Wie werden ethnische Minderheiten in den Medien dargestellt? Schon an der Formulierung der Frage kann man stellvertretend für die gesamte Debatte um Migration und soziale Integration eine der vorherrschenden Perspektiven des gesellschaftlichen Diskurses ablesen. Die Frage wird meist im Passiv gestellt.
Die Perspektive impliziert erstens, dass etwas mit den genannten Minderheiten geschieht, sie sind in der Rolle derjenigen, mit denen etwas angestellt wird. Dieser Blickwinkel wird häufig auch ganz generell in der öffentlichen Debatte um den gesellschaftlichen Integrationsprozess eingenommen. Sozialwissenschaftliche Ansätze nehmen dagegen weniger statische Zuschreibungen der aktiven und der passiven Rollen in diesem Prozess vor. Die Perspektive impliziert zweitens, dass dies mehr oder weniger undifferenziert in „den Medien“ stattfindet bzw. von den Medien als gesellschaftlicher Institution erledigt wird. Dabei hat sich insbesondere unsere Medienumwelt in den letzten zehn Jahren massiv gewandelt. Mediennutzung geht heute weit über die Rezeption journalistischer oder fiktionaler Inhalte hinaus und ragt als interaktive interpersonale und Netzwerkkommunikation weit in die private Lebenswelt hinein.
Dazu kommt natürlich noch die Frage, um wen es hier überhaupt geht. Es existiert eine vergleichsweise lange Tradition der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Repräsentation ethnischer Minderheiten in den Massenmedien. Besonders in den großen, traditionell als Einwanderungsländer geltenden Nationen wie USA und Australien und den europäischen Ländern mit kolonialer Herrschaftsgeschichte – z. B. Großbritannien, Spanien, Frankreich – kam mit der Entwicklung der modernen Massenmedien auch die Frage nach der Behandlung, dem Vorkommen, der Repräsentation und Partizipation gesellschaftlicher Gruppen auf, die sprachlich, religiös und kulturell aus anderen Kontexten stammten als diejenigen, die schon seit mehr als ein oder zwei Generationen in diesen Ländern gesellschaftlich verankert waren. Besonders intensiv war und ist diese Forschung im anglo-amerikanischen Raum, in dem bis vor wenigen Jahren auch das – im deutschen Sprachraum aus nachvollziehbaren Gründen schwer zu übersetzende – Konzept der „racial origin“ ein wesentliches Element der ethnischen Zuschreibung zu gesellschaftlichen Gruppen war. Noch heute wird in den Einwanderungsstatistiken der USA zwischen „Hispanics, Asians, Whites and Blacks“ unterschieden, wenn es um die Herkunft der Immigranten und ihre Anteile an der amerikanischen Bevölkerung geht.
Häufig ist die Frage nach der medialen Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen normativ aufgeladen. Als Minderheiten in einer demokratischen Mehrheitsgesellschaft „sollen“ sie in angemessener Weise thematisiert werden, zu Wort kommen und am öffentlichen Diskurs teilhaben. Diese normative Perspektive schlägt sich buchstäblich etwa im Rundfunkstaatsvertrag und in den Landesmediengesetzen vieler Bundesländer nieder, wenn es um die Vorschriften zur inhaltlichen Vielfalt in öffentlich-rechtlichen und privaten Medieninhalten geht. Aus einer sozialwissenschaftlich-analytischen Perspektive stellt sich hier die Frage, warum diese Art der medialen Repräsentation gesellschaftlich relevant ist und auf welche gesellschaftlichen Gruppen sie sich bezieht.
Dabei spielen einerseits die Idee der sozialen Identität und andererseits die Idee der gesellschaftlichen Partizipation eine grundlegende Rolle. Die Idee einer demokratischen Öffentlichkeit impliziert, dass – jedenfalls soweit gesellschaftliche Diskurse medial ausgetragen werden – das Vorkommen in der Berichterstattung und den Narrativen der Medien identitätsstiftend ist. Die Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Gruppe und das individuelle Zugehörigkeitsgefühl zu dieser Gruppe konstituieren sich durch die medial vermittelte Eigen- und Fremdwahrnehmung als Gemeinschaft in Verbindung mit und in Abgrenzung zu anderen. Mit anderen Worten – und frei nach Descartes: Ich existiere in den Medien, also bin ich. Mediale Repräsentation bedeutet folglich in seiner passiven Form die Zuschreibung von Zugehörigkeit. Sie ist darüber hinaus Vorbedingung für die aktive Partizipation an der gesellschaftlichen Kommunikation, wenn es um die Klärung gesellschaftlicher Normen, aktueller Streitfragen und die Mitwirkung an politischen Entscheidungen geht.
