Volks­sport Expo­nen­ti­al­kur­ven glätten

Die Rolle der Zivil­ge­sell­schaft bei der Erhal­tung von Tierarten

Als ich Kind war, leb­ten über viele Jahre Kleine Amei­sen­bä­ren, Taman­duas genannt, in unse­rem Haus im Kre­fel­der Zoo. Meine Eltern hat­ten sich vor­ge­nom­men, her­aus­zu­be­kom­men, wie man diese skur­ri­len Tiere hal­ten kann. So ent­wi­ckel­ten sie eine ent­spre­chende Fut­ter­zu­sam­men­stel­lung und wur­den schließ­lich durch die Welt­erst­zucht die­ser Tiere belohnt. Noch heute gehört die Zucht von Taman­duas nicht zu den leich­tes­ten tier­gärt­ne­ri­schen Übun­gen, aber sie ist mög­lich, weil wir die Grund­la­gen ihrer Lebens­ge­wohn­hei­ten ver­stan­den haben. Andere For­scher beschäf­ti­gen sich mit Amei­sen, Papa­geien oder Frö­schen. Sie alle fügen Puz­zle­stü­cke ein in unser Ver­ständ­nis der Funk­ti­ons­weise von Öko­sys­te­men, durch das wir über­haupt erst in die Lage ver­setzt wer­den, Stell­schrau­ben zu erken­nen, die für den Erhalt die­ser Sys­teme von grund­le­gen­der Bedeu­tung sind.

Wie wich­tig das Ver­ständ­nis des Zusam­men­spiels des Lebens ist, wird in der gegen­wär­ti­gen Pan­de­mie über­deut­lich. Wenn man die Erde als ein Gesamt­sys­tem betrach­tet, dann hat sich der Mensch inzwi­schen ein glo­ba­les Netz geschaf­fen, das sei­ner Struk­tur nach einer agra­ri­schen Mono­kul­tur ähnelt. Mono­kul­tu­ren sind anfäl­lig für Seu­chen. Man könnte also Corona durch­aus als eine Art Immun­re­ak­tion des Super­or­ga­nis­mus Erde verstehen.

Neben all dem Leid begrün­det diese Krise aber auch eine starke Hoff­nung. Ers­tens könnte Corona uns leh­ren, dass wir als Men­schen alle in genau einem Boot sit­zen und dabei lange nicht so unbe­zwing­bar sind, wie wir immer dach­ten, zwei­tens bekom­men wir ein­drück­lich vor­ge­führt, wie sich markt­gläu­bige Top-Popu­lis­ten in der Krise fast aus­nahms­los selbst ent­zau­bern, weil drit­tens die Mehr­heit der Men­schen, wenn es drauf ankommt, doch lie­ber fak­ten­ba­siert regiert wird.

Diese Ein­sich­ten soll­ten wir erhal­ten, wenn wir zu den lang­fris­tig noch bedroh­li­che­ren The­men wie die Arten­krise zurück­keh­ren, sie wür­den uns viel Zeit und Kraft schen­ken, zügig die rich­ti­gen Wei­chen zu stel­len. Denn die Fak­ten lie­gen auf der Hand. Je mehr Arten aus­ster­ben, desto mehr Öko­sys­teme kol­la­bie­ren, desto gerin­ger wer­den auch unsere Über­le­bens­chan­cen auf die­sem Pla­ne­ten. Die Bedeu­tung bedroh­li­cher, expo­nen­ti­ell anstei­gen­der Kur­ven sind uns inzwi­schen geläu­fig. Wir wis­sen, was zu tun ist: „Flat­ten the Curve“, wir müs­sen die Kurve abfla­chen. Und dafür brau­chen wir ein groß ange­leg­tes Pro­gramm, das an allen rele­van­ten Punk­ten gleich­zei­tig ansetzt. Die dras­ti­sche Erhö­hung der Mit­tel für Bio­di­ver­si­täts­for­schung und deren Koor­di­na­tion ist einer davon, der mas­sive Auf­bau von Kapa­zi­tä­ten im Bereich Erhal­tungs­zuch­ten ein anderer.

Eine Art zu erfor­schen und her­aus­zu­be­kom­men, was sie zum Leben braucht, ist dabei die Auf­gabe der Exper­ten. Von denen arbei­ten viele in Zoo­lo­gi­schen Gär­ten, aber auch in wis­sen­schaft­li­chen Ein­rich­tun­gen und so man­chem Pri­vat­haus­halt fin­den sich Men­schen mit gro­ßer Erfah­rung im rich­ti­gen Umgang mit Tie­ren. Sie alle leis­ten echte Grund­la­gen­ar­beit. Diese bil­det die Vor­aus­set­zung für den Auf­bau dau­er­haft erfolg­rei­cher Erhal­tungs­zucht­pro­gramme in Men­schenob­hut. Die Zoos machen seit Jahr­zehn­ten vor, dass die­ser Ansatz funk­tio­nie­ren kann, nur brau­chen wir in Zukunft der­ar­tige Pro­gramme nicht für einige Hun­dert Arten, son­dern für viele Tau­sende. Wir wis­sen – man möge den Ver­gleich ent­schul­di­gen – dass wir die Anzahl der ver­füg­ba­ren „Beatmungs­ge­räte für Arten“ ver­viel­fäl­ti­gen müs­sen, wenn wir auch diese Krise bestehen wollen.

