„Die Zivil­ge­sell­schaft muss sicht­bar bleiben“

Viel­falt in der Rechts­extre­mis­mus­prä­ven­tion wei­ter stärken

Die Ama­deu Anto­nio Stif­tung wird unter ande­ren durch „Demo­kra­tie leben!“ geför­dert. Die Umstruk­tu­rie­rung des Bun­des­pro­gramms wirkt sich direkt auf den För­der­schwer­punkt Rechts­extre­mis­mus und Gen­der der Stif­tung aus. The­resa Brüh­eim spricht mit dem Geschäfts­füh­rer Timo Reinfrank über Kon­se­quen­zen, For­de­run­gen und die Rolle der Zivilgesellschaft.

The­resa Brüh­eim: Herr Reinfrank, das Ziel der Ama­deu Anto­nio Stif­tung ist es, eine demo­kra­ti­sche Zivil­ge­sell­schaft zu stär­ken, die sich kon­se­quent gegen Rechts­extre­mis­mus, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus posi­tio­niert. Wie set­zen Sie die­ses Ziel in der Pra­xis um?
Timo Reinfrank: Unsere Stif­tung ist gegrün­det wor­den, um Betrof­fene rech­ter Gewalt und zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­ti­ven zu unter­stüt­zen. Auch durch unse­ren Namen haben wir eine Ver­pflich­tung. Ama­deu Anto­nio wurde in Ebers­walde von Rechts­extre­mis­ten ermor­det. Unser Leit­satz lau­tet: „Ermu­ti­gen, Bera­ten, För­dern“. Als Stif­tung för­dern wir kleine Initia­ti­ven und Pro­jekte, sei es eine Jugend­gruppe, eine Schule, eine Kom­mune oder eine Reli­gi­ons­ge­meinde, die sich vor Ort für Demo­kra­tie ein­set­zen. Ein Bei­spiel ist das Netz­werk für demo­kra­ti­sche Kul­tur in Wur­zen im Land­kreis Leip­zig, das war in den 1990er Jah­ren eine „No-Go-Area“. Dort wur­den sys­te­ma­tisch nicht­rechte Jugend­li­che bedroht und ver­trie­ben, Obdach­lo­sen wur­den die Augen aus­ge­sto­chen – um klar­zu­ma­chen, das ist eine natio­nal befreite Zone. Das Jugend­zen­trum war auch in die Hand der Rech­ten gelangt. Um die Jugend­li­chen vor Ort zu unter­stüt­zen, haben wir eine Fund­rai­sing-Kam­pa­gne gestar­tet und mit vie­len, vie­len Spen­dern das alte Dom­her­ren­haus gekauft, um ein eige­nes Jugend­zen­trum auf­zu­bauen. Heute ist es ein Treff­punkt für demo­kra­ti­sche Kul­tur im gan­zen Land­kreis Leip­zig. Durch das Zen­trum ist das demo­kra­ti­sche Enga­ge­ment und die Nicht­ak­zep­tanz von rech­ter Gewalt gewach­sen, lang­sam wird ein Umschwung sicht­bar. Ähn­li­ches haben wir an meh­re­ren Orten schon ver­sucht zu beglei­ten bzw. zu initi­ie­ren. Das ist „Good Practice“.

Ein zwei­tes ganz ande­res ope­ra­ti­ves Pro­jekt­bei­spiel ist „Debate“. Damit soll die digi­tale Debat­ten­kul­tur in den sozia­len Netz­wer­ken gestärkt wer­den, um sich aktiv gegen Men­schen­feind­lich­keit ein­zu­set­zen, um Rechts­extre­mis­mus, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus zu wider­spre­chen und um die­je­ni­gen zu unter­stüt­zen, die sich im Netz enga­gie­ren. Wir über­prü­fen, wo es Radi­ka­li­sie­rung im Netz gibt und ver­su­chen dann, offen und trans­pa­rent Leute anzu­spre­chen. Wir fra­gen direkt: Das ist Teil digi­ta­ler Sozi­al­ar­beit – „Digi­tal Street­work“. Es geht um auf­su­chende Ansätze der Prä­ven­tion. Wir wol­len damit auch andere ermu­ti­gen, Men­schen­feind­lich­keit in den sozia­len Netz­wer­ken nicht ste­hen zu lassen.

Sucht sich die Ama­deu Anto­nio Stif­tung in ihrer För­de­rung bewusst Orte, in denen rechts­extreme Ten­den­zen vor­herr­schen, um dort dage­gen zu halten?
Nein, wir ver­su­chen, die Jugend­li­chen, die Initia­ti­ven, die Bür­ger­grup­pen vor Ort, die sich gegen rechte Ten­den­zen weh­ren, zu unter­stüt­zen. Darin sind wir sehr erfolg­reich, denn wir arbei­ten dau­er­haft mit die­sen zusam­men. Die Idee ist, die Leute nicht allein zu las­sen, son­dern sie zu ver­net­zen und zu unter­stüt­zen. Wir haben z. B. mit Udo Lin­den­berg und den Brot­hers Kee­pers Ver­an­stal­tun­gen vor Ort gemacht, um zu zei­gen: Ihr seid nicht allein! Ihr habt Unter­stüt­zung – auch pro­mi­nente. Wir sind auch mit dem dama­li­gen Bun­des­tags­prä­si­den­ten nach Wur­zen gefah­ren und haben dort dis­ku­tiert. Häu­fig ist die Situa­tion, dass sich die Leute mit ihren Pro­ble­men und Angrif­fen nicht ernst­ge­nom­men fühlen.

