Sven Lili­en­ström

Viele Men­schen neh­men demo­kra­ti­sche Errun­gen­schaf­ten wie Plu­ra­lis­mus, Diver­si­tät oder Mei­nungs­frei­heit als selbst­ver­ständ­lich. Dabei scheint genau dann die Demo­kra­tie am meis­ten ins Wan­ken zu gera­ten. Mit der im Früh­jahr 2017 gegrün­de­ten Initia­tive Gesich­ter der Demo­kra­tie möchte Sven Lili­en­ström ein stär­ke­res Bewusst­sein für demo­kra­ti­sche Werte schaf­fen. Auf der Online-Platt­form der Initia­tive kann man unter dem Motto „Sign for Demo­cracy“ eine Selbst­ver­pflich­tung zum Schutz demo­kra­ti­scher Grund­werte mit­zeich­nen. Zusätz­lich gibt es in der Rubrik „Sie­ben Fra­gen an“ Inter­views mit inter­es­san­ten Per­sön­lich­kei­ten aus diver­sen Sparten.

Vie­len Dank, Sven Lili­en­ström, für ein star­kes Zei­chen für unsere Demokratie!

Im Februar 2017 haben Sie die par­tei­un­ab­hän­gige Initia­tive „Gesich­ter der Demo­kra­tie | Faces of Demo­cracy“ ins Leben geru­fen? Wie ent­stand die Idee zu die­ser Initiative?
Das Jahr 2016 hat Demo­kra­tien welt­weit her­aus­ge­for­dert – auch in Deutsch­land. Wir erin­nern uns: 2016 war das Jahr der AfD, die dank mas­si­ver Kri­tik an der Flücht­lings­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung in fünf Lan­des­par­la­mente ein­zog. Im sel­ben Jahr fand die umstrit­tene Jus­tiz­re­form in Polen statt. Auto­kra­ti­sche Struk­tu­ren in der Tür­kei und in Ungarn stell­ten zuneh­mend die freie Medi­en­be­richt­erstat­tung infrage. Emo­tio­nal auf­ge­la­dene Begriffe wie „Pro­tek­tio­nis­mus“, „Rechts­po­pu­lis­mus“ und „Ober­grenze“ domi­nier­ten die täg­li­chen Schlag­zei­len; die sozia­len Netz­werke, ein Tum­mel­platz für Dem­ago­gen und rechte Hetzer.

„Wir las­sen nicht zu, dass popu­lis­ti­sche Kräfte offen die demo­kra­ti­sche Ver­fasst­heit unse­rer Gesell­schaft infrage stellen.“

Mit Grün­dung der Initia­tive „Gesich­ter der Demo­kra­tie“ woll­ten und wol­len wir ein Zei­chen set­zen – für eine Stär­kung des Mul­ti­la­te­ra­lis­mus sowie für eine offene, plu­ra­lis­ti­sche und tole­rante Gesell­schaft. Und eine Bot­schaft an all die­je­ni­gen sen­den, die ver­su­chen, einen Spalt­pilz in diese zu trei­ben: Wir las­sen nicht zu, dass popu­lis­ti­sche Kräfte offen die demo­kra­ti­sche Ver­fasst­heit unse­rer Gesell­schaft infrage stel­len. Wenn ihr laut seid, dann sind wir lauter!

Bei der Initia­tive han­delt es sich um ein rei­nes Online-For­mat. Unter dem Motto „Sign for Demo­cracy“ kön­nen Men­schen Teil der Com­mu­nity wer­den und eine Selbst­ver­pflich­tung zum Schutz und zur Stär­kung der demo­kra­tisch-zivil­ge­sell­schaft­li­chen Grund­werte unter­zeich­nen. Mehr als 600.000 Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zer gibt es bereits. Wie beur­tei­len Sie die Ent­wick­lung des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments im Zuge der Digitalisierung?
Die Digi­ta­li­sie­rung bie­tet zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteu­ren eine Viel­zahl inter­es­san­ter Mög­lich­kei­ten: hohe Reich­weite, effek­tive Ver­net­zung, Fle­xi­bi­li­tät und Kos­ten­ef­fi­zi­enz. Dar­über hin­aus trägt sie dem demo­gra­phi­schen Wan­del und der zuneh­men­den Urba­ni­sie­rung inso­fern Rech­nung, als dass der digi­tale Wan­del bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment direkt in die „Wohn­zim­mer“ der Men­schen bringt. Jeder mit einem Inter­net­zu­gang kann sich beteiligen.

„Ein brei­ter gesell­schaft­li­cher Dia­log sollte jedoch nicht aus­schließ­lich im Inter­net stattfinden.“

Ein brei­ter gesell­schaft­li­cher Dia­log sollte jedoch nicht aus­schließ­lich im Inter­net statt­fin­den. Vor die­sem Hin­ter­grund haben wir bereits 2019 begon­nen, unsere „Off­line-Akti­vi­tä­ten“ aus­zu­bauen. Mitt­ler­weile arbei­ten wir mit Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten zusam­men – am „Inter­na­tio­na­len Tag der Tole­ranz 2019“ nahm die Initia­tive Gesich­ter der Demo­kra­tie an einer Dis­kus­si­ons­runde zum Thema zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment im Audi­max der Ruhr-Uni­ver­si­tät Bochum vor 1.500 Zuhö­rern teil.

Im bes­ten Fall ergän­zen sich digi­ta­les und ana­lo­ges Enga­ge­ment und gehen „Hand in Hand“.