Hier­für braucht es eine gemein­same Stra­te­gie von Zoo­lo­gi­schen Insti­tu­tio­nen und der Zivil­ge­sell­schaft. Bei „Citi­zen Sci­ence“ hel­fen Bür­ger bei der Erhe­bung und Aus­wer­tung von wis­sen­schaft­li­chen Daten, nun brau­chen wir eine starke Citi­zen-Con­ser­va­tion-Bewe­gung, um auch im Bereich der Art­erhal­tung die Agenda in die Hand zu nehmen.

Grund­le­gend hier­für sind starke Zoos, die ihre Funk­tion als fach­lich zustän­dige Exe­ku­tiv­or­gane im Bereich Art­erhal­tung aus­fül­len. Seit den 1980er Jah­ren haben sie die Metho­dik koor­di­nier­ter Erhal­tungs­zucht­pro­gramme ent­wi­ckelt, wel­che die Blau­pause für die Pro­gramme von Citi­zen Con­ser­va­tion bil­den. Das aktu­elle Dilemma der Zoos: Als meist kom­mu­nal sub­ven­tio­nierte Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen ste­hen sie unter finan­zi­el­lem Dau­er­druck. Die For­de­rung der Kom­mu­nen: Sie mögen sich doch stär­ker als Frei­zeit­in­sti­tu­tio­nen posi­tio­nie­ren und ent­spre­chend Geld ver­die­nen. In der Kon­se­quenz ist der Zuschuss­be­darf der deut­schen Zoos inner­halb der letz­ten 20 Jahre dras­tisch gesun­ken, von 60 Pro­zent Ende der 1990er Jahre in Rich­tung 20 bis 30 Pro­zent heute. Was die Stadt­käm­me­rer freut, hat jedoch weit­rei­chende Kon­se­quen­zen. So kön­nen die Zoos ihren „öffent­li­chen Auf­trag“ in den Berei­chen Art­erhal­tung und For­schung der­zeit nur sub­op­ti­mal wahr­neh­men. Die Finan­zie­rung hoheit­li­cher Ziele im Bereich Art­erhal­tung ist keine pri­mär kom­mu­nale Auf­gabe, hier ist der Bund in der Pflicht. Ein jähr­li­ches Finanz­pa­ket im drei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­reich für die rund 50 wis­sen­schaft­lich gelei­te­ten Zoos in Deutsch­land wäre ein sinn­vol­ler ers­ter Schritt, um die not­wen­di­gen Kapa­zi­tä­ten in den Berei­chen For­schungs­ko­or­di­na­tion und Erhal­tungs­zucht auf­zu­bauen. Auf diese Weise kann drin­gend benö­tig­tes Wis­sen gene­riert und in Anwen­dung gebracht wer­den, Grund­vor­aus­set­zung sowohl für die Effek­ti­vi­tät von Bio­top­schutz­maß­nah­men als auch den nach­hal­ti­gen Erfolg von Erhaltungszuchtprogrammen.

Dies allein jedoch wird nicht rei­chen, um die erfor­der­li­che Anzahl an Zucht­grup­pen pro Art zu errei­chen. Zoos haben limi­tierte Res­sour­cen. Ihre Flä­chen wer­den auch in Zukunft zum Groß­teil dafür genutzt wer­den, grö­ße­ren Tie­ren ein art­ge­rech­tes Leben zu ermög­li­chen. Für Giraffe, Eis­bär & Co gibt es auf abseh­bare Zeit keine gang­bare Alter­na­tive zur Hal­tung in zoo­lo­gi­schen Ein­rich­tun­gen und in – ebenso gema­nag­ten – Rest-Reser­va­ten im Frei­land. Hier kann die Zivil­ge­sell­schaft aktiv nur ein­ge­schränkt unter­stüt­zen. Bei der Masse an klei­ne­ren Arten, also bei vie­len Vögeln, Amphi­bien, Rep­ti­lien, Fischen, Insek­ten usw., aber sehr wohl.

