Kir­chen für Künstler

Got­tes­dienste bie­ten Auf­tritts- und Ver­dienst­mög­lich­kei­ten für Kunstschaffende

Kir­chen sind Kul­tur­orte – und in der Corona-Krise einer der weni­gen regel­mä­ßig geöff­ne­ten Ver­an­stal­tungs­orte. In rund 20.000 deut­schen Kir­chen fin­det jeden Sonn­tag ein Got­tes­dienst statt; das bie­tet wöchent­lich Tau­sende Mög­lich­kei­ten für Kunst- und Kul­tur­schaf­fende, auch inmit­ten der Pan­de­mie auf­zu­tre­ten. Die Idee ist nicht neu, doch die „Kunde“ muss noch wei­ter gestreut wer­den. Dies tut Han­nes Lang­bein im Inter­view mit The­resa Brüheim.

The­resa Brüh­eim: Herr Lang­bein, Sie sind Kunst­be­auf­trag­ter der Evan­ge­li­schen Kir­che Ber­lin-Bran­den­burg-Schle­si­sche Ober­lau­sitz (EKBO). Was machen Sie in die­ser Funk­tion genau?

Han­nes Lang­bein: Als Kunst­be­auf­trag­ter der Lan­des­kir­che bin ich dafür zustän­dig, Gemein­den und kirch­li­che Insti­tu­tio­nen bei der künst­le­ri­schen Neu­ge­stal­tung z. B. von Kir­chen­fens­tern oder Altä­ren zu bera­ten. In der Regel initi­iert der Kunst­be­auf­tragte in sol­chen Fäl­len einen Wett­be­werb und unter­stützt die Gemein­den darin, den Radius der künst­le­ri­schen Aus­wahl zu wei­ten und die beste Lösung zu fin­den. Auch die Künst­ler­seel­sorge zählt zu mei­nem Arbeits­be­reich. Dar­über hin­aus gibt es tra­di­tio­nelle Ver­an­stal­tungs­for­mate in mei­nem Auf­ga­ben­be­reich wie den öku­me­ni­schen Ascher­mitt­woch der Künst­ler und den Kunst­got­tes­dienst „Mein Psalm“, das ist ein Lyrik­for­mat. Natür­lich gehört auch die Kul­tur­po­li­tik mit zu mei­nen Auf­ga­ben: Der Kunst­be­auf­tragte muss die gesell­schaft­li­che und kul­tur­po­li­ti­sche Ent­wick­lung im Blick haben und in Abspra­che mit der Kir­chen­lei­tung kommentieren.

Aktu­ell haben Sie gemein­sam mit dem Kul­tur­be­auf­trag­ten der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land, Johann Hin­rich Claus­sen, die Initia­tive „Kir­chen für Künst­ler“ initi­iert. Was steht dahinter?

In der Corona-Krise sind Künst­le­rin­nen und Künst­ler in akute Not gera­ten; sie haben Auf­tritts- und Ver­dienst­mög­lich­kei­ten ver­lo­ren. Kir­chen bie­ten immer schon Auf­tritts­mög­lich­kei­ten – näm­lich in den Got­tes­diens­ten. Kir­chen zäh­len zu den gro­ßen Kul­tur­trä­gern des Lan­des: In Deutsch­land gibt es um die 40.000 katho­li­sche und evan­ge­li­sche Kir­chen. Schät­zungs­weise 20.000 hal­ten jeden Sonn­tag einen Got­tes­dienst ab, das sind 20.000 poten­zi­elle Auftrittsmöglichkeiten.

Tra­di­tio­nell sind Got­tes­dienste durch unter­schied­li­che Kunst­for­men wie z. B. Musik und Lesun­gen geprägt. Es bie­ten sich viel­fäl­tige Mög­lich­kei­ten, Künst­le­rin­nen und Künst­ler zu betei­li­gen: Man kann Musi­ker, Spre­cher, Schau­spie­ler oder Per­for­mer ein­la­den. Das geschieht in ganz vie­len Kir­chen schon, das ist nichts Neues. Aber oft fehlt auf bei­den Sei­ten – sowohl bei den Kir­chen­ge­mein­den als auch bei den Kunst­schaf­fen­den – das Bewusst­sein dafür.  Got­tes­dienste erfah­ren durch Künst­le­rin­nen und Künst­ler eine ästhe­ti­sche Auf­wer­tung; umge­kehrt kön­nen sie auf­tre­ten und ver­die­nen. In St. Mat­thäus, in unse­rer Kir­che im Ber­li­ner Kul­tur­fo­rum, betei­li­gen wir regel­mä­ßig Solis­ten an unse­ren Got­tes­diens­ten – für viele ist es in die­sen Tagen der erste Auf­tritt vor Publi­kum seit Aus­bruch der Corona-Pandemie.

