Timo Reinfrank & Theresa Brüheim 19. Juli 2019 Logo_Initiative_print.png

„Die Zivil­ge­sell­schaft muss sicht­bar bleiben“

Viel­falt in der Rechts­extre­mis­mus­prä­ven­tion wei­ter stärken

Die Amadeu Antonio Stiftung wird unter anderen durch „Demokratie leben!“ gefördert. Die Umstrukturierung des Bundesprogramms wirkt sich direkt auf den Förderschwerpunkt Rechtsextremismus und Gender der Stiftung aus. Theresa Brüheim spricht mit dem Geschäftsführer Timo Reinfrank über Konsequenzen, Forderungen und die Rolle der Zivilgesellschaft.

Theresa Brüheim: Herr Reinfrank, das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung ist es, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus positioniert. Wie setzen Sie dieses Ziel in der Praxis um?
Timo Reinfrank: Unsere Stiftung ist gegründet worden, um Betroffene rechter Gewalt und zivilgesellschaftliche Initiativen zu unterstützen. Auch durch unseren Namen haben wir eine Verpflichtung. Amadeu Antonio wurde in Eberswalde von Rechtsextremisten ermordet. Unser Leitsatz lautet: „Ermutigen, Beraten, Fördern“. Als Stiftung fördern wir kleine Initiativen und Projekte, sei es eine Jugendgruppe, eine Schule, eine Kommune oder eine Religionsgemeinde, die sich vor Ort für Demokratie einsetzen. Ein Beispiel ist das Netzwerk für demokratische Kultur in Wurzen im Landkreis Leipzig, das war in den 1990er Jahren eine „No-Go-Area“. Dort wurden systematisch nichtrechte Jugendliche bedroht und vertrieben, Obdachlosen wurden die Augen ausgestochen – um klarzumachen, das ist eine national befreite Zone. Das Jugendzentrum war auch in die Hand der Rechten gelangt. Um die Jugendlichen vor Ort zu unterstützen, haben wir eine Fundraising-Kampagne gestartet und mit vielen, vielen Spendern das alte Domherrenhaus gekauft, um ein eigenes Jugendzentrum aufzubauen. Heute ist es ein Treffpunkt für demokratische Kultur im ganzen Landkreis Leipzig. Durch das Zentrum ist das demokratische Engagement und die Nichtakzeptanz von rechter Gewalt gewachsen, langsam wird ein Umschwung sichtbar. Ähnliches haben wir an mehreren Orten schon versucht zu begleiten bzw. zu initiieren. Das ist „Good Practice“.

Ein zweites ganz anderes operatives Projektbeispiel ist „Debate“. Damit soll die digitale Debattenkultur in den sozialen Netzwerken gestärkt werden, um sich aktiv gegen Menschenfeindlichkeit einzusetzen, um Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu widersprechen und um diejenigen zu unterstützen, die sich im Netz engagieren. Wir überprüfen, wo es Radikalisierung im Netz gibt und versuchen dann, offen und transparent Leute anzusprechen. Wir fragen direkt: Das ist Teil digitaler Sozialarbeit – „Digital Streetwork“. Es geht um aufsuchende Ansätze der Prävention. Wir wollen damit auch andere ermutigen, Menschenfeindlichkeit in den sozialen Netzwerken nicht stehen zu lassen.

Sucht sich die Amadeu Antonio Stiftung in ihrer Förderung bewusst Orte, in denen rechtsextreme Tendenzen vorherrschen, um dort dagegen zu halten?
Nein, wir versuchen, die Jugendlichen, die Initiativen, die Bürgergruppen vor Ort, die sich gegen rechte Tendenzen wehren, zu unterstützen. Darin sind wir sehr erfolgreich, denn wir arbeiten dauerhaft mit diesen zusammen. Die Idee ist, die Leute nicht allein zu lassen, sondern sie zu vernetzen und zu unterstützen. Wir haben z. B. mit Udo Lindenberg und den Brothers Keepers Veranstaltungen vor Ort gemacht, um zu zeigen: Ihr seid nicht allein! Ihr habt Unterstützung – auch prominente. Wir sind auch mit dem damaligen Bundestagspräsidenten nach Wurzen gefahren und haben dort diskutiert. Häufig ist die Situation, dass sich die Leute mit ihren Problemen und Angriffen nicht ernstgenommen fühlen.

Sie fördern verschiedene Projekte, selbst erhalten Sie aber auch eine Förderung durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ im Themenfeld Rechtsextremismus und Gender. Aktuell steht die Umstrukturierung des Programms „Demokratie leben!“ bevor. Inwieweit wird diese die Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung beeinflussen?
Es ist schwierig, denn das Themenfeld „Rechte Frauen“ einerseits und das genderorientierte Arbeiten andererseits haben keine große Bedeutung mehr im Programm „Demokratie leben!“. Das war in der Vergangenheit anders. Zahlreiche Studien zeigen, dass Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit ein zentrales Einstiegsmoment in die extrem rechte Szene ist – gerade im digitalen Raum und in sozialen Netzwerken. Es ist Teil des Syndroms gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit: Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der Sexismus, Frauenfeindlichkeit, Antifeminismus und anderes auslebt, auch eher bereit ist, anderen menschenfeindlichen Einstellungen zuzustimmen, ist hoch. Daher halten wir die Auseinandersetzung mit Antifeminismus für einen zentralen Punkt der Rechtsextremismusprävention.

