Bei der Wahl von Judith Wittwer zur neuen Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung Ende März war eine leitende Redakteurin an Corona erkrankt. Als Vorsichtsmaßnahme arbeitete die Redaktion, als das bekannt wurde, 14 Tage im April komplett von zu Hause aus. Bis zu diesem Zeitpunkt war auch bei den Münchnern eine Kernredaktion aus leitenden Redakteuren am Werk, die vor Ort die wichtigsten Abläufe steuerte. Dass eine der größten Tageszeitungen in Deutschland komplett im Homeoffice arbeitet, ist sicher extrem, aber so wie bei der „Süddeutschen Zeitung“ beeinflusst die Corona-Epidemie seit Mitte März die Arbeitsprozesse aller Medienhäuser und hat in vielen Fällen Inhalte und Zeitabläufe diktiert. In einem redaktionellen Beitrag stellte dazu die Frankfurter Allgemeine Zeitung fest: „Natürlich hat im Zuge der Corona-Krise auch das mobile Arbeiten bei der F.A.Z Einzug gehalten. Alle Mitarbeiter können inzwischen so arbeiten, und fast alle arbeiten derzeit mobil. Das Haus hat sich in regelmäßigen Telefon- und/oder Videokonferenzen neu organisiert: Die Kollegen aus der Informationstechnologie haben die bisherige Zentralstruktur der Systeme zu Beginn der Krise in eine dezentrale Struktur verwandelt. So gibt es im Schlechten manches Gute.“
Schwierige wirtschaftliche Situation privater Medien
Während sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf seine solide Finanzierung durch den Rundfunkbeitrag stützen kann, ist die wirtschaftliche Situation bei vielen privaten Medien problematisch, weil die Werbeumsätze stark rückläufig sind. Allein für den April geht der Spitzenverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) über alle Medien hinweg von einem Rückgang der Werbeinvestitionen von mindestens 40 Prozent aus. Im März lagen die Werbeausfälle ab dem 10. März zwischen 30 und 80 Prozent. Im Ergebnis haben viele Medienhäuser, so unter anderem Die Zeit oder die FUNKE-Gruppe, Kurzarbeit beschlossen, die Umfänge der Zeitungen reduziert oder wie bei der Neuen Rottweiler Zeitung die Druckausgabe ganz eingestellt. Die Spiegel-Gruppe plant ein Sparprogramm von 10 Millionen Euro. Besonders stark betroffen sind die lokalen Medien wie Lokalzeitungen, Anzeigenblätter oder auch Rundfunkanbieter. So erwarten die kleineren Verlage, dass die Zustellkosten für die nächste Zeit komplett vom Bund übernommen bzw. die bereits im vergangenen November zugesagte Zustellförderung in Höhe von 40 Millionen Euro endlich ausgezahlt wird.
Bei den privaten TV- und Hörfunkanbietern ist grundsätzlich nicht nur das Werbe-, sondern ebenso das Abonnenten- und Produktionsgeschäft – z. B. Filme, Serien, Sport – und der Bereich der Off-Air-Events wie Konzerte und andere Veranstaltungen betroffen, erläutert Hans Demmel, Vorstandsvorsitzender des Verbands Privater Medien (VAUNET). „Besonders dramatisch trifft es die lokalen und regionalen Medienangebote, deren Einnahmen teilweise schon heute existenzbedrohend eingebrochen sind.“
In Brandbriefen an ihre Landesregierungen haben Medienanstalten deshalb finanzielle Hilfe für die privaten Hörfunkanbieter angemahnt. So forderte Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Zentrale für neue Medien,
Soforthilfemaßnahmen des Freistaats Bayern, „um die Handlungsfähigkeit der lokalen Redaktionen in Bayern aufrechtzuerhalten“. Und der Direktor der Thüringischen Landesmedienanstalt Jochen Fasco betont, dass er die Aufgabe der Landesmedienanstalt gegenwärtig darin sehe, weitere Unterstützungsmöglichkeiten für die Veranstalter und ihre wichtige Arbeit für die Gesellschaft zu eröffnen. Ziel sei es, zusätzliche über den von Bund und Land ausgerollten Rettungsschirm hinausgehende Hilfen zur Abfederung der Übertragungskosten zu ermöglichen. Auch die für die Medienpolitik der Länder zuständige Koordinatorin, Staatsekretärin Heike Raab aus Rheinland- Pfalz, hat an Bund und Länder appelliert, bei den Hilfsprogrammen die Bedürfnisse der Radio-, Fernseh- und Presseunternehmen zu berücksichtigen und die Unternehmen in die Hilfsprogramme einzubeziehen.