Strittig ist dabei durchaus, was in diesem Zusammenhang als „angemessen“ verstanden werden kann. Sollen etwa gesellschaftliche Gruppen und damit auch ethnische Minderheiten proportional zu ihrer statistischen Verteilung in der Bevölkerung, ihrem Anteil an den Wahlberechtigten oder ihrem Beitrag zum Bruttosozialprodukt medial etc. repräsentiert sein? Oder haben Medien die ebenfalls normativ im gesellschaftlichen Diskurs zu stellende Aufgabe, die Bedeutsamkeit einer gesellschaftlichen Gruppe herzustellen bzw. medial zu konstruieren? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten und sind aus einer empirisch-analytischen Perspektive heraus auch nicht in erster Linie wissenschaftsimmanent, sondern gesellschaftlich-politisch zu behandeln.
Wenn es um die Frage der medialen Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund und/oder ethnischen Minderheiten geht, ist es leichter darüber zu sprechen, was Medien in diesem Zusammenhang nicht leisten (sollen). In diese Richtung deuten auch die meisten kommunikationswissenschaftlichen Befunde, wenn es um die empirische Untersuchung der medialen Repräsentation gesellschaftlicher Minderheiten mit ethnischen Merkmalen geht. Drei Syndrome gelten in diesem Zusammenhang als Stand der Forschung:
Ethnische Minderheiten werden marginalisiert, d. h. sie kommen nicht in angemessenem Umfang vor oder gar selbst zu Wort. Ethnische Minderheiten werden stereotyp und häufig anhand von Vorurteilen dargestellt, d. h. Angehörigen dieser Minderheiten werden Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen und soziale Rollen zugeschrieben, die auf gruppenbezogenen Verallgemeinerungen basieren. Und schließlich: Angehörige ethnischer Minderheiten werden kriminalisiert oder mindestens überproportional häufig mit gesellschaftlich abweichendem Verhalten und individueller Vorteilsnahme auf Kosten der Allgemeinheit in Verbindung gebracht, unabhängig von ihrem individuellen Verhalten. Die Folgen dieser Syndrome der medialen Repräsentation sind Stigmatisierung, Ausgrenzung und soziale Desintegration – sowohl aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft als auch aus der Perspektive der ethnischen Minderheit.
Hinzu kommen noch die eingangs genannten Bezugspunkte, die zum Teil als Ursache und zum Teil als Folge dieser Befunde betrachtet werden können. Sie bedeuten nämlich erstens, dass in der massenmedialen Berichterstattung vor allen über und nicht mit oder gar von Angehörigen ethnischer Minderheiten kommuniziert wird – was die Frage nach Repräsentation und Diversität in der institutionalisierten Inhalteproduktion, also am Redaktionstisch und hinter der Kamera aufwirft. Und sie werden zweitens in Zusammenhang mit der Nutzung und Verbreitung gemeinschaftlicher, z. B. fremdsprachiger Medien aus dem Herkunftskontext ethnischer Minderheiten, gebracht, in denen soziale Repräsentation und Gruppenidentitäten geboten werden – wenn auch häufig aus einer auf die jeweilige Gemeinschaft bezogenen Binnenperspektive. Lokale Ethnomedien, Auslandsausgaben großer Tageszeitungen, Expat-News sind Beispiele, die in diesem Zusammenhang häufig genannt werden.
Mit Blick auf den digitalen Medienwandel und die vollkommen veränderten globalen Migrationsbewegungen muss man allerdings einige Einschränkungen machen. Diese Befunde stammen, insbesondere soweit sie sich auf Deutschland beziehen, vor allem aus dem ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende, also aus einer Zeit, in der mobile Kommunikation und soziale Netzwerke noch buchstäblich in den Kinderschuhen steckten. Heute stehen für die Selbstdarstellung, ethnische Identitätsbildung und soziale Repräsentation von Minderheiten ganz andere, nicht im klassischen Sinn massenmediale Plattformen und Kanäle zu Verfügung. Darüber hinaus hat sich der Blick auf ethnische Minderheiten in Deutschland fundamental gewandelt. Neben der Verlagerung von der Herkunfts- und Migrationsperspektive auf die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als ethnisches Merkmal, die auch international als „shift to religion“ identifiziert wird, hat vor allem das Thema Flucht und Asyl die politische Migrationsdebatte, die mediale Berichterstattung und die soziale Struktur der migrantischen Gruppen in Deutschland fundamental verändert.
Methodologisch stellt sich für die wissenschaftliche Untersuchung solcher Phänomene ein weiteres schwerwiegendes Problem: Wie kann man die Personen mit Migrationserfahrung oder -familiengeschichte, Religionszugehörigkeit oder anderer soziokultureller Herkunftsmerkmale in Medieninhalten zuverlässig identifizieren? Ist das überhaupt außerhalb der expliziten Diskurse des Migrations-, Religions- oder Minderheitenthemas möglich – ohne damit weiter das „Sprechen über“ als vorherrschende Perspektive einzunehmen? Und kann man Akteure und Angehörige ethnischer Minderheiten in der alltäglichen, thematisch universellen Berichterstattung, in Shows, in Filmen und Serien identifizieren, ohne die oben genannten Stereotypen, die sich auf Aussehen, Kleidung, Berufsrollen etc. beziehen, zu reproduzieren? Dafür gibt es bisher keine befriedigenden, wissenschaftlichen Qualitätskriterien standhaltende Lösung.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.