Mehr als nur Vokabeln

Deut­sche Spra­che als Integrationsmotor

Deutsch­land ist bereits seit Län­ge­rem ein Zuwan­de­rungs­land. Fast 20 Mil­lio­nen Men­schen mit aus­län­di­schen Wur­zeln leben hier. Für alle ist die deut­sche Spra­che der Schlüs­sel zur Inte­gra­tion. Alle Stu­dien bele­gen, je bes­ser das Sprach­ver­mö­gen, umso bes­ser die Chan­cen für eine gesell­schaft­li­che Teil­habe. Es geht dabei nicht nur um die Ein­glie­de­rung von Fach­kräf­ten für die Wirt­schaft. Längst gibt es Musi­ker, Schrift­stel­ler, Fil­me­ma­cher oder Bil­dende Künst­ler, die ihre Erfah­run­gen und ihre Per­spek­ti­ven mit uns tei­len, die sich ganz selbst­ver­ständ­lich als Teil der deut­schen Kul­tur ver­ste­hen. Aber für alle gilt glei­cher­ma­ßen, ohne einen moti­vier­ten Sprach­wech­sel ist ein wirk­li­ches Ankom­men nicht zu erreichen.

Der Erwerb einer Spra­che beschränkt sich dabei nicht auf das Erler­nen von Voka­beln und Gram­ma­tik, son­dern schließt auch Werte, Ver­hal­tens­nor­men und kul­tu­rel­les Wis­sen ein. Inte­gra­tion muss die Erfah­rung von Fremd­heit ver­ar­bei­ten und in Ver­hal­ten über­set­zen. Das gilt in Rich­tung der Deut­schen und in Rich­tung derer, die zu uns kommen.

Eine neue Dimen­sion hat die Migra­tion in Deutsch­land 2015/2016 erreicht. Inner­halb eines Jah­res such­ten fast eine Mil­lion Flücht­linge Schutz und Auf­nahme. Nicht nur Grö­ßen­ord­nung und Geschwin­dig­keit sind außer­ge­wöhn­lich, son­dern auch die Umstände. Ein Groß­teil stammt aus Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­ten mit erschüt­tern­den Ein­zel­schick­sa­len, die meis­ten sind auf unvor­stell­bar aus­zeh­ren­den Land­we­gen oder über das Mit­tel­meer nach Europa gelangt. Ein gro­ßer Anteil ist trau­ma­ti­siert, ins­be­son­dere Kin­der und Jugend­li­che. Des­halb ist es so wich­tig, dass Spra­che nicht nur als tech­ni­sches Werk­zeug ver­mit­telt wird, son­dern ein­ge­bet­tet ist in einen Zusam­men­hang mit kul­tu­rel­ler Integration.

Eine beein­dru­ckende Will­kom­mens­kul­tur als huma­ni­täre Sofort­hilfe hat das Bild Deutsch­lands bei der Auf­nahme von Flücht­lin­gen geprägt. Die­sem Will­kom­men muss jedoch eine wirk­li­che Kul­tur der Teil­habe fol­gen, die die Men­schen als Teil der Gesell­schaft auf­nimmt. Flücht­linge wol­len nicht Opfer blei­ben, son­dern eine ver­läss­li­che Inte­gra­tion erleben.

Spra­che ist zwei­fel­los der Schlüs­sel, um in Deutsch­land am gesell­schaft­li­chen Leben teil­zu­ha­ben, einen Arbeits­platz zu bekom­men oder ein Stu­dium zu begin­nen. Je moti­vier­ter dies ermög­licht und genutzt wird, desto bes­ser die Lebens- und Berufsperspektiven.