Fernsehnutzung auch bei jüngeren Zielgruppen gestiegen
Wie wichtig die journalistische Arbeit in diesen schwierigen Zeiten ist und welche große Resonanz sie findet, haben mehrere Nutzerbefragungen und Reichweitenanalysen gezeigt. Die Mediennutzung nimmt derzeit über alle Verbreitungswege gleichermaßen zu. Die Fernsehdauer stieg um 18 Minuten oder 7,9 Prozent auf 244 Minuten gegenüber dem Februar. „Insbesondere die jüngere Zielgruppe wendet sich dem Medium TV derzeit wieder stärker zu“, sagt Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende der Geschäftsführung der AGF Videoforschung. Bei den 14- bis 49-Jährigen lag die Sehdauer im März bei 157 Minuten – 10 Prozent über dem Niveau vom Februar 2020. Die 14- bis 19-Jährigen sahen acht Minuten oder 15,2 Prozent mehr fern. Zwölf Minuten mehr waren es bei den 20- bis 29-Jährigen im Vergleich zum Vormonat. Bei den jüngeren Zielgruppen zeigt sich damit eine deutliche Abkehr vom rückläufigen Trend. Der größte Treiber für die Rückkehr ins TV sind die Nachrichten: „Sie vermitteln relevante Informationen, werden zur Tagesklammer und zur Richtschnur für das weitere Handeln der Menschen. Fernsehen wird das Fenster zur Welt“, so Kerstin Niederauer-Kopf. Unterhaltende TV-Formate, insbesondere Reality-Shows, würden als Realitätsersatz wahrgenommen.
Aber auch Gaming spielt bei der Mediennutzung eine wachsende Rolle. Bei Kindern ist Gaming sogar wichtiger als Streaming oder Video on Demand (VoD) und wird um 35 Prozent mehr genutzt als zuvor. Insgesamt haben für die jüngeren Zielgruppen Computer, Laptop und Tablet während der Corona-Auszeit eine große Bedeutung. Rund drei Viertel (74%) sitzen aktuell häufiger oder länger davor, um für die Schule zu arbeiten oder Videos anzuschauen. Noch stärker als ohnehin schon, wird auch das Smartphone von der Mehrheit der Heranwachsenden für Chats, Telefonie und Surfen genutzt (54%). An dritter Stelle verstärkt verwendeter Medien stehen Streamingdienste (39%), gefolgt vom Klassiker Fernsehen inklusive Mediatheken (33%).
Bei VoD gehen die Zuwächse vor allem auf eine höhere Nutzungsintensität der Bestandskunden zurück, hat das Meinungsforschungsinstitut Deloitte ermittelt. Gegenwärtig verwenden 28 Prozent der Deutschen täglich VoD-Abonnements wie Netflix oder Amazon Prime Video. Anfang des Jahres lag der Anteil bei 24 Prozent. Auch das Angebot der Mediatheken kann derzeit über alle Altersgruppen hinweg punkten: Der Anteil ihrer täglichen Nutzer ist um 55 Prozent gestiegen. Besonders der zeitlich unabhängige Konsum von Informationen rund um Covid-19 hat nach Einschätzung von Deloitte einen Nutzungsschub ausgelöst.
Zu den VoD-Gewinnern zählt auch Disney+, das erst am 24. März in Europa gestartet ist. In den sieben Tagen nach dem Start kommt der Dienst bereits auf 11,3 Millionen Downloads. Auch in den deutschen App-Download-Charts landet Disney+ seit dem Start konstant auf den vorderen Plätzen.
Fernsehen mit neuen Formaten
Mit einer flexiblen Programmgestaltung, einem hohen Informationsanteil und neuen Formaten hat sich das lineare Fernsehen auf die spezifischen Erwartungen eingestellt. „Die Corona- Krise“, betont Jörg Graf, Geschäftsführer von RTL Television, „setzt eine unglaubliche Kreativität frei.“ Wir wissen aus zahlreichen Reaktionen unseres Publikums, so Graf, dass der Unterhaltung derzeit ein besonderer Stellenwert zukomme. Viele Menschen sehnten sich nach einem Stück Normalität, nach Tagesstruktur und auch Ablenkung. RTL biete beides, weil beides wichtig ist: Information und Unterhaltung.
Der rbb nimmt die Nutzerinnen und Nutzer im Internet auf 360-Grad-Touren in das Potsdamer Barberini-Museum, das Alte Museum in Berlin und weitere Sammlungen mit. „Wenn es zu Hause eng wird, weil die Menschen kaum mehr vor die Tür gehen, können wir so wieder mehr Weite schaffen“, erläutert rbb-Intendantin Patricia Schlesinger. Mit der Aktion „Der rbb macht’s“ wurde versucht, Lücken, die im gesellschaftlichen und kulturellen Leben entstehen, weil Kulturstätten wie Museen, Konzerthäuser, Theater und Kinos nicht zugängig sind, zu schließen. Den Auftakt bildete die Übertragung von „Carmen“ aus einem leeren Saal der Deutschen Staatsoper.
Als Kultursender zeigt sich ARTE mit den Künstlerinnen und Künstlern solidarisch. Zu den Highlights zählen das tägliche Wohnzimmerkonzert „Hope@Home“ des Geigers Daniel Hope sowie die Reihe „Moment Musical“, in der internationale Künstler wie Anna Prohaska oder Avi Vital live im traditionellen Berliner Meistersaal zu sehen waren. „Wie sonst natürlich auch“, erläutert ARTE-Präsident Peter Boudgoust, „werden die Künstler und die Kreativen für ihr Engagement auf unserem Sender vergütet. Niemals kommt dem ein so hoher Stellenwert zu wie im Moment“.