Umbruchsituationen sind immer schwierig. Deswegen werben wir seit Jahren für ein Demokratiegesetz, das eine Kontinuität in der Arbeit stärkt. Es gibt immer wieder Unklarheit in der Förderung z. B. durch Änderungen der Förderrichtlinien. Dadurch gibt es häufig „Braindrain“: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen sich andere, sicherere Jobs. Es ist ökonomisch schwierig, sich in diesem diskontinuierlichen und häufig auch schlecht bezahlten Bereich der sozialen Arbeit zu engagieren. Es führt dazu, dass Prozesse unterbrochen oder beendet werden. Häufig verläuft eine erfolgreiche Projektpraxis dann im Sande. In unserem Fall haben wir viel zur Bedrohung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten durch die radikale Rechte gearbeitet. Wie die Arbeit da jetzt genau weitergeht, wissen wir nicht. Das ist schwierig, denn es besteht ein riesiger Bedarf.

Gibt es über die Unsicherheit der Umbruchsituation hinaus weitere konkrete Auswirkungen?
Wir wissen bereits, dass die Zahl der Modellprojekte erheblich reduziert wird. Als Zivilgesellschaft haben wir uns immer sehr stark für diese Programme engagiert. Sie sind auch Teil eines zivilgesellschaftlichen Erfolgsmodells in der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Der Bund hat in den letzten Programmphasen immer mehr kommunale, staatliche Akteure in die Förderung gebracht. Häufig mangelt es immer noch an Problembewusstsein. Wir müssen dafür kämpfen, dass der zivilgesellschaftliche Anteil an den Programmen sichtbar bleibt und nicht nur kommunale Institutionen, Städte, Kreise und Länder gefördert werden. Das ist im Moment meine größte Sorge, gerade weil wir nicht wissen, wie sich die politische Situation durch die rechtsradikale AfD nach den Wahlen ändern wird.

Sie spüren einen Anerkennungsverlust der Zivilgesellschaft im Programm „Demokratie leben!“?
Genau. Ich würde mir wünschen, dass Kommunen, Städte und Länder sehen, dass sie sich finanziell stärker beteiligen müssen. Das tun einige Bundesländer bereits hervorragend, aber eben noch nicht alle. Der Bund sollte stärker auf die aktuellen Entwicklungen achten und wieder mehr zivilgesellschaftliche Strukturen fördern.

Zudem wirkt das Programm an manchen Stellen ein bisschen aus der Zeit gefallen. Es hat nach wie vor den Fokus auf Jugend. Ich finde auch, der ländliche und der digitale Raum sind für die Demokratiearbeit nicht angemessen in „Demokratie leben!“ repräsentiert. Das Bundesministerium des Innern, für Heimat und Bau hat zwar ein anderes Programm, „Zusammenhalt durch Teilhabe“. Hier werden größere Organisationen in ländlichen Kontexten gefördert. Aber das kann nicht die Antwort auf die große Demokratieferne sein, die vor allem in ländlichen Regionen herrscht und dort über Jahrzehnte gewachsen ist. Wir haben es dort mit einer sich verhärtenden Milieubildung zu tun. Wir brauchen dort mehr politische Bildungsarbeit – auch mit neuen aufsuchenden Formaten. Da wünsche ich mir mehr Innovation. Es fehlt dabei auch die Arbeit mit älteren Menschen. Senioren spielen bei der Identitätsbildung von Jugendlichen eine wichtige Rolle über Eltern und Großeltern. In diesem Bereich wünsche ich mir mehr Projekte. Und eben nicht den Versuch ordnend mit zum Teil sehr starren Förderleitlinien einzugreifen. Das geht immer auch auf Kosten von Vielfalt. Und die brauchen wir in der Rechtsextremismusprävention, um möglichst unterschiedliche Gruppen, Themen und Akteure mitzunehmen.

Die Zivilgesellschaft ist wichtiger Partner bei „Demokratie leben!“. Das Programm ist meines Erachtens aber eher Top-down organisiert. Sehen Sie das auch so? Verstärkt die Umstrukturierung diese Ausprägung zusätzlich?
Wichtig zu wissen ist, dass die Amadeu Antonio Stiftung eines der ersten Bundesprogramme, „CIVITAS – initiativ gegen Rechtsextremismus in den Neuen Bundesländern“, mitentwickelt und umgesetzt hat. Wir hatten gesehen, dass es häufig eine wenig gezielte Förderung der Zivilgesellschaft gibt. Staatliche Finanzierung ist für viele Träger wichtig, gerade bei kritischen Themen und Problemen. Im Bereich der Rechtsextremismusprävention herrscht mittlerweile ein Konsens zwischen Bund und Zivilgesellschaft. Aber wenn es z. B. um Antiziganismus oder Feindschaft gegen Obdachlose geht, ist es sehr viel schwieriger eine Finanzierung einzuwerben. Da fehlt es noch häufig am gesellschaftlichen Problembewusstsein.

Ich hätte mir vonseiten des Ministeriums aufgrund unserer Expertise eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft gewünscht und eine dauerhafte Anerkennung als Partner. Es geht viel verloren, wenn wir das nicht als gemeinsame Aufgabe betrachten. Außerdem irritiert mich, dass nun bei „Demokratie leben!“ ein Rechtsextremismus- und ein Linksextremismus-Kompetenzzentrum mit derselben Mittelausstattung gefördert werden soll, als ob beide Probleme auf ähnlicher Ebene wären. Aktuell sucht die Gefährdung im Bereich des Rechtsextremismus und die absehbare Entwicklung zum Rechtsterrorismus vor dem Hintergrund der Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ihresgleichen vor der Geschichte der Weimar Republik. Mir macht diese Entwicklung wirklich Angst und mir ist es wichtig, dass angesichts der Bedrohung alle demokratischen Kräfte geschlossen dagegen stehen und wir alle Ressourcen zur Prävention und zur Intervention mobilisieren.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.

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