Die Würde des Men­schen ist unantastbar

UN-Men­schen­rechts­charta hat seit 70 Jah­ren eine uni­ver­selle zivi­li­sa­to­ri­sche Wirkung

Die Ver­ab­schie­dung der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte am 10. Dezem­ber 1948 war ein Mei­len­stein. Sie stand unter dem Ein­druck der Gräuel der Schoah. Wie stark die Schoah wirkte, wird in der Prä­am­bel deut­lich, in der unter ande­rem for­mu­liert wird: „… die Nicht­an­er­ken­nung und Ver­ach­tung der Men­schen­rechte (haben) zu Akten der Bar­ba­rei geführt …, die das Gewis­sen der Mensch­heit mit Empö­rung erfül­len“. Art. 1 der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte setzt als Gegen­bild: „Alle Men­schen sind frei und gleich an Würde und Rech­ten gebo­ren. Sie sind mit Ver­nunft und Gewis­sen begabt und sol­len ein­an­der im Geist der Soli­da­ri­tät begegnen.“

Art. 1 unse­res Grund­ge­set­zes nimmt hier­auf unmit­tel­bar Bezug. Es heißt: „(1) Die Würde des Men­schen ist unan­tast­bar. Sie zu ach­ten und zu schüt­zen ist Ver­pflich­tung aller staat­li­chen Gewalt. (2) Das Deut­sche Volk bekennt sich darum zu unver­letz­li­chen und unver­äu­ßer­li­chen Men­schen­rech­ten als Grund­lage jeder mensch­li­chen Gemein­schaft, des Frie­dens und der Gerech­tig­keit in der Welt. (3) Die nach­fol­gen­den Grund­rechte bin­den Gesetz­ge­bung, voll­zie­hende Gewalt und Recht­spre­chung als unmit­tel­bar gel­ten­des Recht.“ Damit wird unmiss­ver­ständ­lich klar­ge­stellt, dass die unan­tast­bare Men­schen­würde für alle Men­schen gilt. Es gibt keine Men­schen ers­ter und zwei­ter Klasse. Die Men­schen­würde unter­schei­det nicht zwi­schen Frauen und Män­nern, zwi­schen Men­schen mit oder ohne Ein­schrän­kun­gen, zwi­schen hier gebo­re­nen oder zuge­wan­der­ten, nicht zwi­schen Deut­schen und Ausländern.

Es ist Auf­gabe des Staa­tes, für die Ein­hal­tung der Men­schen­rechte Sorge zu tra­gen. Die vom Deut­schen Kul­tur­rat mit 27 Part­nern aus der Zivil­ge­sell­schaft, dem Staat, den Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und den Medien 2016 ins Leben geru­fene Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion hat darum in These 1 ihrer 15 The­sen for­mu­liert: „Das Grund­ge­setz beschreibt ins­be­son­dere in sei­nen ers­ten 20 Arti­keln unver­rück­bare Prin­zi­pien des Zusam­men­le­bens. Es sichert seit Jahr­zehn­ten ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben in Deutsch­land. Die Ach­tung und der Schutz der Men­schen­würde sind Grund­lage der deut­schen Rechts­ord­nung. Das Grund­ge­setz regelt zuerst das Ver­hält­nis von Staat und Bür­ge­rin­nen und Bür­gern und schützt vor staat­li­cher Will­kür. Es ist zugleich essen­ti­ell für das Zusam­men­le­ben der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger und muss daher von allen hier leben­den Men­schen akzep­tiert und respek­tiert werden.“