WLAN und Smart­phones ermög­li­chen den schnel­len Zugang zu zahl­rei­chen Übungs­an­ge­bo­ten und Apps im Inter­net. Diese Selbst­lern­an­ge­bote erleich­tern den Ein­stieg ins Deutsch­ler­nen und kön­nen unab­hän­gig vom Stand­ort genutzt wer­den. Durch sie kön­nen auch War­te­zei­ten bis zum Deutsch­kurs pro­duk­tiv genutzt wer­den. Das Goe­the-Insti­tut als größ­ter Kul­tur­mitt­ler Deutsch­lands hat gemein­sam mit dem Bun­des­amt für Migra­tion und Flücht­linge (BAMF), der Bun­des­agen­tur für Arbeit (BA) und dem Baye­ri­schen Rundfunk/ARD alpha die sehr erfolg­rei­che App „Ankom­men“ für Smart­phones rea­li­siert. Sie stellt in fünf Spra­chen die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen für einen erfolg­rei­chen Ein­stieg zur Inte­gra­tion zur Ver­fü­gung: Hin­weise zu Leben und Ver­hal­ten in Deutsch­land, Infor­ma­tio­nen zum Asyl­ver­fah­ren, zu Aus­bil­dung und Berufs­le­ben und einen vom Goe­the-Insti­tut ent­wi­ckel­ten mul­ti­me­dia­len Sprach­kurs für Selbst­ler­ner. Die App wurde inzwi­schen mehr als 220.000 Mal her­un­ter­ge­la­den. Die Inhalte wer­den lau­fend weiterentwickelt.

Um die Fähig­keit zu erwer­ben, in der Fremd­spra­che zu kom­mu­ni­zie­ren, braucht es jedoch direkte Inter­ak­tion mit Mut­ter­sprach­lern, die über Apps nicht zu errei­chen ist. Indi­vi­du­el­les Üben und Nach­ah­men sind dar­über hin­aus nur ein­zelne Bau­steine eines erfolg­rei­chen Sprach­er­werbs und kei­nes­falls aus­rei­chend. Dies trifft in beson­de­rem Maß auf Men­schen zu, die erst­mals eine Fremd­spra­che ler­nen. Sie benö­ti­gen eine pro­fes­sio­nelle Beglei­tung, durch die Struk­tu­ren, Lern­stra­te­gien und Fort­schritt im Lern­stoff garan­tiert werden.

In Deutsch­land regelt das Auf­ent­halts­ge­setz die Teil­nahme an Inte­gra­ti­ons­kur­sen, die bun­des­weit von durch das BAMF akkre­di­tier­ten Trä­gern ange­bo­ten wer­den. Das Goe­the-Insti­tut hat das Rah­men­cur­ri­cu­lum für die Inte­gra­ti­ons­kurse erar­bei­tet und 2016 an die neue Situa­tion im Auf­trag des BAMF ange­passt. Alle Sprach­kurs­an­bie­ter müs­sen die Qua­li­täts­stan­dards erfül­len, um eine erfolg­rei­che Sprach­för­de­rung zu gewähr­leis­ten. Auch wenn der Begriff „Flücht­ling“ zunächst eine homo­gene Gruppe sug­ge­riert, so hat doch jeder Geflüch­tete seine eigene Bio­gra­fie, seine eige­nen Lern- und Berufs­er­fah­run­gen und Fähig­kei­ten, die seine Mög­lich­kei­ten und Erwar­tun­gen bestim­men. Je nach Bil­dungs­stand braucht es dif­fe­ren­zierte und fle­xi­ble Kurs­an­ge­bote. Ergän­zend zu den Inte­gra­ti­ons­kur­sen sind das Ange­bote für Analpha­be­ten sowie Kurse für aka­de­misch gebil­dete und stu­dier­wil­lige Flücht­linge. Dar­über hin­aus müs­sen Sprach­er­werb und Aus­bil­dung enger auf­ein­an­der abge­stimmt wer­den. Dazu ist nicht nur die För­de­rung von berufs­be­zo­ge­nen Sprach­an­ge­bo­ten unbe­dingt erfor­der­lich. Die Ange­bote müs­sen auch auf die zeit­li­che und ört­li­che Ver­füg­bar­keit Rück­sicht nehmen.