Seit Sep­tem­ber 2019 gibt es auch die Initia­tive „Gesich­ter des Frie­dens“. Was hat es damit genau auf sich?
Wir alle haben das grund­le­gende Bedürf­nis, in einem siche­ren und fried­li­chen Umfeld auf­zu­wach­sen und zu leben. Ziel der Initia­tive „Gesich­ter des Frie­dens“ ist es, in einem zuneh­mend kom­ple­xen und vola­ti­len sicher­heits­po­li­ti­schen Umfeld auf Kon­flikte und Bedro­hun­gen auf­merk­sam zu machen, die im Nach­rich­ten­strom tages­ak­tu­el­ler Ereig­nisse untergehen.

Exem­pla­risch dafür lässt sich die mas­sive Ver­schlech­te­rung der Bezie­hun­gen zwi­schen den USA und China nen­nen. Ein wei­te­res Bei­spiel ist die zuneh­mende Gefähr­dung „Kri­ti­scher Infra­struk­tu­ren“ durch hybride Bedro­hun­gen aus dem Cyber­raum. Wir brau­chen drin­gend eine ver­stärkte Zusam­men­ar­beit mul­ti­la­te­ra­ler Insti­tu­tio­nen sowie einen Aus­bau der Cyber-Resi­li­enz auf euro­päi­scher Ebene.

Und wir dür­fen nicht ver­ges­sen, Ein­spruch zu erhe­ben, wenn poli­ti­sche Ent­schei­der in der Hoff­nung auf einen bes­se­ren „Deal“ mul­ti­la­te­ral aus­ge­han­delte Rüs­tungs­kon­troll­ab­kom­men wei­test­ge­hend unbe­merkt auf­kün­di­gen, als wären es Mobil­funk- oder Stromverträge!

Die Corona-Pan­de­mie brachte weit­ge­hende Ver­än­de­run­gen in unse­rem all­täg­li­chen Leben und in unse­rer sonst so selbst­ver­ständ­li­chen Frei­heit. Wel­che Gefah­ren aber auch Chan­cen sehen Sie im Zuge der Corona-Krise für unsere Demokratie?
Jede Krise ist immer auch eine Chance. Vie­len von uns ist durch die Corona-Pan­de­mie erst bewusst gewor­den, wel­che Frei­hei­ten wir als selbst­ver­ständ­lich hin­neh­men und was es bedeu­tet, diese zu verlieren.

Die von ihren Kri­ti­kern bereits tot­ge­sagte GroKo hat sich bei der Bewäl­ti­gung der Corona-Krise zusam­men­ge­rauft, das oft geschol­tene föde­rale Sys­tem unse­res Lan­des als Vor­teil erwie­sen. Die Krise hat unsere Demo­kra­tie und unsere Wirt­schaft „zwangs­di­gi­ta­li­siert“ – nie zuvor war Demo­kra­tie in Deutsch­land so digital.

Bedenk­lich wird es, wenn Rechts­po­pu­lis­ten, Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker und Geschichts­re­vi­sio­nis­ten ver­su­chen, Men­schen – die legi­time Kri­tik an der in ihren Augen zu restrik­ti­ven Corona-Poli­tik von Bund und Län­dern äußern – für ihre Zwe­cke zu instrumentalisieren.

Eben­falls bedenk­lich wäre, wenn dem Coro­na­vi­rus ein „Sicher­heits­vi­rus“ fol­gen würde. Das fra­gile Span­nungs­feld zwi­schen Frei­heit und Sicher­heit muss im Zuge der Locke­rungs­maß­nah­men wie­der­her­ge­stellt, der Macht­zu­wachs der Exe­ku­tive auf Vor­kri­sen­ni­veau redu­ziert werden.

Die 15 The­sen der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion tra­gen den Titel „Zusam­men­halt in Viel­falt“. Was bedeu­tet für Sie „Zusam­men­halt in Viel­falt“ und wel­che der 15 The­sen ist Ihre „Lieb­lings­these“?
Deutsch­land ist heute mehr denn je ein Land mit einer viel­fäl­ti­gen eth­ni­schen, kul­tu­rel­len und kon­fes­sio­nel­len Bevöl­ke­rung. Längst bestimmt Viel­falt unse­ren All­tag. In einer immer hete­ro­ge­ner wer­den­den Gesell­schaft spie­len Werte wie Offen­heit, Respekt und Tole­ranz eine her­aus­ra­gende Rolle – sie sind mehr als nur die Leit­plan­ken unse­rer Demo­kra­tie: Sie sind der „Kitt“, der uns in Viel­falt zusammenhält.

„Die Gesell­schaft, wir alle, leis­ten einen unver­zicht­ba­ren Bei­trag zum ‚Zusam­men­halt in Vielfalt‘.“

Alle 15 The­sen sind in ihrer Gesamt­heit unver­zicht­bar für eine offene und plu­ra­lis­ti­sche Gesell­schaft. Die Gesell­schaft, das sind auch die rund 31 Mil­lio­nen Ehren­amt­le­rin­nen und Ehren­amt­ler oder die Ein­kaufs­hel­fer der Corona-Krise. Die Gesell­schaft, wir alle, leis­ten einen unver­zicht­ba­ren Bei­trag zum „Zusam­men­halt in Viel­falt“ – sowohl in Kri­sen­zei­ten als auch in Zei­ten der Pro­spe­ri­tät. Meine Lieb­lings­these ist daher die Zehnte: „Bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment ist gelebte Demokratie.“

Denn: Demo­kra­tie ist kein „Per­pe­tuum Mobile“, son­dern ein kol­lek­tiv geleb­ter Ide­al­zu­stand, der unser Enga­ge­ment bedarf – unser aller Engagement!

Vie­len Dank!

Von |2020-07-07T15:50:46+02:00Juni 1st, 2020|Menschen|Kommentare deaktiviert für Sven Lili­en­ström