Plu­ra­li­tät in Moscheen

Die inte­gra­tive Rolle der mus­li­mi­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten in Deutschland

Es mag über­ra­schen, dass mus­li­mi­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten eine inte­gra­tive Rolle über­haupt zuge­spro­chen wer­den soll, denn es erscheint als ein neues Phä­no­men, dass sich diese als Akteure der Inte­gra­ti­ons­ar­beit betä­ti­gen. Eigent­lich haben sie schon sehr früh damit begon­nen, sich darum zu bemü­hen, dass die Mus­lime ein selbst­ver­ständ­li­cher Teil die­ses Lan­des wer­den. Nur war die Arbeit unpro­fes­sio­nell und basierte auf Ehren­amt, daher wurde sie nicht sicht­bar. Die Mus­lime der ers­ten Gene­ra­tion haben sich zunächst um die Grün­dung von Moscheen gesorgt, um die Reli­gi­ons­aus­übung über­haupt gewähr­leis­ten zu kön­nen. So sind die 2.800 Moscheen und Gebets­plätze in Deutsch­land ent­stan­den, viele als Hin­ter­hof­mo­scheen, die nun durch reprä­sen­ta­tive Bau­ten ersetzt werden.

Die Moscheen wur­den als Ver­eine gegrün­det und diese Ver­eine schlos­sen sich zu Dach­ver­bän­den zusam­men. Dar­aus sind die heute bekann­ten Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten DITIB (Tür­kisch Isla­mi­sche Union), Islam­rat, Ver­ein Isla­mi­scher Kul­tur­zen­tren (VIKZ) und Zen­tral­rat der Mus­lime (ZMD) ent­stan­den, die zusam­men den Koor­di­na­ti­ons­rat der Mus­lime gegrün­det haben. Die­ser ver­tritt 85 Pro­zent der 2.800 Moscheen.

Als man die Räum­lich­kei­ten für die Gebets­ver­rich­tung und die Ver­eine hatte, kamen andere soziale Ange­bote dazu. Der Bedarf der Bevöl­ke­rung wurde zunächst an die Moschee­ver­eine her­an­ge­tra­gen, da es an ande­ren Inte­ressenvertretungen und Ver­ei­ni­gun­gen für diese Per­so­nen­gruppe mangelte.

Heute gibt es eine Viel­zahl von sozia­len Ange­bo­ten, die von Moschee­ge­mein­den bzw. den Dach­ver­bän­den selbst orga­ni­siert wer­den. Im Bereich der Bil­dung gibt es Haus­auf­ga­ben­be­treu­un­gen, Sprach­kurse, Inte­gra­ti­ons­kurse, Semi­nare zu poli­ti­scher Bil­dung etc.

Im Bereich Fami­lie sind Bera­tungs- und Bil­dungs­an­ge­bote zu fin­den, wei­ter­hin bie­ten viele Gemein­schaf­ten Prak­ti­kums- und Berufs­be­ra­tun­gen an, orga­ni­sie­ren Mes­sen, bil­den auch sel­ber aus. Es gibt viele Frei­zeit­an­ge­bote wie Ebru-Male­rei, Musi­ka­li­sche Grup­pen, Wochen­end­camps für Jugend­li­che, gemein­sa­mes Schwim­men und Sportangebote.

Aus den Moschee­ver­ei­nen sind Jugend­ver­eine und -ver­bände erwach­sen, Fuß­ball­ver­eine, Frau­en­ver­eine, Eltern­ver­eine, neu­er­dings auch Senio­ren­grup­pen. Jede der Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen des Koor­di­na­ti­ons­ra­tes hat auch eine Hilfs­or­ga­ni­sa­tion her­vor­ge­bracht. Aller­dings waren diese bis­lang in ers­ter Linie in Län­dern der Drit­ten Welt tätig. Sie bauen Brun­nen, Schu­len, Häu­ser und leis­ten Not­hilfe. Mit dem Flücht­lings­strom hat sich für die mus­li­mi­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und ihre Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen eine neue Her­aus­for­de­rung ergeben.

