Selbst­ver­ständ­li­che Diversität

Bun­des­kunst­halle

In Deutsch­land gibt es nur eine Kunst- und Aus­stel­lungs­halle. Obwohl wir uns mitt­ler­weile in der Kom­mu­ni­ka­tion nach außen etwas prä­gnan­ter als Bun­des­kunst­halle bezeich­nen, lohnt es sich bei der Defi­ni­tion des eige­nen Selbst­ver­ständ­nis­ses die offi­zi­elle Bezeich­nung zu reflek­tie­ren. Die Kunst- und Aus­stel­lungs­halle der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist wie kaum eine andere Aus­stel­lungs­ein­rich­tung für einen unge­mein viel­fäl­ti­gen Auf­ga­ben­be­reich vor­ge­se­hen: Als Kunst­halle kon­zi­pie­ren wir Kunst­aus­stel­lun­gen; als Aus­stel­lungs­halle ver­ant­wor­ten wir Aus­stel­lun­gen aus ande­ren wis­sen­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Berei­chen und zu wei­te­ren The­men von gesell­schaft­li­cher Rele­vanz. Und zwar immer mit dem Anspruch eines deutsch­land­wei­ten Sen­dungs­be­wusst­seins und mit einem inter­na­tio­na­len Selbstverständnis.

Mit einer sehr diver­sen Skala an Aus­stel­lungs­pro­jek­ten spricht die Bun­des­kunst­halle bewusst ein ebenso diver­ses Ziel­pu­bli­kum an. Diese wil­lent­li­che Viel­falt geht aus dem Arti­kel 27 der UN-Men­schen­rechts­kon­ven­tion zur Frei­heit des Kul­tur­le­bens her­vor, dem­zu­folge jeder das Recht hat, „am kul­tu­rel­len Leben der Gemein­schaft frei teil­zu­neh­men, sich an den Küns­ten zu erfreuen und am wis­sen­schaft­li­chen Fort­schritt und des­sen Errun­gen­schaf­ten teil­zu­ha­ben“. Als bun­des­po­li­ti­sche Grün­dung zu den Zei­ten der gro­ßen deut­schen Wende füh­len wir uns in der Bun­des­kunst­halle nicht nur der Idee eines wie­der­ver­ei­nig­ten Deutsch­lands, son­dern auch der Vision einer Völ­ker­ge­mein­schaft grund­sätz­lich und aus Über­zeu­gung ver­pflich­tet. Mög­lichst inklu­siv wol­len und sol­len wir daher den­ken und handeln.

Inklu­sion ist bei uns seit eini­ger Zeit mehr als nur eine poli­tisch getra­gene Ambi­tion; sie steht gemein­sam mit Inte­gra­tion unter dem Dach­be­griff Diver­si­tät an obers­ter Stelle unse­rer pro­gram­ma­ti­schen und ver­mit­teln­den Arbeit. Bei der Pro­gramm­ge­stal­tung ach­ten wir sehr bewusst auf eine Mischung von Aus­stel­lun­gen und Ver­an­stal­tun­gen, bei denen auch par­ti­zi­pa­tive und per­for­ma­tive Ansätze im Vor­der­grund ste­hen. Hand­lungs­be­tonte, ein­be­zie­hende Ele­mente in Aus­stel­lun­gen stär­ken die Mög­lich­keit zur Iden­ti­fi­ka­tion der Besu­che­rin­nen und Besu­cher, weil sie zur Bewusst­wer­dung bei­tra­gen; teil­nah­me­ori­en­tierte Ange­bote stär­ken das Enga­ge­ment und för­dern das Kunst­ver­ständ­nis, ohne klas­sisch didak­tisch zu agie­ren. Gute Bei­spiele waren die Über­sichts­aus­stel­lun­gen zum Œuvre der Cho­reo­gra­fin Pina Bausch im Jahr 2016 oder zur Per­for­mance­künst­le­rin Marina Abra­mo­vić in die­sem Jahr. Bei bei­den – stark immersi­ven – Aus­stel­lun­gen wurde der ein­zelne Besu­cher inten­siv ein­be­zo­gen, mit­un­ter auch emo­tio­nal gefor­dert und auf diese Weise in sei­ner Indi­vi­dua­li­tät ernst genommen.

Mit „Touch­down. Eine Aus­stel­lung mit und über Men­schen mit Down-Syn­drom“ gelang es uns vor zwei Jah­ren außer­dem, ein brei­tes Publi­kum zu errei­chen, das zu einem gro­ßen Teil gänz­lich neue Erfah­run­gen machen konnte. Bei den Tan­dem­füh­run­gen von jeweils einer Per­son mit und einer Per­son ohne Down-Syn­drom konnte der magi­sche Moment unmit­tel­ba­ren Erle­bens und Ver­stän­di­gens gelin­gen, der einen ech­ten Dia­log aus­zeich­net. Ähn­li­che und äußerst inten­sive Augen­bli­cke der Berüh­rung ent­stan­den auch bei der letzt­jäh­ri­gen Büh­nen­per­for­mance „Gala“ von Jérôme Bel, bei der die Dar­stel­le­rin­nen und Dar­stel­ler sämt­lich Laien waren, die in Köln und Bonn vom Künst­ler gecas­tet wur­den und auf diese Weise unter­schied­lichste soziale und kul­tu­relle Ein­flüsse zusammenbrachten.

Waren bei Pina Bausch, Marina Abra­mo­vić, „Gala“ und „Touch­down“ Aus­stel­lung, Per­for­mance und Ver­mitt­lung untrenn­bar und fast unmerk­lich mit­ein­an­der ver­knüpft, so konn­ten wir in ande­ren Zusam­men­hän­gen auch Erfah­run­gen mit Ver­mitt­lungs­mo­du­len sam­meln, die als Zusatz in Aus­stel­lun­gen zur Anwen­dung kamen, wie etwa Tast­mo­delle, Hör­sta­tio­nen und andere sen­su­elle Ele­mente. In den letz­ten Jah­ren erprob­ten und ent­wi­ckel­ten wir feder­füh­rend mit drei ande­ren musea­len Ein­rich­tun­gen im Pro­jekt „Pilot Inklu­sion“ der­ar­tige Module. In den nächs­ten Jah­ren wer­den wir dies gemein­sam mit sie­ben ande­ren Insti­tu­tio­nen im Pro­jekt „Ver­bund Inklu­sion“ wei­ter aus­bauen. Gleich­zei­tig arbei­ten wir an einem grö­ße­ren Vor­ha­ben im Bereich Inte­gra­tion und ver­su­chen auf diese Weise, die Fel­der Inklu­sion und Inte­gra­tion auf eine Weise zusam­men zu den­ken, die den Begriff Diver­si­tät als eigent­li­ches Ziel und Aus­gangs­punkt unse­res Han­delns spür­bar wer­den lässt. Für die Kunst- und Aus­stel­lungs­halle der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist der Arti­kel 27 die Grund­vor­aus­set­zung für ihre gesell­schafts­po­li­ti­sche Rele­vanz. Diver­si­tät ist unser Selbstverständnis.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 6/2018.

Von |2019-06-17T10:08:46+02:00November 7th, 2018|Menschenrechte|Kommentare deaktiviert für

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Rein Wolfs ist Intendant der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Bundeskunsthalle).