Sie för­dern ver­schie­dene Pro­jekte, selbst erhal­ten Sie aber auch eine För­de­rung durch das Bun­des­pro­gramm „Demo­kra­tie leben!“ im The­men­feld Rechts­extre­mis­mus und Gen­der. Aktu­ell steht die Umstruk­tu­rie­rung des Pro­gramms „Demo­kra­tie leben!“ bevor. Inwie­weit wird diese die Arbeit der Ama­deu Anto­nio Stif­tung beeinflussen?
Es ist schwie­rig, denn das The­men­feld „Rechte Frauen“ einer­seits und das gen­der­ori­en­tierte Arbei­ten ande­rer­seits haben keine große Bedeu­tung mehr im Pro­gramm „Demo­kra­tie leben!“. Das war in der Ver­gan­gen­heit anders. Zahl­rei­che Stu­dien zei­gen, dass Anti­fe­mi­nis­mus und Frau­en­feind­lich­keit ein zen­tra­les Ein­stiegs­mo­ment in die extrem rechte Szene ist – gerade im digi­ta­len Raum und in sozia­len Netz­wer­ken. Es ist Teil des Syn­droms grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit: Die Wahr­schein­lich­keit, dass jemand, der Sexis­mus, Frau­en­feind­lich­keit, Anti­fe­mi­nis­mus und ande­res aus­lebt, auch eher bereit ist, ande­ren men­schen­feind­li­chen Ein­stel­lun­gen zuzu­stim­men, ist hoch. Daher hal­ten wir die Aus­ein­an­der­set­zung mit Anti­fe­mi­nis­mus für einen zen­tra­len Punkt der Rechtsextremismusprävention.

Umbruch­si­tua­tio­nen sind immer schwie­rig. Des­we­gen wer­ben wir seit Jah­ren für ein Demo­kra­tie­ge­setz, das eine Kon­ti­nui­tät in der Arbeit stärkt. Es gibt immer wie­der Unklar­heit in der För­de­rung z. B. durch Ände­run­gen der För­der­richt­li­nien. Dadurch gibt es häu­fig „Bra­in­drain“: Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter suchen sich andere, siche­rere Jobs. Es ist öko­no­misch schwie­rig, sich in die­sem dis­kon­ti­nu­ier­li­chen und häu­fig auch schlecht bezahl­ten Bereich der sozia­len Arbeit zu enga­gie­ren. Es führt dazu, dass Pro­zesse unter­bro­chen oder been­det wer­den. Häu­fig ver­läuft eine erfolg­rei­che Pro­jekt­pra­xis dann im Sande. In unse­rem Fall haben wir viel zur Bedro­hung von Frauen- und Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ten durch die radi­kale Rechte gear­bei­tet. Wie die Arbeit da jetzt genau wei­ter­geht, wis­sen wir nicht. Das ist schwie­rig, denn es besteht ein rie­si­ger Bedarf.

Gibt es über die Unsi­cher­heit der Umbruch­si­tua­tion hin­aus wei­tere kon­krete Auswirkungen?
Wir wis­sen bereits, dass die Zahl der Modell­pro­jekte erheb­lich redu­ziert wird. Als Zivil­ge­sell­schaft haben wir uns immer sehr stark für diese Pro­gramme enga­giert. Sie sind auch Teil eines zivil­ge­sell­schaft­li­chen Erfolgs­mo­dells in der Arbeit gegen Rechts­extre­mis­mus. Der Bund hat in den letz­ten Pro­gramm­pha­sen immer mehr kom­mu­nale, staat­li­che Akteure in die För­de­rung gebracht. Häu­fig man­gelt es immer noch an Pro­blem­be­wusst­sein. Wir müs­sen dafür kämp­fen, dass der zivil­ge­sell­schaft­li­che Anteil an den Pro­gram­men sicht­bar bleibt und nicht nur kom­mu­nale Insti­tu­tio­nen, Städte, Kreise und Län­der geför­dert wer­den. Das ist im Moment meine größte Sorge, gerade weil wir nicht wis­sen, wie sich die poli­ti­sche Situa­tion durch die rechts­ra­di­kale AfD nach den Wah­len ändern wird.

Sie spü­ren einen Aner­ken­nungs­ver­lust der Zivil­ge­sell­schaft im Pro­gramm „Demo­kra­tie leben!“?
Genau. Ich würde mir wün­schen, dass Kom­mu­nen, Städte und Län­der sehen, dass sie sich finan­zi­ell stär­ker betei­li­gen müs­sen. Das tun einige Bun­des­län­der bereits her­vor­ra­gend, aber eben noch nicht alle. Der Bund sollte stär­ker auf die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen ach­ten und wie­der mehr zivil­ge­sell­schaft­li­che Struk­tu­ren fördern.