Die Flücht­linge, die vor­wie­gend aus mus­li­mi­schen Län­dern kom­men, suchen sich aus dem Inter­net Moscheen her­aus, da sie dort ihren reli­giö­sen Pflich­ten nach­kom­men wol­len, aber auch weil sie dort auf hilfs­be­reite Men­schen tref­fen, die ihre Spra­che spre­chen und ihre Kul­tur ken­nen. Auch Nicht­mus­lime aus die­sem Raum wen­den sich an sie und erhal­ten Hilfe. Spon­tan wur­den Ehren­amt­li­che in Moschee­ge­mein­den zu Ansprech­part­nern, die bei Behör­den­gän­gen, bei Arzt­be­su­chen, bei der Woh­nungs­su­che und bei der Ein­schu­lung der Kin­der unter­stüt­zen. Die neu­este Ber­tels­mann-Stu­die bestä­tigt, dass 44 Pro­zent der befrag­ten Mus­lime sich ehren­amt­lich in der Flücht­lings­hilfe engagieren.

Der große Ansturm auf die Gemein­den erfor­dert nach wie vor Fort­bil­dung und Koor­di­na­tion. Dar­auf reagier­ten die Gemein­schaf­ten, indem sie Struk­tu­ren bil­de­ten, unter ande­rem die SUEM-DIK oder den Ver­band der mus­li­mi­schen Flücht­lings­hilfe, bei denen sich Gemein­schaf­ten zusam­men­fin­den, um die Flücht­lings­hilfe zu pro­fes­sio­na­li­sie­ren. Aller­dings fehlt es an einer insti­tu­tio­nel­len För­de­rung der mus­li­mi­schen Flücht­lings­ar­beit, daher konnte man das bestehende Poten­tial bis­lang nicht wirk­lich aus­schöp­fen. Bis auf einige kleine För­der­pro­jekte sind die Gemein­schaf­ten auf sich selbst gestellt und ver­su­chen die Arbeit aus eige­nen Mit­teln zu stem­men. Frus­tra­tion und Fluk­tua­tion der Hel­fer sind die Folge. Die zurück­hal­tende För­der­po­li­tik ist auf das teil­weise vor­han­dene Miss­trauen und die Über­wa­chung der Moscheen
durch die Ver­fas­sungs­schutz­äm­ter zurück­zu­füh­ren, wodurch gute Inte­gra­ti­ons­ar­beit ver­hin­dert wird. Dabei kön­nen gerade Mus­lime, die hier schon jahr­zehn­te­lang leben, die sowohl die Spra­che der Zuge­wan­der­ten als auch der Mehr­heits­ge­sell­schaft spre­chen, eine wich­tige Brü­cken­funk­tion aus­üben. Sie leben den Geflüch­te­ten einen Islam vor, der mit die­ser Gesell­schaft und sei­ner Ver­fas­sung kon­form ist, sie leben die Werte die­ses Lan­des vor und erklä­ren ihnen die Unter­schiede zu der Gesell­schaft ihrer Her­kunft. Sie zei­gen ihnen, dass man hier als Mus­lim Reli­gi­ons­frei­heit genießt und gewährt, dass es zwar Islam­feind­lich­keit und Ras­sis­mus gibt, aber dass nur ein klei­ner Teil der Gesell­schaft diese Gesin­nung teilt.

Die Geflüch­te­ten sind mitt­ler­weile Teil unse­rer Gemein­den gewor­den, die erste Inte­gra­tion scheint gut ange­lau­fen zu sein, auch wenn sie nicht immer rei­bungs­los ver­läuft. Sie brin­gen sich ins Gemein­de­le­ben ein, knüp­fen Freund­schaf­ten und fin­den Halt in der neuen Umge­bung. Dadurch haben sich viele Gemein­den ver­grö­ßert, Plu­ra­li­tät in Moscheen wird sicht­bar, aber der Weg zur Inte­gra­tion ist noch weit und stei­nig. Damit sie gut gelingt, braucht es pro­fes­sio­nelle Beglei­tung und Unterstützung.

Von |2019-06-11T09:49:09+02:00Juni 7th, 2017|Religiöse Vielfalt|Kommentare deaktiviert für

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Die inte­gra­tive Rolle der mus­li­mi­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten in Deutschland

Nurhan Soykan ist stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Muslime und ständiges Mitglied des Koordinationsrates.