Um eine lebendige Bürgergesellschaft zu stärken, macht die Körber-Stiftung das journalistische, künstlerische, wissenschaftliche und politische Engagement von Menschen, die in Deutschland im Exil leben, sichtbar und bietet ihnen Vernetzungsmöglichkeiten. Sie schlägt dabei auch die Brücke zum Exil in der Vergangenheit, um die historische Verantwortung Deutschlands aufzuzeigen und Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Theresa Brüheim spricht mit Sven Tetzlaff von der Körber-Stiftung über Vergangenheit und Gegenwart des Exils.
Theresa Brüheim: Die Körber-Stiftung engagiert sich umfassend für Menschen, die in Deutschland im Exil leben. Wie sieht dieses Engagement genau aus?
Sven Tetzlaff: In den letzten Jahren ist die Zahl der Menschen, die bei uns Schutz vor Verfolgung suchen, deutlich gestiegen. Wir haben uns als Körber-Stiftung die Frage gestellt, wie wir sie dabei unterstützen können, ihre Berufsbiografien fortzusetzen und Zugang zur Aufnahmegesellschaft zu finden. In unserem Handlungsfeld Lebendige Bürgergesellschaft haben wir daher den Arbeitsschwerpunkt „Neues Leben im Exil“ gebildet. Die Idee ist, Menschen im Exil die Möglichkeit zu geben, hier ihre Talente, Erfahrungen und Ideen einzubringen. Dazu knüpfen wir Netzwerke, schaffen Aufmerksamkeit für das Thema, bieten Menschen im Exil eine Bühne, um ihre Stimme hörbar zu machen oder ermöglichen ihnen konkret, ihre Arbeit z.B. als Journalisten fortzusetzen. Als operative Stiftung führen wir lokale und bundesweite Projekte in eigener Regie oder in Kooperation mit Partnern durch, um die Hebelwirkung unserer Arbeit zu vergrößern. Publikumsorientierte Veranstaltungs- und Begegnungsprogramme zählen genauso dazu wie Fachkonferenzen, Nachrichtenplattformen oder Ausstellungen.
Dabei versucht die Körber-Stiftung, das heutige Exil in Deutschland in Verbindung mit dem historischen Exil von Deutschen während des Nationalsozialismus zu bringen. Konnten Sie Ähnlichkeiten feststellen? Oder überwiegen Unterschiede?
Das 20. Jahrhundert ist das Jahrhundert der großen Verschiebungen von Völkern, der Vertreibungen und des Exils. Deutschland hat da natürlich eine besondere Rolle gespielt. Fast die gesamte intellektuelle Elite Deutschlands wurde durch den Nationalsozialismus vertrieben. Viele dieser Menschen, die ins Exil vertrieben wurden, konnten ihre Karriere nicht fortsetzen. Das hatte zum Teil dramatische Folgen. Zuvor hoch angesehene Schriftsteller und Künstler sind verstummt, einige sind an der Isolation zerbrochen oder haben sich das Leben genommen. Diese Entwicklung darf sich heute nicht wiederholen. So wie in den 1930er Jahren unsere Nachbarländer Menschen aus Deutschland aufgenommen und ihnen Schutz gegeben haben, so sind wir heute gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Denn weltweit geraten Demokratien und offene Gesellschaften immer mehr unter Druck, flüchten Künstler, Kulturschaffende, Journalisten und Wissenschaftler zu uns. Viele von ihnen wollen in ihre Länder zurück. So wie Bertolt Brecht, der in seinen Gedichten thematisiert hat, wie er Anfang der 1930er Jahre in seinem Zimmer an der Grenze sitzt, auf Deutschland guckt und den Nagel nicht in die Wand einschlagen will, weil er jeden Tag darauf hofft zurückzugehen. Aus diesen Tagen sind dann viele Jahre geworden. Auch heute ist es ungewiss, ob die Menschen im Exil eine kurze Zeit verbringen oder sich auf ein Leben in Deutschland einstellen müssen. Wir sind gefordert, für diese Fälle rechtzeitig passende Angebote zu entwickeln.