Vor besonderen Herausforderungen stehen angesichts von Schulen- und Kita-Schließungen die Kinderangebote wie der Kinderkanal KiKA von ARD und ZDF. Wie Astrid Plenk, Programmgeschäftsführerin des Kinderkanals informiert, seien im Moment doppelt so viele Kinder im Medienmarkt als üblicherweise, sowohl in der Woche als auch am Wochenende. Die Kinder würden je nach Alter ihr Lieblingsangebot wählen und entsprechend breit stelle sich der KiKA linear und non-linear auf. Alle digitalen Plattformen verzeichneten sehr hohe Aufrufzahlen mit bis zu 1,2 Millionen Visits an den Wochenenden.
Bei widersprüchlichen Aussagen vertrauen 80 Prozent der Leser ihrer Zeitung
Die Suche nach verlässlichen Informationen in der Corona-Krise, aber auch nach Ablenkung macht sich ebenfalls bei den gedruckten Medien und ihren Online-Auftritten bemerkbar. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Media Analyse (agma) erreichten Tageszeitungen seit Mitte März eine um 10 Prozent höhere Reichweite. Kaufzeitungen steigern ihre Reichweite um 13 und regionale Abo-Zeitungen um 11 Prozent. Bei Publikumszeitschriften liegt die Zunahme sogar bei 25 Prozent.
Nach einer Umfrage des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) unter mehr als 4.000 Leserinnen und Lesern regionaler Tageszeitungen fühlen sich 84 Prozent von Tageszeitungen aktuell gut bzw. sehr gut durch ihren regionalen Titel informiert. Die Berichterstattung ist aus Lesersicht in der Corona-Krise besonders verlässlich (96%) und aktuell (91%), bietet verständliches Hintergrundwissen (92%), berichtet in ausreichendem Umfang aus dem Alltag von Betroffenen und dem Gesundheitssystem (93%), sortiert übersichtlich die Flut an Informationen (89%) und hilft mit konkreten Alltagsempfehlungen (85%). Bei widersprüchlichen Aussagen vertrauen 80 Prozent der Leser am ehesten ihrer Zeitung. So ist es nicht verwunderlich, dass die Printmedien während der Corona-Krise ihre verkauften Druckausgaben steigern und sogar neue Abos abschließen konnten.
Diese an sich schon beachtlichen Daten werden von den Abrufzahlen im Internet nochmals übertroffen. Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die täglichen Nutzerzahlen der journalistischen Online-Angebote sind enorm: 91 der 100 reichweitenstärksten Marken lagen über dem Februar, zahllose Anbieter gewannen 50 Prozent und mehr. Zu den Zeitungsangeboten mit der größten Relevanz zählen die Frankfurter Allgemeine Zeitung (+79,7%), die Süddeutsche Zeitung (+79,1%) und Merkur.de (+71,6%). Extreme Zuwächse gab es aber auch bei Regionalmedien wie Der Tagesspiegel (+ 95%), Berliner Morgenpost (+275,7%) Passauer Neue Presse (+95,7%) oder dem Hamburger Abendblatt (+72,2%). Bei digitalen, PDF- oder App-basierten Zeitungsausgaben steigt die tägliche Nutzung laut Deloitte insgesamt um 31 Prozent. Selbst der regelmäßige Abruf von kostenpflichtigem Premium-Content hat 25 Prozent zugelegt. Der Anteil täglicher Leser von werbefinanzierten Online-News ist um 35 Prozent gestiegen. Die Abonnements für die gesamte Digitalauflage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung liegen mittlerweile oberhalb von 150.000. Auch die digitalen Angebote der Süddeutschen Zeitung haben in diesen Tagen früher als erwartet 150.000 zahlende Nutzer gefunden.
Ob der Anstieg bei den Print- und digitalen Abonnements die Ausfälle bei den Werbeumsätzen ausgleichen wird, ist mehr als fraglich, und bei den privaten Rundfunkveranstaltern besteht noch nicht einmal eine solche Kompensationsmöglichkeit. Bereits in den vergangenen Jahren haben die Medienhäuser bei den Redaktionen gespart, Angebote reduziert und gleichzeitig die digitale Transformation vorangetrieben. Die Gefahr, dass die Corona-Krise zu einem Abbau von Medienvielfalt führt, ist also groß. Wie auch in anderen europäischen Ländern seit Jahren üblich, benötigen die privaten Medien eine zielgerichtete wirtschaftliche Unterstützung. Die geplante Vertriebsförderung des Bundes, die zudem zeitlich befristet erfolgen soll, kann hier nur ein Trostpflaster sein und zudem sind hier verfassungsrechtlich die Länder in der Verantwortung.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2020.