Die Feststellung, dass wir in einem Zeitalter zunehmender Konflikte leben, mag eine Binse sein. Trotzdem sollten uns nicht nur die Zahlen, sondern auch die Komplexität und Internationalisierung von Konflikten – ein Drittel werden als inter-nationalisierte Bürgerkriege gekennzeichnet – zu denken geben, vor allem aber die vielfältigen, zum Teil sich überlagernden Konfliktursachen und religiöse und ideologische Überformung.
Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik und in ihrer Ausrichtung auf einen sogenannten „positiven Frieden“, wie es Johan Galtung, der Gründungsvater der Friedens- und Konfliktforschung, genannt hat, will sie einen Beitrag leisten für einen Zustand, der sich nicht auf die Abwesenheit organisierter kollektiver Gewaltausübung bezieht, sondern zusätzlich auf die Abwesenheit struktureller Gewalt.
Angestoßen durch den sogenannten Review-Prozess, wurde hierzu im Auswärtigen Amt 2015 eine eigene Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und Humanitäre Hilfe gegründet, die das Krisenengagement bündelt – gerade auch mit Blick auf den zyklischen Ablauf von Konflikten, wie er von Niklas Swanström und Mikael Weissmann entwickelt wurde.
In diesem Zusammenhang hat sich auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik verändert. Holzschnittartig gesagt: Zur humanitären Hilfe tritt die Hilfe zur Humanität dazu. Indem die zentrale Frage des Zuganges zu Kultur und Bildung mit besonderem Blick auf Krisenzeiten und -regionen diskutiert und Lösungen gesucht werden. Hierbei bauen wir, so wie es der Tradition und Überzeugung der Auswärtigen Kulturpolitik entspricht, in allererster Linie auf die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. So haben sich viele Mittler und Partnerorganisationen des Auswärtigen Amts in den Flüchtlingsregionen engagiert, ob unmittelbar in der Arbeit mit Geflüchteten z. B. im Libanon oder der Türkei, ob durch die Öffnung der deutsch-türkischen oder deutsch-jordanischen Universität für Geflüchtete oder im Bereich des Erhaltes und Schutzes des kulturellen Erbes – hier sei nur die verdienstvolle Arbeit des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) erwähnt und das von ihm aufgebaute Expertennetzwerk „Archaeological Heritage Network“.
Denn – und das ist in dieser Zeitung des Öfteren diskutiert worden – der Erhalt dessen, was man als kulturelles Erbe bezeichnet, ermöglicht durch den Zugang zu der als „eigene“ wahrgenommenen Fremdheit des Vergangenen die Möglichkeit, auch aktuell scheinbar Fremdes als Eigenes zu begreifen. Es ist ein Beitrag zu einer Ambiguitätstoleranz, die – das wissen wir seit Theodor W. Adornos Arbeiten dazu – wichtiges Element nicht-autoritärer Gesellschaften ist.
Hinzu treten Elemente der strukturellen Prävention, d. h. Beiträge, friedliche Konfliktlösungsmechanismen in den Gesellschaften etablieren zu helfen. An vielen Stellen ist hier das Goethe-Institut tätig. Prominentestes Beispiel für eine strukturelle Veränderung aber ist vielleicht das deutsch-kolumbianische Friedensinstitut, das mit großer Unterstützung des Deutschen Bundestages aufgebaut wurde und seit 2017 das im Vorjahr geschlossene Friedensabkommen unterstützt. Hier werden Friedensforschung und gesellschaftliche Praxis zusammengedacht und zusammengebracht, und es könnte als Modell für ein weiteres Engagement der Auswärtigen Bildungspolitik im Bereich der Stabilisierung und Krisenprävention dienen.
Um Zugang zu Kultur und Bildung über soziale, geografische und politische Grenzen hinweg geht es aber nicht nur im Ausland. Sondern in Zeiten, in denen sich Innen und Außen eben nicht mehr trennscharf definieren lassen, geht es auch um den Beitrag von „Außen“ in unsere Gesellschaft hinein. Goethe-Institute sind eben auch Experten transnationaler Kultur. Hinzu kommt unser Beitrag für Flüchtlinge, damit sie ihr Studium in den Erstaufnahmeländern aufnehmen können. Die Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative Albert Einstein (DAFI), die seit über 25 Jahren mit dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) durchgeführt wird und längst keine „deutsche“ mehr ist, ermöglicht genau das knapp 7.000 Stipendiatinnen und Stipendiaten. Doch auch in unserem eigenen Land engagieren wir uns. Auch aus historischer Verantwortung. Andere Länder haben es uns vorgemacht, als sie in den 1930er Jahren Tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern, die aus Deutschland fliehen mussten, mit speziellen Programmen unterstützt haben, auch im Exil in ihren Berufen weiter zu arbeiten. Programme wie das Scholars at Risk Network (SAR) oder die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft im Ausland, die USA oder die Türkei seien hier nur als Beispiele genannt.
Deutschland hatte solche Programme auf der Ebene der Bundesregierung nicht. Bis durch die Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Heiko Maas 2015 die Philipp Schwartz-Initiative (PSI) für verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bzw. 2018 die Martin Roth-Initiative (MRI) für gefährdete Künstlerinnen und Künstler gegründet wurden.
Die Philipp Schwartz-Initiative hat bisher 160 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre Arbeit in ihrer Heimat aufgrund von Krieg, eingeschränkter Forschungsfreiheit oder Verfolgung nicht fortsetzen konnten, geholfen, an Hochschulen in Deutschland Fuß zu fassen. Die Martin Roth-Initiative bietet gefährdeten Kunst- und Kulturschaffenden Schutz, indem sie ihnen vorübergehende Arbeitsaufenthalte an sicheren Orten innerhalb der Herkunftsregion oder in Deutschland ermöglicht. Profitiert haben davon im ersten Jahr des Bestehens der Initiative mehr als 30 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus unterschiedlichen Regionen, von Zentralasien über Nahost, Subsahara-Afrika und Lateinamerika bis nach Europa. Profitiert vom fortgesetzten Wirken und der Gestaltungskraft gefährdeter Wissenschaftler, Kunst- und Kulturschaffender haben auch die Herkunftsgesellschaften – und nicht zuletzt unsere eigene Gesellschaft.
Vor wenigen Wochen war der zweite Jahrestag des Todes von Martin Roth. Er war mir Freund und Mentor, so wie er vielen Menschen auf der Welt Freund und Mentor war. Er stand für eine engagierte, streitbare und fortschrittliche Kulturpolitik und wir hoffen, dass wir mit dem nach ihm benannten Programm, aber auch mit einer Auswärtigen Kulturpolitik, die sich der Frage „What can culture do?“ stellt, seinem Erbe gerecht werden.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.