Wie ist die Reso­nanz aus den Lan­des­kir­chen dazu?

Alle Kunst- und Kul­tur­be­auf­trag­ten der Lan­des­kir­chen haben sich der Initia­tive ange­schlos­sen. Sie tra­gen das alle mit und in ihre Lan­des­kir­chen hin­ein. Ich erhalte auch per­sön­li­che Rück­mel­dun­gen. Aber es gibt noch kei­nen flä­chen­de­cken­den Über­blick. Wir streuen die Kunde noch weiter.

St. Mat­thäus ist Kul­tur­kir­che. Wie sieht ein Got­tes­dienst bei Ihnen aus?

In allen Got­tes­diens­ten bezie­hen wir einen musi­ka­li­schen Solis­ten ein. Das heißt, ein freier Musi­ker – ein Sän­ger oder ein Instru­men­ta­list– wirkt gemein­sam mit dem Kan­tor. Ab und an ver­ge­ben wir auch Kom­po­si­ti­ons­auf­träge. In ande­ren For­ma­ten wie dem jähr­li­chen „Mein Psalm“-Gottesdienst, unse­rem Lyrik-For­mat, wird ein Lyri­ker ein­ge­la­den, einen Psalm neu zu schrei­ben. Das hat lange Tra­di­tion. In die­sem Jahr war das Stef­fen Popp.

Anfang August wird die Tän­ze­rin Clau­dia de Serpa Soares aus dem Sasha-Waltz-Ensem­ble im Rah­men unse­res LABORa-Werk­statt­got­tes­diens­tes im Dia­log mit dem aktu­el­len Aus­stel­lungs­raum von Leiko Ike­mura per­for­men. Unsere Got­tes­dienste fin­den immer in Raum­in­stal­la­tio­nen von Künst­lern statt.

Aktu­ell hat die japa­ni­sche Künst­le­rin Leiko Ike­mura einen coro­na­spe­zi­fi­schen Raum geschaf­fen: In der Mitte des Rau­mes liegt eine Skulp­tur, Memento Mori, die uns an die Ver­gäng­lich­keit erin­nert; um sie herum
grup­piert ist der Got­tes­dienstraum, der nun ganz anders aus­sieht als sonst.

Aktu­ell darf im Got­tes­dienst auf­grund der Anste­ckungs­ge­fahr nicht gesun­gen wer­den. Ein Stück Kul­tur wurde dem Got­tes­dient somit tem­po­rär genom­men. Ist „Kir­chen für Künst­ler“ auch ein Ver­such, der Gemeinde ein ande­res Stück Kul­tur zurückzugeben?

Im Moment sind die Got­tes­dienste ästhe­tisch ver­armt. Das zen­trale Ele­ment – der Gemein­de­ge­sang – fin­det aus nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den nicht statt. Es ent­steht dadurch eine große Lücke: zum einen, was die Betei­li­gung der Gemeinde angeht, zum ande­ren, was die Schön­heit der Got­tes­dienste betrifft. Diese Leer­stelle wol­len wir durch das Ein­be­zie­hen von Künst­le­rin­nen und Künst­lern fül­len. An die­ser Stelle rei­chen sich Reli­gi­ons- und Kunst­frei­heit quasi die Hand.

Oft haben Kir­chen­ge­mein­den ein schma­les Bud­get. Inwie­weit kön­nen Künst­le­rin­nen und Künst­ler fair ent­lohnt werden?

Zur Ein­bin­dung von Künst­le­rin­nen und Künst­lern gehört auch, nicht nur über die Bezah­lung nach­zu­den­ken, son­dern ein Hono­rar zu zah­len. Der Umfang liegt natür­lich in der Obhut der Gemein­den. Das ist auch Ver­hand­lungs­sa­che zwi­schen Kir­chen­ge­mein­den und Künst­lern. Neben der Auf­wen­dung der eige­nen Mit­tel bie­tet sich die Mög­lich­keit, eine extra Kol­lekte für die am Got­tes­dienst betei­lig­ten Künst­ler zu sam­meln. Das hat Tra­di­tion. Außer­dem kön­nen sich Kir­chen­ge­mein­den auch Part­ner bzw. Spon­so­ren suchen, die bei die­ser schö­nen Auf­gabe helfen.

Vie­len Dank.

Die­ses Inter­view ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 07-08/2020.

Von |2020-07-31T10:46:46+02:00Juli 6th, 2020|Religiöse Vielfalt|Kommentare deaktiviert für

Kir­chen für Künstler

Got­tes­dienste bie­ten Auf­tritts- und Ver­dienst­mög­lich­kei­ten für Kunstschaffende

Hannes Langbein ist Direktor der Stiftung St. Matthäus, Kunstbeauftragter der EKBO und Mitinitiator von »Kirchen für Künstler«. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.