Wie gehen Enkelkinder mit den Erinnerungen ihrer Großeltern als Auschwitz-Überlebende um? Inwiefern nimmt das Erlebte der Großeltern auch Einfluss auf das Leben der Enkelinnen und Enkel im Hier und Jetzt? Und welche Rolle spielte die zweite Generation im Erinnerungsprozess? In ihrem Buch „Leben mit Auschwitz. Momente der Geschichte und Erfahrungen der dritten Generation“ befasst sich Andrea von Treuenfeld mit Eindrücken und dem Umgang der Erinnerungen von Überlebenden der Nazi-Verfolgungen aus Perspektive der dritten Generation. Mithilfe von 14 Interviews – im Wechsel gefolgt von markanten Ereignissen nach 1945, beispielsweise die juristische Ahndung der Nazi-Verbrechen, die Ernennung des Auschwitz-Denkmals zum UNESCO Weltkulturerbe, die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema und vieles mehr – erhält der Leser neben sehr persönlichen Eindrücken auch bündige Hintergrundinformationen.
Anhand der Erzählungen der interviewten Enkelinnen und Enkel wird der sehr unterschiedliche Umgang mit traumatischen Erlebnissen deutlich. Ihre Großeltern waren jüdischen Glaubens, politisch Verfolgte, Sinti und Roma – sie überlebten Auschwitz, weitere Konzentrationslager und qualvolle Todesmärsche. Vielen von ihnen fiel das Sprechen über das Erlebte nach Kriegsende schwer. Besonders die eigenen Kinder, die zweite Generation, spürten dennoch unmittelbar die Verarbeitung des Erlebten. Die dritte Generation erfährt die Erinnerungen ihrer Oma oder ihres Opas auf ganz andere Art und Weise und stellt vor allem andere Fragen.
Die Lehren aus Auschwitz sind vielfältig. Eines ist ihnen dennoch gemein: Sie richten sich gegen jede Form der Ausgrenzung und Diskriminierung. Annika von Treuenfeld’s Buch handelt von erstaunlichen Überlebensgeschichten – oder vielmehr von Geschichten erstaunlichen Überlebenswillens. Ein lesenswertes Buch, welches nicht nur zeigt, dass die Erinnerung an die Shoah wachgehalten werden muss, sondern gleichzeitig mögliche Wege dessen aufzeigt.
Kristin Braband