Nurhan Soykan 7. Juni 2017 Logo_Initiative_print.png

Plu­ra­li­tät in Moscheen

Die inte­gra­tive Rolle der mus­li­mi­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten in Deutschland

Es mag überraschen, dass muslimischen Religionsgemeinschaften eine integrative Rolle überhaupt zugesprochen werden soll, denn es erscheint als ein neues Phänomen, dass sich diese als Akteure der Integrationsarbeit betätigen. Eigentlich haben sie schon sehr früh damit begonnen, sich darum zu bemühen, dass die Muslime ein selbstverständlicher Teil dieses Landes werden. Nur war die Arbeit unprofessionell und basierte auf Ehrenamt, daher wurde sie nicht sichtbar. Die Muslime der ersten Generation haben sich zunächst um die Gründung von Moscheen gesorgt, um die Religionsausübung überhaupt gewährleisten zu können. So sind die 2.800 Moscheen und Gebetsplätze in Deutschland entstanden, viele als Hinterhofmoscheen, die nun durch repräsentative Bauten ersetzt werden.

Die Moscheen wurden als Vereine gegründet und diese Vereine schlossen sich zu Dachverbänden zusammen. Daraus sind die heute bekannten Religionsgemeinschaften DITIB (Türkisch Islamische Union), Islamrat, Verein Islamischer Kulturzentren (VIKZ) und Zentralrat der Muslime (ZMD) entstanden, die zusammen den Koordinationsrat der Muslime gegründet haben. Dieser vertritt 85 Prozent der 2.800 Moscheen.

Als man die Räumlichkeiten für die Gebetsverrichtung und die Vereine hatte, kamen andere soziale Angebote dazu. Der Bedarf der Bevölkerung wurde zunächst an die Moscheevereine herangetragen, da es an anderen Inte­ressenvertretungen und Vereinigungen für diese Personengruppe mangelte.

Heute gibt es eine Vielzahl von sozialen Angeboten, die von Moscheegemeinden bzw. den Dachverbänden selbst organisiert werden. Im Bereich der Bildung gibt es Hausaufgabenbetreuungen, Sprachkurse, Integrationskurse, Seminare zu politischer Bildung etc.

Im Bereich Familie sind Beratungs- und Bildungsangebote zu finden, weiterhin bieten viele Gemeinschaften Praktikums- und Berufsberatungen an, organisieren Messen, bilden auch selber aus. Es gibt viele Freizeitangebote wie Ebru-Malerei, Musikalische Gruppen, Wochenendcamps für Jugendliche, gemeinsames Schwimmen und Sportangebote.

Aus den Moscheevereinen sind Jugendvereine und -verbände erwachsen, Fußballvereine, Frauenvereine, Elternvereine, neuerdings auch Seniorengruppen. Jede der Mitgliedsorganisationen des Koordinationsrates hat auch eine Hilfsorganisation hervorgebracht. Allerdings waren diese bislang in erster Linie in Ländern der Dritten Welt tätig. Sie bauen Brunnen, Schulen, Häuser und leisten Nothilfe. Mit dem Flüchtlingsstrom hat sich für die muslimischen Religionsgemeinschaften und ihre Hilfsorganisationen eine neue Herausforderung ergeben.

Die Flüchtlinge, die vorwiegend aus muslimischen Ländern kommen, suchen sich aus dem Internet Moscheen heraus, da sie dort ihren religiösen Pflichten nachkommen wollen, aber auch weil sie dort auf hilfsbereite Menschen treffen, die ihre Sprache sprechen und ihre Kultur kennen. Auch Nichtmuslime aus diesem Raum wenden sich an sie und erhalten Hilfe. Spontan wurden Ehrenamtliche in Moscheegemeinden zu Ansprechpartnern, die bei Behördengängen, bei Arztbesuchen, bei der Wohnungssuche und bei der Einschulung der Kinder unterstützen. Die neueste Bertelsmann-Studie bestätigt, dass 44 Prozent der befragten Muslime sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren.

Der große Ansturm auf die Gemeinden erfordert nach wie vor Fortbildung und Koordination. Darauf reagierten die Gemeinschaften, indem sie Strukturen bildeten, unter anderem die SUEM-DIK oder den Verband der muslimischen Flüchtlingshilfe, bei denen sich Gemeinschaften zusammenfinden, um die Flüchtlingshilfe zu professionalisieren. Allerdings fehlt es an einer institutionellen Förderung der muslimischen Flüchtlingsarbeit, daher konnte man das bestehende Potential bislang nicht wirklich ausschöpfen. Bis auf einige kleine Förderprojekte sind die Gemeinschaften auf sich selbst gestellt und versuchen die Arbeit aus eigenen Mitteln zu stemmen. Frustration und Fluktuation der Helfer sind die Folge. Die zurückhaltende Förderpolitik ist auf das teilweise vorhandene Misstrauen und die Überwachung der Moscheen
durch die Verfassungsschutzämter zurückzuführen, wodurch gute Integrationsarbeit verhindert wird. Dabei können gerade Muslime, die hier schon jahrzehntelang leben, die sowohl die Sprache der Zugewanderten als auch der Mehrheitsgesellschaft sprechen, eine wichtige Brückenfunktion ausüben. Sie leben den Geflüchteten einen Islam vor, der mit dieser Gesellschaft und seiner Verfassung konform ist, sie leben die Werte dieses Landes vor und erklären ihnen die Unterschiede zu der Gesellschaft ihrer Herkunft. Sie zeigen ihnen, dass man hier als Muslim Religionsfreiheit genießt und gewährt, dass es zwar Islamfeindlichkeit und Rassismus gibt, aber dass nur ein kleiner Teil der Gesellschaft diese Gesinnung teilt.

Die Geflüchteten sind mittlerweile Teil unserer Gemeinden geworden, die erste Integration scheint gut angelaufen zu sein, auch wenn sie nicht immer reibungslos verläuft. Sie bringen sich ins Gemeindeleben ein, knüpfen Freundschaften und finden Halt in der neuen Umgebung. Dadurch haben sich viele Gemeinden vergrößert, Pluralität in Moscheen wird sichtbar, aber der Weg zur Integration ist noch weit und steinig. Damit sie gut gelingt, braucht es professionelle Begleitung und Unterstützung.

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