Die historische Verantwortung liegt also auf der Hand …
Aus unserer Sicht ist das ganz sicher so. Und wir sollten auch die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen. Ein großer Fluchtpunkt des Exodus aus Nazideutschland ist Amerika gewesen. In die USA sind ungefähr 130.000 Menschen der 500.000 aus dem nationalsozialistischen Herrschaftsbereich Vertriebenen geflüchtet. Zwei Drittel von ihnen sind nach New York gegangen. Dort haben viele ihre Kreativität eingebracht, Erfindungen gemacht, das Kulturleben, die Medien und die Wissenschaft bereichert, sind wirtschaftlich erfolgreich geworden. Zahlreiche Hilfsorganisationen haben sich um sie gekümmert und ihre Integration erleichtert. Die US-amerikanische Gesellschaft hat sich ihnen geöffnet, hat Chancen geboten und von ihnen profitiert. Ganz anders ist die Entwicklung in Mittelamerika gelaufen, wo ganze Communities von deutschen Auswanderern unter sich geblieben sind. Das sollten wir uns aktuell mit Blick auf die Exil-Communities in Deutschland vor Augen führen und schauen, was wir besser machen können. In Hamburg, Berlin und andernorts wachsen derzeit Exilkulturen syrischer, türkischer oder irakischer Prägung. Wenn wir ständig nur pauschal von Asyl, Migration und Flüchtlingen sprechen, werden wir die Bertolt Brechts, Thomas Manns, Hannah Arendts von heute nicht erkennen, geschweige denn ihnen helfen, ihre Potenziale zu entfalten und sich bei uns für Demokratie und die Werte der offenen Gesellschaft zu engagieren.
Wie wirkt sich diese Erkenntnis auf die praktische Arbeit der Stiftung aus?
Wir wollen dreierlei erreichen: Zunächst einmal, dass wir in Deutschland besser verstehen, was es bedeutet in einem fremden Land und einer fremden Kultur im Exil zu leben. Dann gilt es, Anlässe für Gespräche, Begegnung und Austausch zu schaffen. Und schließlich gehört dazu, Zugänge zum gesellschaftlichen Leben zu bieten, Teilhabe zu ermöglichen. Seit drei Jahren führen wir ein lokales Format in Hamburg durch: die „Tage des Exils“. Mit Kulturinstitutionen, Stiftungen, der Universität und anderen Einrichtungen führen wir vier Wochen lang 60 Veranstaltungen durch, die das Thema Exil aus historischer und aktueller Perspektive beleuchten. Museen, Theater und Kinos planen Veranstaltungen und binden aktiv Schriftsteller, Künstler oder Wissenschaftler im Exil ein. Wir stiften dabei neue Kontakte und vermitteln, mancherorts entstehen gemeinsame künstlerische oder soziale Projekte. Ein Höhepunkt ist die „Rede zum Exil“, die im letzten Jahr in der Elbphilharmonie von dem türkischen Journalisten Can Dündar gehalten wurde und in diesem Jahr von dem chinesischen Schriftsteller und Musiker Liao Yiwu gehalten wird, um die Perspektive der Exilierten in Deutschland zu Gehör zu bringen. Wir erreichen während der Tage des Exils zwischen 8.000 und 10.000 Menschen in Hamburg und können die Reichhaltigkeit der Kultur zeigen, die sich mittlerweile in ihrer Stadt versammelt hat.
Neben den „Tagen des Exils“ sticht ein anderes Projekt aus ihren Aktivitäten he-raus: die Nachrichtenseite „Amal, Hamburg!“. Welche Idee steht dahinter, was ist das genau?
Wir möchten als Körber-Stiftung insbesondere den Exiljournalismus in Deutschland stärken, da es hier viel Unterstützungsbedarf gibt und Journalisten wichtige Multiplikatoren für Meinungsfreiheit und Demokratie sind. Deswegen haben wir zwei Projekte initiiert: Zum einen das „Exile Media Forum“. Die Idee dieser Konferenz ist, dass sich Exiljournalisten fachlich austauschen, untereinander vernetzen und in Kontakt mit Medienhäusern in Deutschland kommen. Es gibt zwar viele Tagungen im Medienbereich, dennoch bestand beim Exiljournalismus eine Lücke, die wir schließen wollten. Der erste Pilot ist sehr vielversprechend im letzten Jahr gestartet. Uns geht es aber nicht nur um den Diskurs und fachlichen Austausch, sondern wir wollen auch konkret etwas tun. Aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr eine Nachrichtenseite von drei Journalisten im Exil in Hamburg initiiert – „Amal, Hamburg!“. Es ist eine Kooperation der Evangelischen Journalistenschule und der Körber-Stiftung, unterstützt vom Hamburger Abendblatt und der Evangelischen Kirche in Deutschland. „Amal, Hamburg!“ ist ein Schwesterprojekt von „Amal, Berlin!“, das schon seit 2017 besteht. Das Besondere ist, dass die Redaktion auf arabisch und persisch über Kultur, Politik und Gesellschaft in der Stadt informiert und ihren Sitz im Newsroom des Hamburger Abendblatts hat. Eine demokratische Stadtgesellschaft braucht aus unserer Sicht gut informierte Bürger und zur Stadtgesellschaft zählen viele Gruppen.
