Ich lernte die deutsche Sprache lieben über die englische. Englischsprachige Musik ließ mich neugierig auf den Inhalt des Gesungenen werden. Die Antworten auf meine Fragen waren damals verhältnismäßig banal, aber das Geheimnis der fremden Sprache und das Erlernen von Grammatik schärften den Verstand und den Blick für die eigene.
Während Englisch für mich eine Sprache der erzählerischen Eleganz darstellt, die mit hintergründigen Höflichkeitsfloskeln, Gerundien und Partizipien der Entschlüsselung harrte, bot das Deutsche Präzision. Noch heute male ich mit in Deutsch geschriebenen Texten andere, konkretere erzählerische Bilder als im Englischen. Doch neben die Liebe zur Fremdsprache trat die zur eigenen.
Mit Deutsch als Muttersprache aufzuwachsen bietet verschiedene Vorteile. Man lernt eine komplexe, eben präzise und wichtige Sprache, deren Kenntnis das Lernen verwandter Sprachen leichter macht. Kommunikationsfähiges Deutsch als Fremdsprache zu lernen ist schwerer als vielleicht Englisch oder Spanisch, und das, obwohl unsere Sprachen zumindest teilweise ähnliche Wurzeln aufweisen.
Im Spanischunterricht an der Universität Hannover lernte ich kennen, welchen Frust eine unzureichende Sprachkenntnis in mir auslöste. Die Aufgabe der Dozentin, im ersten Semester frei zu sprechen, konnte ich nicht umsetzen. Wir hatten bis dahin nur Präsensformen gelernt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits drei Romane geschrieben und war langes, ausformuliertes Erzählen gewohnt. Als ich eben frei erzählen wollte, was ich gegessen oder getan hatte, scheiterte ich am Mangel der Kenntnis des Perfekts. Wer keine Vorzeitigkeit ausdrücken kann, ist nicht in der Lage, auch nur die unwichtigsten Ereignisse des Tages zu erzählen, geschweige denn, in Kommunikation, in einen Austausch zu treten.
Wie sich Deutsch lernt, wenn man aus einem völlig anderen – z. B. arabischen – Kulturkreis stammt, kann ich nur aus meinem Respekt für eben jene Sprachfamilie erahnen. Das Erlebnis im Spanischunterricht lässt mich aber vermuten, dass die Frustration, mit mangelhaften Sprachkenntnissen mit Menschen in Kontakt zu treten, groß sein muss.
Die Barriere, die die Sprache hier stellt, ist immens; umso mehr, wenn man in der eigenen Sprache vielleicht lange Berufserfahrung oder gar einen Doktortitel erworben hat. Hier wird die Präzision des Deutschen zum Fluch, erhöht sie doch das Gefälle zwischen dem angehäuften Wissen und der Fähigkeit, es zu formulieren.
Selbst Banalitäten wie eine Unterhaltung über die aktuelle Fernsehserie, ein gutes Buch oder eben das Abendessen müssen so zur Herausforderung werden oder finden dann – aus mangelnder Sprachkenntnis – nicht statt, es sei denn, die Sprache fliegt einem zu. Eine Integration in den Diskurs des Tagtäglichen ist ohne die Sprache des Landes, in dem man lebt, kaum möglich. Und so grenzt Sprache bereits aus, ohne dass Menschen aktiv diskriminiert werden.
Und gleichzeitig verändert sich Sprache durch und mit der Gesellschaft. Sprache ist ein beinahe lebender Organismus, dem Millionen von Menschen Leben einhauchen. So wie das Jiddische und das Französische Spuren in unserer Sprache hinterlassen haben, werden andere Sprachen Einfluss nehmen – und das Deutsche dadurch vielleicht reicher machen.
Der gesellschaftliche Wandel, der im Augenblick am meisten Spuren hinterlässt, ist wohl das Gendern. Auch Politik & Kultur meint Frauen im generischen Maskulin mit, so sehen es die Schreibvorgaben vor. Tatsache ist, dass sich immer weniger Frauen mitgemeint fühlen. Die wohlwollende Unsichtbarkeit, das Aufgehen der Frauen hinter den Männern in der Öffentlichkeit, all das wird heute mehr und mehr Geschichte. Viele Studien beweisen, dass sich mehr Frauen und Diverse auf ansonsten als männlich wahrgenommene Stellen bewerben. Repräsentation in der Öffentlichkeit macht einen Unterschied.
Hier schlägt die Stunde der Autorinnen und Autoren. Ohne uns einem Zwang zu unterwerfen, können wir ungewöhnliche, starke Frauenfiguren, Schwule, Lesben oder Transgender, in unseren Büchern respektvoll darstellen. Mit dem scharfen Blick der Mann’schen Augendiebe ausgestattet, können wir wahrnehmen, aufzeigen und repräsentieren. Als Autorin sehe ich eine Pflicht darin, nicht nur eindimensional zu charakterisieren, sondern vielschichtig.
Für mich als Autorin hat der Umweg über die Fremdsprachen, die ich im Laufe meines Lebens lernen durfte, viel Bewusstsein für die Muttersprache hervorgerufen. Sprachlich ist man als Erzählerin gezwungen, abzuwägen zwischen Verständlichkeit und Zugänglichkeit auf der einen und einer formschönen Erzählsprache auf der anderen Seite.
Sprache – ob Deutsch oder Englisch – bleibt meine große Liebe. Schlussendlich aber ist Sprache ein Werkzeug dessen, was gesagt werden muss; dessen, was manche Menschen wünschen, das ungesagt bliebe. Lassen Sie es uns sagen.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.