Einer breiteren Öffentlichkeit ist die 1949 gegründete Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung vornehmlich durch den von ihr vergebenen Georg-Büchner-Preis, den angesehensten deutschen Literaturpreis, bekannt; sie nimmt die Akademie deshalb vor allem als eine Institution des literarischen Lebens wahr. Dabei zeigt schon ihr Name, dass die Beschäftigung mit dem sprachlichen Fundament der Gesellschaft zu den vordringlichen Aufgaben der Akademie gehört. Die Arbeit der Akademie wird geleitet von der Überzeugung, dass Reichtum und Lebendigkeit der Sprache eine wesentliche Voraussetzung für Reichtum und Lebendigkeit des gesellschaftlichen Zusammenlebens bilden. Die Akademie hält die herausragende Bedeutung der Sprachkultur im Bewusstsein und verschafft der Literatur als einem maßgeblichen Ort der Erneuerung und Reflexion der Sprache ein Forum.
Seit ihrer Gründung beobachtet die Akademie als kritische Instanz die Entwicklung der deutschen Sprache und begleitet sie durch ihre fachlichen Stellungnahmen. Es geht ihr dabei nicht vorrangig um eine ästhetisch argumentierende Stilkritik, sondern sie versteht ihre Spracharbeit vor allem im Sinne einer Teilhabe an den aktuellen politisch-gesellschaftlichen Prozessen. Sie beobachtet und analysiert grundsätzliche Entwicklungen, die für den allgemeinen Sprachgebrauch von Wichtigkeit sind: auf den Ebenen der Schriftsprache und der Umgangssprache, der politischen Sprache und der Sprache in den sozialen Medien, der Wissenschaftssprache und der Sprache der Literatur. Ziel der Spracharbeit ist es, begründete Orientierungen für das jeweils eigene Sprachbewusstsein und die eigenen stilistischen Entscheidungen zu bieten. Dies geschieht mit dem Ziel der Aufklärung über sprachliche Zusammenhänge, also ohne jeden normativen Anspruch; repräsentativ hierfür ist die in Frageform formulierte Erklärung des Präsidiums der Akademie zur gendergerechten Sprache, die jüngst auf der Homepage der Akademie veröffentlicht wurde.
Im vergangenen Jahrzehnt ist die Bedeutung der Sprachkommission der Akademie unter der Leitung von Peter Eisenberg und Wolfgang Klein stetig gewachsen; seitdem sie eine konstruktive Rolle in der Diskussion über die Rechtschreibreform gespielt hat, nimmt die öffentliche Resonanz ihrer Arbeit deutlich zu.
Um die operative Basis für ihre Spracharbeit so vergrößern zu können, dass ihre Memoranden zur Situation der deutschen Sprache auf einer tragfähigen wissenschaftlichen Basis stehen, hat die Akademie die Zusammenarbeit mit der Union der deutschen Wissenschaftsakademien gesucht und über Mitgliedschaften das Institut für deutsche Sprache und das Max Planck-Institut für Psycholinguistik einbezogen.
Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit liegen bisher zwei Berichte zur Lage der deutschen Sprache vor; der erste untersucht „Reichtum und Armut der deutschen Sprache“ (2013) unter anderem anhand des Wortschatzes, der Anglizismen und der Entwicklung der Flexion, der zweite von 2017 widmet sich „Vielfalt und Einheit der deutschen Sprache“ und analysiert das Verhältnis des Standarddeutschen unter anderem zu den Regionalsprachen, der Jugendsprache, dem Deutsch von Migranten und der Kommunikation im Internet.
Die außerordentlich intensive öffentliche Resonanz beider Sprachberichte bestärkt die Akademie darin, auf diesem Wege fortzufahren, also die Entwicklung der deutschen Sprache in weiteren wissenschaftlich fundierten Sprachberichten zu beschreiben und damit den notwendigen und notwendigerweise kontroversen öffentlichen Sprachdebatten eine verlässliche Grundlage zu geben. In Arbeit befindet sich derzeit ein dritter Bericht, der sich der Lage des Deutschunterrichts in den Schulen widmet: einem Thema von brennender Aktualität auch angesichts der ständig steigenden Zahlen von Schülern mit Migrationshintergrund und mit vielfältiger kultureller Prägung.
Die Spracharbeit der Akademie profitiert erheblich davon, dass ihr Autoren und Gelehrte aus allen Weltteilen angehören, die der deutschsprachigen Kultur als Übersetzer, Kulturvermittler, Germanisten oder Historiker auf besondere Weise verbunden sind; so können vielfältige Erfahrungen mit den sprachlichen Entwicklungen in anderen Ländern und Kulturen für die wissenschaftliche und literarische Auseinandersetzung mit der eigenen Sprache fruchtbar gemacht werden. Es gehört im Übrigen zum Anspruch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dass sie einen Beitrag zur Auswärtigen Kulturpolitik und zum produktiven Kulturdialog zwischen den deutschsprachigen Ländern und anderen Nationen, insbesondere Europas, leisten will. Die in 20 Ländern – von den USA bis nach Japan und Australien – lebenden Mitglieder der Akademie tragen als Repräsentanten und Vermittler der deutschen Sprache und Literatur erfolgreich zur kulturellen Außendarstellung Deutschlands bei. Der kulturpolitische Auftrag der Akademie dokumentiert sich auch darin, dass sie alljährlich bei ihren häufig im europäischen Ausland stattfindenden Frühjahrstagungen den Friedrich-Gundolf-Preis für die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland und den Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung verleiht.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.