„Ver­las­sen Sie das Land“

Blog­gen und Akti­vis­mus in Bangladesch

Ich war 2013 noch auf der Ober­schule, als in mei­nem Hei­mat­land Ban­gla­desch eine Rie­sen­be­we­gung ihren Anfang nahm. Die Mit­glie­der die­ser Bewe­gung for­der­ten, dass die­je­ni­gen, die wäh­rend des Unab­hän­gig­keits­krie­ges 1971 Kriegs­ver­bre­chen began­gen hat­ten, zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den. Nach 47 Jah­ren wur­den diese Per­so­nen schließ­lich vor dem Gerichts­hof für Inter­na­tio­nale Ver­bre­chen in Ban­gla­desch ange­klagt. Es kam zu Mas­sen­pro­tes­ten, als Abdul Kader Mol­lah, einer der ver­hass­tes­ten Kriegs­ver­bre­cher, zu lebens­lan­ger Frei­heits­strafe ver­ur­teilt wurde.

Zum nähe­ren Ver­ständ­nis: In Ban­gla­desch gibt es die Todes­strafe. Das Gefäng­nis­sys­tem dort ist so kor­rupt, dass Per­so­nen mit Macht und Geld selbst hin­ter Git­tern noch fürst­lich leben kön­nen. Und diese Ver­bre­cher waren zu dem Zeit­punkt, als sie sich vor dem Gericht ver­ant­wor­ten muss­ten, zwi­schen 60 und 80 Jahre alt. Viele von ihnen befan­den sich in medi­zi­ni­scher Behand­lung. Selbst wenn diese Ver­bre­cher zu lebens­lan­ger Frei­heits­strafe ver­ur­teilt wür­den, wür­den sie selbst­ver­ständ­lich wei­ter­hin ein kom­for­ta­bles Leben führen.

Mein Vater und einige mei­ner Onkel waren Frei­heits­kämp­fer. Sogar meine Mut­ter hat im Befrei­ungs­krieg als Kurie­rin gear­bei­tet. Als dann die Pro­teste began­nen, hielt ich es für meine Pflicht, selbst aktiv zu wer­den. Ich hatte zu dem Zeit­punkt bereits eine Weile auf einer Blog-Platt­form Arti­kel ver­öf­fent­licht. Daher benutzte ich mei­nen Blog und soziale Medien, um der Bewe­gung und unse­ren For­de­run­gen Gehör zu verschaffen.

Das Pro­blem bestand darin, dass die Kriegs­ver­bre­cher Mit­glie­der in der Isla­mis­ti­schen Par­tei Jamaat-e-Islami waren, die Bezie­hun­gen zu ter­ro­ris­ti­schen Grup­pen wie Al-Quaida, dem Isla­mi­schen Staat (IS), den Tali­ban und der His­bol­lah usw. unter­hielt bzw. unter­hält. Ihr Stu­den­ten­flü­gel, der sich „Chhatra shi­bir“ nennt, ist eine mör­de­ri­sche Ter­ro­ris­ten­gruppe, die in Ban­gla­desch noch immer aktiv ist. Diese Par­tei war von unse­ren Pro­tes­ten nicht ange­tan. Ihre Mit­glie­der began­nen, die Auf­merk­sam­keit auf ein paar wenige athe­is­ti­sche Blog­ger, die in die Pro­teste ver­wi­ckelt waren, zu len­ken, und behaup­te­ten, dass die gesamte Bewe­gung islam­feind­li­che, athe­is­ti­sche Pro­pa­ganda betriebe. Sie wirk­ten sogar auf inter­na­tio­nale Medien und Orga­ni­sa­tio­nen ein, damit diese die Gerichts­ver­hand­lung über die Kriegs­ver­bre­chen zu einem Angriff auf isla­mi­sche Gelehrte erklärten.

Ban­gla­desch ist ein mehr­heit­lich mus­li­mi­sches Land. 93 Pro­zent der Bevöl­ke­rung sind Mus­lime. Anti-isla­mi­sches Ver­hal­ten kommt bei der Bevöl­ke­rung nicht gut an. Als Rajib Hai­der vor sei­ner Haus­tür ermor­det wurde, war dies für viele nicht wich­tig genug, um sich dar­über zu empö­ren. Dann wur­den nach­ein­an­der Schrift­stel­ler, Blog­ger und Akti­vis­ten getö­tet. Statt die Angriffe zu ver­ur­tei­len, for­der­ten Regie­rungs­be­amte die Jour­na­lis­ten auf, mit dem Schrei­ben auf­zu­hö­ren. Selbst die Pre­mier­mi­nis­te­rin Sheikh Hasina ließ mehr­mals ver­lau­ten, dass die athe­is­ti­schen Blog­ger ihre reli­giö­sen Gefühle ver­let­zen wür­den und davon ablas­sen soll­ten, got­tes­läs­ternde Posts zu veröffentlichen.

Nach­dem Washi­qur Babu, einer mei­ner engs­ten Freunde, ermor­det wurde, bekam ich es mit der Angst zu tun. Er hatte seine Arti­kel unter einem Pseud­onym ver­fasst. Es gab nicht viele Leute, die seine wahre Iden­ti­tät kann­ten. Wenn sie also ihn fin­den konn­ten, war klar, dass sie jeden fin­den kön­nen. Zu dem Zeit­punkt war ich eine sehr bekannte Akti­vis­tin und Blog­ge­rin. Sicher­heits­hal­ber begann ich, mich dar­auf vor­zu­be­rei­ten, das Land zu verlassen.

Eines Tages bemerkte meine Mut­ter, dass unser Haus beob­ach­tet wurde. Ein paar Tage spä­ter wurde mir bewusst, dass ich, egal wohin ich ging, beschat­tet wurde. Ich wandte mich an die Poli­zei, die sich zunächst wei­gerte, meine Anzeige auf­zu­neh­men. Als ich erneut zur Poli­zei ging, leg­ten die Beam­ten dort dann – wenn auch wider­wil­lig – eine all­ge­meine Akte an.

Ein Poli­zei­be­am­ter erklärte mir net­ter­weise, dass mir die­ses Vor­ge­hen in keins­ter Weise hel­fen würde, und riet mir, das Land zu ver­las­sen. Kurz danach bot mir das ICORN Inter­na­tio­nal Cities of Refuge Net­work seine Hilfe an, und die Stadt Reykja­vik beschloss, mir als „Wri­ter-in-Resi­dence“ ein Sti­pen­dium anzu­bie­ten. Daher flog ich im April 2017 nach Island, wo ich seit­dem lebe.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 6/2018.

Von |2019-06-17T10:05:24+02:00November 7th, 2018|Menschenrechte|Kommentare deaktiviert für

„Ver­las­sen Sie das Land“

Blog­gen und Akti­vis­mus in Bangladesch

Ana Laila Zahin ist Aktivistin, Bloggerin und "Writers-in Residence"-Stipendiatin in Reykjavik in Island.