Zudem wirkt das Pro­gramm an man­chen Stel­len ein biss­chen aus der Zeit gefal­len. Es hat nach wie vor den Fokus auf Jugend. Ich finde auch, der länd­li­che und der digi­tale Raum sind für die Demo­kra­tie­ar­beit nicht ange­mes­sen in „Demo­kra­tie leben!“ reprä­sen­tiert. Das Bun­des­mi­nis­te­rium des Innern, für Hei­mat und Bau hat zwar ein ande­res Pro­gramm, „Zusam­men­halt durch Teil­habe“. Hier wer­den grö­ßere Orga­ni­sa­tio­nen in länd­li­chen Kon­tex­ten geför­dert. Aber das kann nicht die Ant­wort auf die große Demo­kra­tie­ferne sein, die vor allem in länd­li­chen Regio­nen herrscht und dort über Jahr­zehnte gewach­sen ist. Wir haben es dort mit einer sich ver­här­ten­den Milieu­bil­dung zu tun. Wir brau­chen dort mehr poli­ti­sche Bil­dungs­ar­beit – auch mit neuen auf­su­chen­den For­ma­ten. Da wün­sche ich mir mehr Inno­va­tion. Es fehlt dabei auch die Arbeit mit älte­ren Men­schen. Senio­ren spie­len bei der Iden­ti­täts­bil­dung von Jugend­li­chen eine wich­tige Rolle über Eltern und Groß­el­tern. In die­sem Bereich wün­sche ich mir mehr Pro­jekte. Und eben nicht den Ver­such ord­nend mit zum Teil sehr star­ren För­der­leit­li­nien ein­zu­grei­fen. Das geht immer auch auf Kos­ten von Viel­falt. Und die brau­chen wir in der Rechts­extre­mis­mus­prä­ven­tion, um mög­lichst unter­schied­li­che Grup­pen, The­men und Akteure mitzunehmen.

Die Zivil­ge­sell­schaft ist wich­ti­ger Part­ner bei „Demo­kra­tie leben!“. Das Pro­gramm ist mei­nes Erach­tens aber eher Top-down orga­ni­siert. Sehen Sie das auch so? Ver­stärkt die Umstruk­tu­rie­rung diese Aus­prä­gung zusätzlich?
Wich­tig zu wis­sen ist, dass die Ama­deu Anto­nio Stif­tung eines der ers­ten Bun­des­pro­gramme, „CIVITAS – initia­tiv gegen Rechts­extre­mis­mus in den Neuen Bun­des­län­dern“, mit­ent­wi­ckelt und umge­setzt hat. Wir hat­ten gese­hen, dass es häu­fig eine wenig gezielte För­de­rung der Zivil­ge­sell­schaft gibt. Staat­li­che Finan­zie­rung ist für viele Trä­ger wich­tig, gerade bei kri­ti­schen The­men und Pro­ble­men. Im Bereich der Rechts­extre­mis­mus­prä­ven­tion herrscht mitt­ler­weile ein Kon­sens zwi­schen Bund und Zivil­ge­sell­schaft. Aber wenn es z. B. um Anti­zi­ga­nis­mus oder Feind­schaft gegen Obdach­lose geht, ist es sehr viel schwie­ri­ger eine Finan­zie­rung ein­zu­wer­ben. Da fehlt es noch häu­fig am gesell­schaft­li­chen Problembewusstsein.

Ich hätte mir von­sei­ten des Minis­te­ri­ums auf­grund unse­rer Exper­tise eine stär­kere Ein­bin­dung der Zivil­ge­sell­schaft gewünscht und eine dau­er­hafte Aner­ken­nung als Part­ner. Es geht viel ver­lo­ren, wenn wir das nicht als gemein­same Auf­gabe betrach­ten. Außer­dem irri­tiert mich, dass nun bei „Demo­kra­tie leben!“ ein Rechts­extre­mis­mus- und ein Links­extre­mis­mus-Kom­pe­tenz­zen­trum mit der­sel­ben Mit­tel­aus­stat­tung geför­dert wer­den soll, als ob beide Pro­bleme auf ähn­li­cher Ebene wären. Aktu­ell sucht die Gefähr­dung im Bereich des Rechts­extre­mis­mus und die abseh­bare Ent­wick­lung zum Rechts­ter­ro­ris­mus vor dem Hin­ter­grund der Ermor­dung des Kass­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lüb­cke ihres­glei­chen vor der Geschichte der Wei­mar Repu­blik. Mir macht diese Ent­wick­lung wirk­lich Angst und mir ist es wich­tig, dass ange­sichts der Bedro­hung alle demo­kra­ti­schen Kräfte geschlos­sen dage­gen ste­hen und wir alle Res­sour­cen zur Prä­ven­tion und zur Inter­ven­tion mobilisieren.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 07-08/2019.

Von |2019-07-19T10:37:29+02:00Juli 19th, 2019|Allgemein, Bürgerschaftliches Engagement|Kommentare deaktiviert für

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Viel­falt in der Rechts­extre­mis­mus­prä­ven­tion wei­ter stärken

Timo Reinfrank ist Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.