Warum informiert „Amal, Hamburg!“ auf persisch und arabisch?
In Hamburg lebt die größte afghanische Community außerhalb von Afghanistan. Zum anderen lebt hier auch die zweitgrößte persische Community in Europa. Die größte persische Community findet man in London. Wenn man die Arabischsprechenden dazuzählt, dann haben wir über 50.000 Menschen in der Stadt. Viele Menschen im Exil sind zunächst noch in ihrer alten Sprache mehr zu Hause als in der Sprache des Ankunftslandes, also in Deutsch. Daher ist die Chance höher, Menschen stärker an die neue Gesellschaft heranzuführen und ihre Teilhabe zu vergrößern, wenn man in ihrer Sprache über diese neue Gesellschaft berichtet. Sie haben dann die Chance, aus der Abhängigkeit von den Medien in ihren Herkunftsländern zu kommen und sich umfassend über das Stadtgeschehen zu informieren.
Hierfür gibt es auch eine interessante Parallele zum Exil der 1930er Jahre. Denken Sie an die Zeitschrift „Der Aufbau“ in New York, die in den 1930er und 1940er Jahren Informationen über das neue Land geliefert hat. Diese Zeitschrift hat damit auch zur emotionalen Ablösung von der alten Heimat beigetragen. Man tat sich leichter damit, sich durch Informationen mit der neuen Gesellschaft zu identifizieren und da auch Chancen zu erkennen und zu ergreifen.
Ein weiteres Aushängeschild der Körber-Stiftung zum Thema Exil ist die Ausstellung „Hier fühle ich mich zu Hause“. Wie kam es zu dem Titel?
Aus vielen Gesprächen mit Menschen im Exil wissen wir, dass ihr Gefühl von Heimat noch ganz mit ihren Herkunftsländern, den zurück gelassenen Familien und Freunden verknüpft ist. In Deutschland braucht es eine ganze Zeit für sie, um hier anzukommen. Wenn es gut läuft, fühlen sie sich dann irgendwann vertrauter mit der neuen Umgebung. Es entsteht dann vielleicht noch nicht das Gefühl von Heimat, aber von „zu Hause sein“ … wenn auch temporär. Die Ausstellung zeigt die im Exil Lebenden an den Orten, an denen sie sich wohlfühlen, wo sie sagen: „Das erinnert mich an Situationen aus meiner Heimat“.
Wen zeigt die Ausstellung genau?
Die Ausstellung zeigt Menschen, die in ihrer Heimat Kriegsopfern geholfen, Rechte von Mädchen verteidigt oder Korruptionsskandale aufgedeckt haben. Sie stammen aus Afghanistan, Bangladesch, Irak, Iran, Simbabwe, Syrien, Tadschikistan, Türkei und der Ukraine. Sie mussten ihr Land verlassen und leben nun im Exil. Sie sind als Autoren, Journalisten, Schriftsteller, Blogger, Frauenrechtler, Musiker und Wissenschaftler aktiv und engagieren sich auch fernab ihrer Heimat. Mit der Ausstellung wollen wir Menschen im Exil sichtbar machen und eine Stimme geben. Exil erhält so ein individuelles Gesicht und eine Geschichte. Die Ausstellung wird laufend um neue Porträts erweitert. Erstmals gezeigt wurde sie in Hamburg bei uns im KörberForum. Es gibt auch an anderen Orten Interesse, sie dort zu präsentieren, was uns außerordentlich freut. So ist sie derzeit noch bis 15. September 2019 in den Räumen der Hamburger Landesvertretung in Berlin zu sehen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019.