Für den Kul­tur- und Medi­en­be­reich sind beson­ders die Arti­kel 19 und Arti­kel 27 der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte inter­es­sant. In Arti­kel 19 wird das Recht jedes Men­schen auf Mei­nungs­frei­heit und freie Mei­nungs­äu­ße­rung kodi­fi­ziert. Gleich­falls wird die Frei­heit der Medien hier fest­ge­schrie­ben. Alle drei Aspekte, Mei­nungs­frei­heit, freie Mei­nungs­äu­ße­rung und Frei­heit der Medien, sind für die Demo­kra­tie uner­läss­lich. Dies schließt ein, dass auch sol­che Mei­nun­gen und Posi­tio­nen zur Spra­che kom­men dür­fen, die einem selbst nicht gefal­len. Die Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion nimmt hier­auf in ihrer These 6 Bezug, in der unter ande­rem for­mu­liert wurde: „Jour­na­lis­tisch und redak­tio­nell ver­an­lasste Ange­bote leis­ten unab­hän­gig von ihrem Ver­brei­tungs­weg einen eige­nen Bei­trag zum gesell­schaft­li­chen Dis­kurs. Sie infor­mie­ren, sie unter­hal­ten, sie regen Dis­kus­sio­nen an, sie bie­ten Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen, sie ver­mit­teln Werte und leis­ten damit einen unver­zicht­ba­ren Bei­trag zur Mei­nungs­bil­dung. Die Presse-, Rund­funk- und Mei­nungs­frei­heit gehö­ren zu den unab­ding­ba­ren Prin­zi­pien in Deutschland.“

Wie schnell Medien in ihrer Frei­heit ein­ge­schränkt wer­den, ist der­zeit in Ungarn zu beob­ach­ten. Und auch in Öster­reich ver­sucht die FPÖ freie Medien, spe­zi­ell den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk, zu dis­kre­di­tie­ren und in der Frei­heit ein­zu­schrän­ken. Sol­chen Ver­su­chen und Maß­nah­men muss ent­schie­den ent­ge­gen­ge­tre­ten werden.

In Arti­kel 27 der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte wer­den zwei Rechte beschrie­ben, die mit­un­ter als Gegen­sätze erschei­nen. Im ers­ten Absatz die­ses Arti­kels geht es um das Recht der Teil­habe am kul­tu­rel­len Leben, unter ande­rem um sich an den Küns­ten zu erfreuen. Im zwei­ten Absatz wird auf das Recht zum Schutz des geis­ti­gen Eigen­tums ein­ge­gan­gen. Hier steht: „Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz der geis­ti­gen und mate­ri­el­len Inter­es­sen, die ihm als Urhe­ber von Wer­ken der Wis­sen­schaft, der Lite­ra­tur oder Kunst erwach­sen.“ Damit wird deut­lich, dass das Recht auf Teil­habe am kul­tu­rel­len Leben nicht als Vor­wand zur Ent­eig­nung von Urhe­be­rin­nen und Urhe­bern oder der Ein­schrän­kung ihrer Ver­wer­tungs­chan­cen genutzt wer­den kann. Beide Rechte sind gleich­ran­gig und müs­sen in einen Aus­gleich gebracht wer­den, wenn bei­spiels­weise ein Staat bestimm­ten Per­so­nen­grup­pen beson­dere Vor­züge im Zugang zu urhe­ber­recht­lich geschütz­ten Inhal­ten gewäh­ren will. Sehr aktu­ell war die­ser erfor­der­li­che Aus­gleich bei der Umset­zung der soge­nann­ten Mar­ra­kesch-Richt­li­nie in deut­sches Recht. Die Mar­ra­kesch-Richt­li­nie ist eine wich­tige Grund­lage, um Lese- und Seh­be­hin­der­ten einen erleich­ter­ten Zugang zu Kunst und Lite­ra­tur zu ver­schaf­fen. Die­ses Ziel ist sehr unter­stüt­zens­wert. Doch dür­fen dabei, so steht es eben auch in der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte, die Rechte der Künst­ler nicht ein­fach geop­fert werden.

Die All­ge­meine Erklä­rung der Men­schen­rechte, die oft auch UN-Men­schen­rechts­charta genannt wird, ist kein Wohl­fühl­kis­sen oder Poe­sie­al­bum. Sie ist eine Ver­pflich­tung und ihre Umset­zung ver­langt Anstren­gun­gen. Sie ist kein völ­ker­recht­li­cher Ver­trag und des­halb lei­der nicht indi­vi­du­ell ein­klag­bar, aber sie ent­fal­tet eine uni­ver­selle zivi­li­sa­to­ri­sche Wir­kung, deren Kraft nicht unter­schätzt wer­den darf. Sie gehört zum Bes­ten, was wir Men­schen uns als Men­schen zugestehen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 6/2018.

Von |2019-06-17T10:14:16+02:00November 7th, 2018|Menschenrechte|0 Kommentare
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur.