Wenn das Lachen im Halse ste­cken bleibt

Simon Pearce über seine Erfah­run­gen als schwar­zer Schau­spie­ler und Kabarettist

„Mama die Weiße“, „Papa der Wilde“ oder „Mach Deine Nach­teile zu Vor­tei­len“ – Die Titel aus Simon Pearce‘ Pro­gramm „Allein unter Schwar­zen“ (2014) klin­gen alle­samt auto­bio­gra­fisch wie iro­nisch. Pearce, Schau­spie­ler, Syn­chron­spre­cher und Kaba­ret­tist, ist Sohn einer baye­ri­schen Volks­schau­spie­le­rin und eines Nige­ria­ners. In Puch­heim auf­ge­wach­sen, lebt Pearce in Mün­chen und macht ein Kaba­rett, bei wel­chem dem Publi­kum nicht immer zum Lachen zumute sein kann – so etwa wenn er, wie im Stück „Pi-Pa-Poli­zei“, von sei­nen alles andere als guten Erfah­run­gen mit baye­ri­schen Geset­zes­hü­tern bei einer Ver­kehrs­kon­trolle erzählt. „Humor ist das beste Mit­tel, um auf Ras­sis­mus und Into­le­ranz auf­merk­sam zu machen – und etwas in den Köp­fen zu ver­än­dern“, schreibt Pearce im Jahr 2015 in einem Gast­bei­trag für eine Münch­ner Tages­zei­tung. Behrang Samsami sprach mit Simon Pearce über sei­nen Weg zum Kaba­rett, über Schwarz­sein im deut­schen Fern­se­hen und seine Defi­ni­tion von Heimat.

Behrang Samsami: Herr Pearce, wie sind Sie zum Kaba­rett gekommen?
Simon Pearce: Ein Freund von mir hat in Mün­chen eine Comedy-Show ver­an­stal­tet und mich gefragt, ob ich sie mode­rie­ren könnte. Da wurde ich von Thors­ten Sie­vert von Con­stan­tin Enter­tain­ment ent­deckt. Er hat mich in der Pause ange­spro­chen und gesagt, dass ich das beruf­lich machen soll. „Nein, ich bin aber Schau­spie­ler“, habe ich ihm geant­wor­tet. Dar­auf meinte er: „Macht ja nichts. Das eine schließt das andere nicht aus. Schreib doch ein­fach mal eine Num­mer und pro­bier es auf der Bühne aus.“ So kam ich zum Kaba­rett. Ich hatte das natür­lich vor­her auch immer schon im Hin­ter­kopf, weil ich die Men­schen gern zum Lachen gebracht habe. Da ich mich aber nie getraut habe, war die­ser Schubs von außen nötig.

Suchen Sie sich die The­men oder suchen die The­men Sie?
Das ist unter­schied­lich. Viele Geschich­ten, die ich erzähle, sind Situa­tio­nen aus mei­nem Leben, die ein­fach pas­sie­ren. Die komö­di­an­ti­sche Über­hö­hung mache ich dann noch draus. Aber ich suche natür­lich und über­lege mir etwas zu spe­zi­fi­schen The­men. Wenn ich an einem Pro­gramm arbeite, wie an „Pea(r)ce on Earth“ (2017), habe ich schon eine grobe Idee, was das Über­thema sein soll. Aber trotz­dem habe ich noch Geschich­ten im Hin­ter­kopf oder in mei­nen Notiz­bü­chern, die mich schon heim­ge­sucht haben. Nor­ma­ler­weise kom­men die The­men ange­flo­gen. Es ist, wie Ger­hard Polt gesagt hat: Er braucht nicht lange zu über­le­gen. Er hockt sich ins Wirts­haus raus und hört ein­fach den Leu­ten beim Reden zu. Dann kom­men die The­men von ganz allein. Genauso ist es – man muss nur mit eini­ger­ma­ßen offe­nem Ohr durch die Gegend laufen.

Das Thema Schwarz­sein in Bay­ern bezie­hungs­weise in Deutsch­land spielt eine wich­tige Rolle bei Ihnen.
Das war vor allem so in mei­nem ers­ten Pro­gramm „Allein unter Schwar­zen“, weil ich halt schwarz bin, in Bay­ern lebe und natür­lich viele Sachen des­we­gen pas­sie­ren. Aber im zwei­ten Pro­gramm „Pea(r)ce on Earth“ wollte ich nicht nur dar­auf redu­ziert wer­den und bin davon etwas weg­ge­gan­gen, weil ich fast schon den Stem­pel dar­auf hatte.

