Zusam­men für mehr Teilhabe

Das Forum der Migran­tin­nen und Migran­ten im Paritätischen

„Wenn über mich gespro­chen wird, möchte ich mit­re­den.“ Die­ser Grund­satz ist nicht nur mein per­sön­li­cher Leit­satz aus mehr als 30 Jah­ren Tätig­keit in der Inte­gra­ti­ons­ar­beit. Die For­de­rung nach Mit­be­stim­mung und Teil­habe auf Augen­höhe ist auch Grün­dungs­mo­tiv des Forums der Migran­tin­nen und Migran­ten im Pari­tä­ti­schen (FdM). Vor zehn Jah­ren waren es bun­des­weit über 100 Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen inner­halb des Pari­tä­ti­schen Wohl­fahrts­ver­bands, die beklag­ten, dass sie trotz Exper­tise und Erfah­rung nur sehr gerin­gen Ein­fluss auf inte­gra­ti­ons­po­li­ti­sche Ent­schei­dun­gen hät­ten. Gemein­sam grün­de­ten sie das FdM, um in Grund­satz­fra­gen der Inte­gra­tion und des Zusam­men­le­bens in Deutsch­land gemein­sam agie­ren zu kön­nen. Eine Stimme für Migran­ten sollte das Forum sein, wohl­wis­send, dass es „die Migran­ten“ eigent­lich gar nicht gibt. Doch so viel­fäl­tig Men­schen in unse­rer (Ein­wan­de­rungs-) Gesell­schaft auch sind, ein Fak­tum eint sie: Die Tat­sa­che, dass trotz vie­ler posi­ti­ver Ent­wick­lun­gen Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund immer noch nicht von jedem als selbst­ver­ständ­li­che Mit­glie­der der deut­schen Gesell­schaft ange­se­hen wer­den und ihnen Chan­cen­gleich­heit sowie echte Teil­habe viel zu häu­fig ver­wehrt bleiben.

Unser Ziel als FdM ist es, die aktive Par­ti­zi­pa­tion von Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund an Ent­schei­dungs­pro­zes­sen mit kon­kre­ten Maß­nah­men zu unter­stüt­zen. Denn über Men­schen zu reden, statt mit ihnen, war noch nie eine erfolg­rei­che Stra­te­gie: Die Ver­gan­gen­heit hat gezeigt, dass ein sol­cher Weg zu Fehl­pla­nun­gen, Ver­geu­dung von Poten­zia­len und einer Schwä­chung des gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halts führt. Nur wer gehört wird, kann sich auch lang­fris­tig und nach­hal­tig ein­brin­gen und sich als Teil der Gesell­schaft ver­ste­hen und fühlen.

Mit dem Para­dig­men­wech­sel in der Inte­gra­ti­ons­po­li­tik seit Anfang des neuen Jahr­tau­sends erhiel­ten Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen ver­mehrt die Mög­lich­keit, ihre Stand­punkte ein­zu­brin­gen: in ver­schie­de­nen Gre­mien in Kom­mu­nen und Län­dern, aber auch auf obers­ter Ebene wie auf dem Inte­gra­ti­ons­gip­fel der Bun­des­re­gie­rung. Ein wich­ti­ger Schritt, dem jedoch ein ent­schei­den­der Kon­text fehlte: Wer sich auf Augen­höhe an Ent­schei­dungs­bil­dungs­pro­zes­sen betei­li­gen möchte, braucht Struk­tu­ren, die es ihm ermög­li­chen, lang­fris­tig und fun­diert an der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung teil­zu­neh­men. Ohne diese feh­len fun­dierte Infor­ma­tio­nen, not­wen­dige Pro­fes­sio­na­li­tät, dis­kurs­fä­hige Mei­nungs­bil­dungs­pro­zesse sowie Kanäle, um Stand­punkte zu prä­sen­tie­ren, zu ver­tei­di­gen und durchzusetzen.

Ganz fol­ge­rich­tig ist die Ver­bes­se­rung der Rah­men­be­din­gun­gen für Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen einer der Schwer­punkte der Arbeit des FdM. Denn ihr jah­re­lan­ger fak­ti­scher Aus­schluss aus der För­de­rung auf­grund von feh­len­den oder unpas­sen­den För­der­instru­men­ten hat dazu geführt, dass sie nicht in glei­chem Maße wie andere Trä­ger Struk­tu­ren auf­bauen und Rück­la­gen bil­den konn­ten. Die häu­fig kur­zen Pro­jekt­för­der­lauf­zei­ten wirk­ten sich eben­falls lang­fris­tig nega­tiv auf die struk­tu­relle Ent­wick­lung der Orga­ni­sa­tio­nen aus. 2010 wurde auf Initia­tive des FdM und unter der Kofi­nan­zie­rung des Bun­des­am­tes für Migra­tion und Flücht­linge das Pro­jekt „Struk­tu­relle För­de­rung von Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen“ ein­ge­rich­tet. Eine Arbeits­gruppe aus Ver­tre­tern von acht bun­des­weit täti­gen Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen erar­bei­tete gemein­sam mit Minis­te­rien und ande­ren Akteu­ren der Inte­gra­ti­ons­ar­beit auf Bun­des- und Lan­des­ebene Vor­schläge für eine struk­tu­relle För­de­rung von Migran­ten­dach­or­ga­ni­sa­tio­nen. Diese inten­sive Aus­ein­an­der­set­zung mit der Arbeit von Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen ermög­lichte in den letz­ten vier Jah­ren eine erste Phase der Struk­tur­för­de­rung jen­seits von pro­jekt­ge­bun­de­nen Aktivitäten.

