement richtig versteht, dann kann die Diskussion darüber zu einer Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft als Eckpfeiler der Demokratie führen. Aber nur dann!

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.

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