Wie ist die Reso­nanz der Zuschauer?
Das Publi­kum reagiert teil­weise doch ziem­lich über­rascht. Viele sagen, dass ihnen das Lachen im Halse ste­cken bleibt, weil sie das bis­her gar nicht auf dem Schirm hat­ten, wie viel klei­nen – und auch grö­be­ren – All­tags­ras­sis­mus es bei uns gibt. Wenn du weiß bist und keine Freunde hast, die einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund haben, bekommst du das viel­leicht tat­säch­lich gar nicht mit. Mein Pro­gramm war dann doch auf­klä­re­ri­scher, als ich dachte.

Das Erschei­nungs­bild von Peo­ple of Colour im deut­schen Fern­se­hen ist ambi­va­lent. Es gibt Per­so­nen wie den Lite­ra­tur­kri­ti­ker Ijoma Man­gold, die Schau­spie­le­rin Denise M‘Baye oder Kaba­ret­tis­ten wie Dave Davis und Sie. Ande­rer­seits gibt es Filme und Serien, die teil­weise schon seit Jahr­zehn­ten lau­fen, in denen Peo­ple of Colour oft stumm sind oder kein Deutsch oder nur mit star­kem Akzent spre­chen. Sie üben Tätig­kei­ten aus wie Kell­ner oder Gehilfe und sie­zen Weiße, wäh­rend sie von den Wei­ßen selbst geduzt werden.
Natür­lich ist das beschis­sen, aber es ist schon län­ger ein Thema. In jün­ge­ren For­ma­ten wer­den diese Kli­schees auf­ge­weicht und man geht lang­sam von Rol­len wie Dro­gen­dea­ler oder Flücht­ling weg. Ganz schlimm ist die Rolle als Bediens­te­ter, wenn du die Wei­ßen fast noch als Mas­ter anre­den musst. Ich weiß nicht, was da los ist. Die Zustän­di­gen beim öffent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen schei­nen Angst zu haben, ihr Publi­kum zu über­for­dern. Gerade hier, wo man denkt: Ihr müsst die Köpfe doch irgend­wie frei krie­gen von den Kli­schees. Wenn Zuschauer nicht begrei­fen, dass ein Schwar­zer in Deutsch­land ein­fach ein Arzt sein und Ste­fan Mül­ler hei­ßen kann, dann seid ihr dafür ver­ant­wort­lich, ihnen das bei­zu­brin­gen. Ihr müsst euch nicht nach ihnen rich­ten, dass sie befrie­det mit die­ser alten Kolo­ni­al­dar­stel­lungs­weise in ihrer Welt wei­ter­le­ben kön­nen. Das regt mich schon auf.

Haben Sie selbst erlebt, dass Sie eben nur bestimmte Rol­len ange­bo­ten bekommen?
Ja, bei­spiels­weise Dro­gen­dea­ler oder ein Opfer von ras­sis­ti­schen Über­grif­fen. Beim „Tat­ort“ spielte ich ein­mal eine Küchen­hilfe. Bei „Sturm der Liebe“ war ich ein Abschie­be­flücht­ling, der im Hotel Fürs­ten­hof bei der dort ansäs­si­gen Kapelle Kir­chen­asyl bean­tragt. Beim Tat­ort kam die Bitte: „Sprich mal so mit afri­ka­ni­schem Akzent. Das wäre schön.“ Das ist absurd, weil es kei­nen „afri­ka­ni­schen“ Akzent gibt. Ich habe das den­noch getan, weil ich ein 23-jäh­ri­ger Jung­schau­spie­ler war. Aber warum sollte ich das kön­nen? Also ers­tens gibt es, wie gesagt, kei­nen „afri­ka­ni­schen“ Akzent. Zwei­tens bin ich Deut­scher und kann das nicht so abrufen.

Es gibt auch kei­nen „euro­päi­schen“ Akzent.
Ich habe genauso viel Berüh­rungs­punkte mit Afrika wie der Regis­seur, der mich darum gebe­ten hat. Ich habe auch nie dort gelebt. Warum sollte ich die­sen Akzent daher kön­nen? Es steht nir­gendwo in mei­ner Vita als Fähig­keit – im Gegen­satz zu Deutsch, Fran­zö­sisch und Eng­lisch. Aber „Afri­ka­nisch“ wird ein­fach vor­aus­ge­setzt. Wenn man es vor­her zumin­dest mit mir abspre­chen würde, könnte man drü­ber reden. Aber es wird ein­fach davon aus­ge­gan­gen, dass ich das kann.

Fatal und gefähr­lich diese Angst, die Zuschauer zu überfordern.
„Schwarze sind Quo­ten­gift“, habe ich auch schon mal gehört. Aller­dings ist das fast zehn Jahre her. Es gab mal eine ganz inter­es­sante Foto­stre­cke. Auf einem absicht­lich ver­gilbt aus­se­hen­den Schwarz-Weiß-Foto sieht man einen Schwar­zen mit einem Tro­pen­helm, der vier Weiße an der Kette hat, die nur einen Len­den­schurz tra­gen. Auf einem zwei­ten Foto ist dann eine schwarze Frau im Mitt­le­ren Wes­ten der USA zu sehen. Sie sitzt in einer Küche – es sind die 1960er Jahre. Eine weiße Frau macht ihr die Fin­ger, eine andere putzt und eine dritte kocht für sie. Das hat tota­les Unbe­ha­gen in einem aus­ge­löst, denn es war gegen die Seh­ge­wohn­heit. Die­sen Auf­nah­men gegen­über gestellt waren die Ori­gi­nale, also ein Wei­ßer mit Tro­pen­helm und vier Schwar­zen an der Kette. Das fühlte sich dann nicht so komisch an, weil man diese Bil­der von frü­her kennt. Aber wie krass eigent­lich, ein­mal zu spü­ren, wie falsch es ist, wenn man ein­fach die Far­ben tauscht oder die Her­kunft auswechselt.

Wenn man das auf das deut­sche Fern­se­hen über­tra­gen würde …
Wenn es bei­spiels­weise einen schwar­zen Kapi­tän gebe, der einen wei­ßen Kell­ner duzen und von die­sem selbst gesiezt wer­den würde, hät­ten wir wahr­schein­lich einen Riesenaufschrei.

Kom­men wir zurück in die Rea­li­tät. Was emp­fin­den Sie als eine posi­tive Ent­wick­lung in den ver­gan­ge­nen Jah­ren in Deutschland?
Ich finde es sehr posi­tiv, dass sich wie­der mehr Men­schen mit Poli­tik aus­ein­an­der­set­zen, auf die Straße gehen und Geschlos­sen­heit zei­gen gegen den Auf­schwung der extre­men Par­teien. Das ist ein posi­ti­ver Effekt. Dass es in Mün­chen die Wir-sind-mehr- oder Aus­ge­hetzt-Demos gab, auf denen tau­sende Men­schen unter­wegs waren, finde ich gerade für Bay­ern ziem­lich stark, weil es eigent­lich so ein ein­ge­schla­fe­nes Länd­chen ist. Es ist gut, dass die Men­schen lang­sam den Mund auf­ma­chen und nicht kom­plett ein- oder weiterschlafen.

„Hei­mat“ ist ein Thema, das „Poli­tik & Kul­tur“ 2019 auf unter­schied­li­che Art immer wie­der beschäf­tigt. Wie sieht Ihre Hei­mat aus?
Ich bin in Bay­ern zu Hause und habe meine Hei­mat, wo meine Men­schen – meine Freunde – sind. In Köln fühle ich mich aber auch hei­misch, obwohl ich dort nie gelebt habe. Der Hei­mat­be­griff ist für mich aller­dings ziem­lich pro­ble­ma­tisch, weil er auch viel benutzt wird, um andere Men­schen aus­zu­gren­zen und ihnen zu zei­gen: Des­we­gen ist das hier nicht deine Heimat.

Wenn man sich Ihre Stü­cke ansieht, spielt „Hei­mat“ unter­schwel­lig immer eine Rolle, weil der all­täg­li­che Ras­sis­mus in ihnen prä­sent ist.
Ja, klar. Mir wird die Hei­mat ja auch immer abge­spro­chen. Die Debatte, die unter dem Twit­ter-Hash­tag #von­hier in Deutsch­land geführt wird, habe ich auch in mei­nem Pro­gramm. Ich lese gern Face­­book-Kom­men­tare: „Wenn ich im Urlaub in Indo­ne­sien bin, werde ich auch gefragt, wo ich her­komme.“ Die­ses Rela­ti­vie­ren ist pro­ble­ma­tisch. Es ist natür­lich nicht per se ras­sis­tisch, wenn mich jemand fragt: „Wo kommst du eigent­lich her?“. Für mich ist es erst ein­mal Inter­esse. Aber wenn dir deine eigene Hei­mat, deine Zuge­hö­rig­keit zu Bayern
oder zu Deutsch­land abge­spro­chen wird, weil die Men­schen dir nicht glau­ben und fra­gen „Ja, aber wo kommst du denn eigent­lich her?“, ist das mehr als belas­tend. Den­noch mache ich natür­lich wei­ter, denn ich will auch die Letz­ten errei­chen und ihr Bewusst­sein schärfen.

Vie­len Dank.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 07-08/2019.

Von |2019-09-27T17:02:34+02:00Juli 4th, 2019|Heimat|Kommentare deaktiviert für

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Simon Pearce über seine Erfah­run­gen als schwar­zer Schau­spie­ler und Kabarettist

Simon Pearce ist Schauspieler und Kabarettist. Behrang Samsami ist freier Journalist.