Natür­lich haben viele Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen trotz der bis­he­ri­gen wid­ri­gen Umstände den Weg der Pro­fes­sio­na­li­sie­rung gemeis­tert. Nicht zuletzt ihrem Enga­ge­ment ist es zu ver­dan­ken, dass Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen inzwi­schen als Exper­ten und Part­ner in der Inte­gra­ti­ons­ar­beit und dar­über hin­aus akzep­tiert wer­den. Längst sind diese Orga­ni­sa­tio­nen als Dienst­leis­ter in allen Berei­chen der sozia­len Arbeit tätig. Sie sind Trä­ger von sozia­len Regel­an­ge­bo­ten gewor­den und errei­chen Men­schen unab­hän­gig von ihrem kul­tu­rel­len Hin­ter­grund. Sie haben dabei getan, was vie­ler­orts als Schlüs­sel für die Inte­gra­tion als beid­sei­ti­gen Pro­zess gefor­dert wird: Sie haben sich inter­kul­tu­rell geöff­net. Sie sind Trä­ger von Kin­der­ta­ges­stät­ten, Jugend­so­zi­al­ar­beit, Jugend­hilfe, Gesund­heits­för­de­rung, Maß­nah­men zur Inte­gra­tion in den Arbeits­markt, Inte­gra­ti­ons­kur­sen und ver­schie­de­nen Beratungsangeboten.

Dar­über hin­aus sind Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen För­de­rer des bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments: Ein wich­ti­ger Teil ihrer Akti­vi­tä­ten – Haus­auf­ga­ben­hilfe, Unter­stüt­zung bei Behör­den­gän­gen, Frei­zeit­ge­stal­tung und Sport sowie inter­kul­tu­relle Akti­vi­tä­ten – wird durch den ehren­amt­li­chen Ein­satz von Migran­ten vor allem auf loka­ler Ebene durchgeführt.

Das Inte­gra­ti­ons­po­ten­zial und der Erfolg der kul­tur­sen­si­blen Unter­stüt­zungs­an­ge­bote zei­gen sich auch ein­drucks­voll in der Unter­stüt­zung von Geflüch­te­ten, für die Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen zu den ers­ten Anlauf­stel­len gehö­ren, wenn es darum geht, eine Ori­en­tie­rung in unse­rer Gesell­schaft zu fin­den. Orga­ni­sa­tio­nen, die sich eben­falls auf den Weg machen und einen Pro­fes­sio­na­li­sie­rungs­pro­zess beschrei­ten möch­ten, unter­stützt das FdM bereits seit 2009 mit Qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men. Drei Ziele ste­hen hier­bei im Vor­der­grund: die Ver­bes­se­rung der Ange­bote der Migran­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen, die Unter­stüt­zung beim Auf­bau inter­ner Struk­tu­ren in den Orga­ni­sa­tio­nen und die Stär­kung ihrer poli­ti­schen Par­ti­zi­pa­tion. So neh­men wir die zweite Seite der Medaille in den Fokus und bli­cken nicht nur auf die ver­bes­se­rungs­wür­di­gen Rah­men­be­din­gun­gen, son­dern befas­sen uns ebenso mit den orga­ni­sa­ti­ons­in­ter­nen Herausforderungen.

Blickt man zurück auf den Weg, den Deutsch­land inte­gra­ti­ons­po­li­tisch bereits zurück­ge­legt hat, gibt es durch­aus Anlass für Opti­mis­mus. Nun müs­sen wir die­sen Pro­zess auf­rich­tig fort­füh­ren: Wir müs­sen Dicho­to­mien wei­ter auf­bre­chen, Stand­punkte ver­schie­de­ner Inter­es­sen­grup­pen zulas­sen und ernst neh­men sowie eine echte Betei­li­gung auf Augen­höhe prak­ti­zie­ren. Wenn wir das schaf­fen, dann gelingt uns auch der Schritt zu einer erfolg­rei­chen Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaft, in der jeder seine Chance bekommt – egal, wann und wie er in die­sem Land sein Zuhause gefun­den hat.

Von |2019-06-10T17:22:27+02:00Juni 14th, 2017|Einwanderungsgesellschaft|Kommentare deaktiviert für

Zusam­men für mehr Teilhabe

Das Forum der Migran­tin­nen und Migran­ten im Paritätischen

Kenan Küçük ist Sprecher des Forums der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen. Hauptamtlich leitet er als Geschäftsführer das Multikulturelle Forum e.V.