Kübra Gümü­say: Spra­che und Sein

„Spra­che öff­net uns die Welt und grenzt sie ein – im glei­chen Moment.“ Tag­täg­lich spre­chen wir Tau­sende Wör­ter, schrei­ben, kom­mu­ni­zie­ren über viele Wege. Spra­che kann dabei etwas Wun­der­ba­res sein, etwas Ver­bin­den­des, aber gleich­zei­tig auch aus­gren­zen und kate­go­ri­sie­ren. Hin­ter­fra­gen wir unsere eigene Spra­che? Ver­mut­lich zu selten.

In ihrem ers­ten Buch geht Kübra Gümüşay der Frage nach, wie Spra­che unser Den­ken prägt und unsere Poli­tik bestimmt. Sie macht deut­lich, wel­che Macht Spra­che hat und wie diese unser Wahr­neh­men ver­än­dert – so wer­den z. B. in ver­schie­de­nen Spra­chen auch Dinge unter­schied­lich wahr­ge­nom­men. Wir brau­chen Spra­che, um Dinge zu benen­nen, sie sicht­bar und begreif­bar zu machen. Doch genau darin liegt auch ein Pro­blem. Gümüşay schreibt von „Benann­ten“ und „Benen­nen­den“, die selbst oft „Unbe­nannte“ sind: Die­je­ni­gen, die benannt wer­den, sind Ein­ge­sperrte in ihrer Defi­ni­tion, sie wer­den im Kol­lek­tiv betrach­tet und somit ihrer Indi­vi­dua­li­tät beraubt: „Die jüdi­sche Frau“, „Der Schwarze Mann“, „Der Geflüch­tete“ und viele mehr. Schub­la­den, in die auch Kübra Gümüşay gesteckt wird. Mit vie­len Bei­spie­len unter­streicht sie die Pro­bleme, die kate­go­ri­sie­rende Spra­che mit sich bringt: Ste­reo­ty­pen wer­den aus­ge­prägt, Fremd­bil­der ver­zerrt, Per­so­nen ihrer Viel­deu­tig­keit beraubt, ent­mensch­licht. In „Die Agenda der Rech­ten“ macht Gümüşay zudem deut­lich, wel­chen Ein­fluss Spra­che im Umgang mit Rech­ten hat, und geht der Frage nach, wie wir als Gesell­schaft über unsere Pro­bleme spre­chen kön­nen, ohne den Hass der Rech­ten zu nähren.

Spra­che ist mäch­tig. Und Macht bedeu­tet Ver­ant­wor­tung. Die­ses Buch trägt dazu bei, sich die­ser bewuss­ter zu wer­den. Für eine Spra­che, die Kate­go­rien nicht zu Käfi­gen wer­den lässt, son­dern Men­schen in ihrem Facet­ten­reich­tum exis­tie­ren lässt. Für freies Spre­chen und gemein­schaft­li­ches Den­ken in einer sich pola­ri­sie­ren­den Welt.

Maike Kar­ne­bo­gen

Kübra Gümüşay. Spra­che und Sein. Mün­chen 2020

Von |2020-05-04T12:47:04+02:00April 3rd, 2020|Rezension|Kommentare deaktiviert für Kübra Gümü­say: Spra­che und Sein
Maike Karnebogen ist Redaktionsassistentin für die Zeitung Politik & Kultur beim Deutschen Kulturrat.