Die gegen­wär­tig gerne erho­be­nen For­de­run­gen nach einem Ver­bot pri­va­ter Wild­tier­hal­tung sind vor dem Hin­ter­grund der sich abzeich­nen­den Dyna­mik der Arten­krise nicht nur kurz­sich­tig, son­dern gera­dezu fahr­läs­sig. Wir brau­chen nicht weni­ger Wild­tier­hal­tung, wir brau­chen mehr. Und, rich­tig, wir brau­chen bes­sere Hal­tun­gen, mehr Exper­tise, mehr For­schung, mehr Aus­bil­dung und vor allem eine flä­chen­de­ckende und effi­zi­ente Koor­di­na­tion der Bestände, denn unko­or­di­nierte Bestände lie­fern auf Dauer kei­nen Bei­trag zum Arterhalt.

In die­sem Bereich ist Citi­zen Con­ser­va­tion heute schon aktiv und koor­di­niert als 2018 gemein­sam vom Ver­band der Zoo­lo­gi­schen Gär­ten (VdZ), Deut­scher Gesell­schaft für Her­pe­to­lo­gie und Ter­ra­ri­en­kunde (DGHT) und Frogs & Fri­ends ins Leben geru­fene Initia­tive Erhal­tungs­zucht­pro­gramme für Amphi­bien, an denen sich jeder, der die not­wen­dige Sach­kunde und art­ge­rechte Unter­brin­gungs­mög­lich­kei­ten besitzt, betei­li­gen kann. Diese sol­len suk­zes­sive auf wei­tere Tier­klas­sen aus­ge­wei­tet werden.

Ein ent­schei­den­der Mei­len­stein soll die Grün­dung des ers­ten Citi­zen Con­ser­va­tion Cen­ters (CCC) sein, das auch phy­sisch die Lücke schlie­ßen kann zwi­schen Wis­sen­schaft und Zivil­ge­sell­schaft. Kon­zi­piert als par­ti­zi­pa­ti­ves Zucht­zen­trum ist dies der nächste Schritt im Auf­bau einer effek­ti­ven Citi­zen-Con­ser­va­tion-Bewe­gung. Ange­lehnt an aktu­elle „urban gardening“-Konzepte erlaubt das CCC Men­schen, sich außer­halb ihres eige­nen Wohn­um­fel­des dem Thema Wild­tier­hal­tung zu wid­men, dabei dank pro­fes­sio­nel­ler Unter­stüt­zung die not­wen­di­gen Prak­ti­ken zu erler­nen und so akti­ver Teil eines Arten­schutz­pro­jek­tes zu wer­den. Mit wach­sen­der Exper­tise kann so jeder Teil­neh­mer schritt­weise mehr Ver­ant­wor­tung über­neh­men, so dass per­spek­ti­visch ein Groß­teil der pfle­ge­ri­schen Arbeit im Zucht­zen­trum von enga­gier­ten Bür­gern über­nom­men wird. Gleich­zei­tig dient die Aus­bil­dung im CCC auch der Ori­en­tie­rung für ange­hende Tier­hal­ter, die mit dem Gedan­ken spie­len, pri­vat Wild­tiere zu pfle­gen, aber nicht genau wis­sen, wel­che Arten für sie und ihre Situa­tion geeig­net sein könn­ten. Alle Tiere sind und blei­ben dabei Teil des ent­spre­chen­den Erhal­tungs­zucht­pro­gramms – ein zähl- und sicht­ba­rer Bei­trag gegen das Arten­ster­ben, der sogar Spaß macht und Sinn stiftet.

Par­al­lel dazu erfüllt das CCC wich­tige Schlüs­sel­funk­tio­nen für die Orga­ni­sa­tion Citi­zen Con­ser­va­tion. Auf­grund der räum­li­chen Kapa­zi­tä­ten bie­tet es für das Pro­jekt erfor­der­li­che Unter­brin­gungs­mög­lich­kei­ten für Tiere, dient als Schu­lungs­zen­trum auf wis­sen­schaft­li­cher wie auch zivil­ge­sell­schaft­li­cher Ebene und gibt der all­ge­mei­nen Öffent­lich­keit die Mög­lich­keit, sich im Rah­men edu­ka­ti­ver Ange­bote oder in der Frei­zeit mit dem Thema Arten­viel­falt und sei­ner Bedeu­tung für uns aus­ein­an­der­zu­set­zen. Gerade im Lichte einer fort­schrei­ten­den Urba­ni­sie­rung ist die­ser Aspekt von enor­mer Bedeu­tung. Es reicht eben nicht, intel­lek­tu­ell zu ver­ste­hen, dass wir Teil des Gesamt­sys­tems sind – wir müs­sen es auch erfah­ren kön­nen. Fas­zi­na­tion und Ver­ständ­nis sind der Schlüs­sel zum Respekt. Wir müs­sen unsere Rolle neu defi­nie­ren als „pri­mus inter pares“ im Super­or­ga­nis­mus Erde.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2020.

Von |2020-07-31T09:56:39+02:00Juni 3rd, 2020|Bürgerschaftliches Engagement|Kommentare deaktiviert für

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Björn Encke ist Geschäftsführer des in Berlin ansässigen Vereins Frogs & Friends.