Hannes Langbein & Theresa Brüheim 6. Juli 2020 Logo_Initiative_print.png

Kir­chen für Künstler

Got­tes­dienste bie­ten Auf­tritts- und Ver­dienst­mög­lich­kei­ten für Kunstschaffende

Kirchen sind Kulturorte – und in der Corona-Krise einer der wenigen regelmäßig geöffneten Veranstaltungsorte. In rund 20.000 deutschen Kirchen findet jeden Sonntag ein Gottesdienst statt; das bietet wöchentlich Tausende Möglichkeiten für Kunst- und Kulturschaffende, auch inmitten der Pandemie aufzutreten. Die Idee ist nicht neu, doch die „Kunde“ muss noch weiter gestreut werden. Dies tut Hannes Langbein im Interview mit Theresa Brüheim.

Theresa Brüheim: Herr Langbein, Sie sind Kunstbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO). Was machen Sie in dieser Funktion genau?

Hannes Langbein: Als Kunstbeauftragter der Landeskirche bin ich dafür zuständig, Gemeinden und kirchliche Institutionen bei der künstlerischen Neugestaltung z. B. von Kirchenfenstern oder Altären zu beraten. In der Regel initiiert der Kunstbeauftragte in solchen Fällen einen Wettbewerb und unterstützt die Gemeinden darin, den Radius der künstlerischen Auswahl zu weiten und die beste Lösung zu finden. Auch die Künstlerseelsorge zählt zu meinem Arbeitsbereich. Darüber hinaus gibt es traditionelle Veranstaltungsformate in meinem Aufgabenbereich wie den ökumenischen Aschermittwoch der Künstler und den Kunstgottesdienst „Mein Psalm“, das ist ein Lyrikformat. Natürlich gehört auch die Kulturpolitik mit zu meinen Aufgaben: Der Kunstbeauftragte muss die gesellschaftliche und kulturpolitische Entwicklung im Blick haben und in Absprache mit der Kirchenleitung kommentieren.

Aktuell haben Sie gemeinsam mit dem Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, die Initiative „Kirchen für Künstler“ initiiert. Was steht dahinter?

In der Corona-Krise sind Künstlerinnen und Künstler in akute Not geraten; sie haben Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten verloren. Kirchen bieten immer schon Auftrittsmöglichkeiten – nämlich in den Gottesdiensten. Kirchen zählen zu den großen Kulturträgern des Landes: In Deutschland gibt es um die 40.000 katholische und evangelische Kirchen. Schätzungsweise 20.000 halten jeden Sonntag einen Gottesdienst ab, das sind 20.000 potenzielle Auftrittsmöglichkeiten.

Traditionell sind Gottesdienste durch unterschiedliche Kunstformen wie z. B. Musik und Lesungen geprägt. Es bieten sich vielfältige Möglichkeiten, Künstlerinnen und Künstler zu beteiligen: Man kann Musiker, Sprecher, Schauspieler oder Performer einladen. Das geschieht in ganz vielen Kirchen schon, das ist nichts Neues. Aber oft fehlt auf beiden Seiten – sowohl bei den Kirchengemeinden als auch bei den Kunstschaffenden – das Bewusstsein dafür.  Gottesdienste erfahren durch Künstlerinnen und Künstler eine ästhetische Aufwertung; umgekehrt können sie auftreten und verdienen. In St. Matthäus, in unserer Kirche im Berliner Kulturforum, beteiligen wir regelmäßig Solisten an unseren Gottesdiensten – für viele ist es in diesen Tagen der erste Auftritt vor Publikum seit Ausbruch der Corona-Pandemie.

Wie ist die Resonanz aus den Landeskirchen dazu?

Alle Kunst- und Kulturbeauftragten der Landeskirchen haben sich der Initiative angeschlossen. Sie tragen das alle mit und in ihre Landeskirchen hinein. Ich erhalte auch persönliche Rückmeldungen. Aber es gibt noch keinen flächendeckenden Überblick. Wir streuen die Kunde noch weiter.

St. Matthäus ist Kulturkirche. Wie sieht ein Gottesdienst bei Ihnen aus?

In allen Gottesdiensten beziehen wir einen musikalischen Solisten ein. Das heißt, ein freier Musiker – ein Sänger oder ein Instrumentalist– wirkt gemeinsam mit dem Kantor. Ab und an vergeben wir auch Kompositionsaufträge. In anderen Formaten wie dem jährlichen „Mein Psalm“-Gottesdienst, unserem Lyrik-Format, wird ein Lyriker eingeladen, einen Psalm neu zu schreiben. Das hat lange Tradition. In diesem Jahr war das Steffen Popp.

Anfang August wird die Tänzerin Claudia de Serpa Soares aus dem Sasha-Waltz-Ensemble im Rahmen unseres LABORa-Werkstattgottesdienstes im Dialog mit dem aktuellen Ausstellungsraum von Leiko Ikemura performen. Unsere Gottesdienste finden immer in Rauminstallationen von Künstlern statt.

Aktuell hat die japanische Künstlerin Leiko Ikemura einen coronaspezifischen Raum geschaffen: In der Mitte des Raumes liegt eine Skulptur, Memento Mori, die uns an die Vergänglichkeit erinnert; um sie herum
gruppiert ist der Gottesdienstraum, der nun ganz anders aussieht als sonst.

Aktuell darf im Gottesdienst aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht gesungen werden. Ein Stück Kultur wurde dem Gottesdient somit temporär genommen. Ist „Kirchen für Künstler“ auch ein Versuch, der Gemeinde ein anderes Stück Kultur zurückzugeben?

Im Moment sind die Gottesdienste ästhetisch verarmt. Das zentrale Element – der Gemeindegesang – findet aus nachvollziehbaren Gründen nicht statt. Es entsteht dadurch eine große Lücke: zum einen, was die Beteiligung der Gemeinde angeht, zum anderen, was die Schönheit der Gottesdienste betrifft. Diese Leerstelle wollen wir durch das Einbeziehen von Künstlerinnen und Künstlern füllen. An dieser Stelle reichen sich Religions- und Kunstfreiheit quasi die Hand.

Oft haben Kirchengemeinden ein schmales Budget. Inwieweit können Künstlerinnen und Künstler fair entlohnt werden?

Zur Einbindung von Künstlerinnen und Künstlern gehört auch, nicht nur über die Bezahlung nachzudenken, sondern ein Honorar zu zahlen. Der Umfang liegt natürlich in der Obhut der Gemeinden. Das ist auch Verhandlungssache zwischen Kirchengemeinden und Künstlern. Neben der Aufwendung der eigenen Mittel bietet sich die Möglichkeit, eine extra Kollekte für die am Gottesdienst beteiligten Künstler zu sammeln. Das hat Tradition. Außerdem können sich Kirchengemeinden auch Partner bzw. Sponsoren suchen, die bei dieser schönen Aufgabe helfen.

Vielen Dank.

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

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