Auf­grund der außer­ge­wöhn­li­chen Situa­tion und des rasant stei­gen­den Bedarfs nach Deutsch­kur­sen hat das Goe­the-Insti­tut fol­gende Maß­nah­men ver­stärkt ange­bo­ten: digi­tale Ange­bote zum Selbst­ler­nen, Teil­nahme von Hoch­qua­li­fi­zier­ten an Sprach­kur­sen an den zwölf Goe­the-Insti­tu­ten in Deutsch­land oder an den Online-Kur­sen, um den schnel­len Zugang zum Arbeits­markt zu erleich­tern. Da die deut­schen Goe­the-Insti­tute keine öffent­li­chen Mit­tel erhal­ten, konn­ten die Ange­bote nur auf­grund von Spen­den oder zweck­ge­bun­de­nen Dritt­mit­teln – in der Regel für neue Pro­jekt­in­halte – rea­li­siert wer­den. Inter­es­sant für das Goe­the-Insti­tut und im Sinn einer mög­lichst nach­hal­ti­gen Sprach­ver­mitt­lung wäre es, wenn die gesamte Kurs- und Prü­fungs­pa­lette auch für Flücht­linge genutzt wer­den könnte und die beauf­tra­gen­den Stel­len dies ein­fach durch Sti­pen­di­en­ver­gabe ermög­li­chen können.

Schließ­lich ist die Ein­bet­tung in Pro­jekte zur Akti­vie­rung und Stär­kung der gesell­schaft­li­chen Teil­habe neu Zuge­wan­der­ter ein moti­vie­ren­des Ele­ment und schafft echte Teil­habe. Das kön­nen sein: Aus­flüge, Thea­ter- und Muse­ums­be­su­che, Ein­la­dun­gen, Prak­tika in regio­na­len Fir­men, Koope­ra­tion mit Hoch­schu­len, orga­ni­siert von För­der- und Freun­des­krei­sen. Gerade weil wir kein Land der gro­ßen Metro­po­len sind – die über­wie­gende Mehr­heit der Bevöl­ke­rung lebt in Orten unter 50.000 Ein­woh­nern – eröff­nen sich auf­grund nach­bar­schaft­li­cher Struk­tu­ren Chan­cen zur Anwen­dung des Gelern­ten, für sprach­lich wie inter­kul­tu­rell-lan­des­kund­li­ches Lernen.

Beein­dru­ckend ist der selbst­lose Ein­satz von Ehren­amt­li­chen. Ohne sie wäre vie­les nicht mög­lich gewe­sen. Aller­dings hat sich ihre Inte­gra­ti­ons­hilfe inzwi­schen zu einer Ori­en­tie­rungs- und Aus­kunfts­hilfe ent­wi­ckelt. Das bedeu­tet, eine stär­kere Zusam­men­ar­beit zwi­schen Gesell­schaft und Staat ist unbe­dingt not­wen­dig. Das Goe­the-Insti­tut hat auf diese Gruppe reagiert und für die Ehren­amt­li­chen ein sehr nach­ge­frag­tes Qua­li­fi­zie­rungs­pa­ket zur effi­zi­en­ten Sprach­ver­mitt­lung ent­wi­ckelt. Die­ses Enga­ge­ment stellt eine wich­tige Ergän­zung zu den pro­fes­sio­nel­len Ange­bo­ten dar. Der Aus­bau von bereits exis­tie­ren­den Schu­lungs­an­ge­bo­ten in der Reich­weite und zur Stär­kung der inter­kul­tu­rel­len Kom­pe­tenz ist drin­gend not­wen­dig. Die bis­he­ri­gen Erfah­run­gen sind über­zeu­gend, gerade auch wegen der mensch­li­chen Nähe.

Das Goe­the-Insti­tut kennt die Situa­tion bereits in den Her­kunfts­län­dern der Migran­ten und ins­be­son­dere die Flücht­lings­pro­ble­ma­tik in den Nach­bar­län­dern Syri­ens und des Irak – in der Tür­kei, in Jor­da­nien und im Liba­non. Dort wer­den beson­ders Kin­der und Jugend­li­che betreut. Diese Gruppe benö­tigt auch in Deutsch­land eine beson­dere Zuwen­dung. Durch eine groß­zü­gige Spende von fast einer Mil­lion Euro sei­tens der Japan Art Asso­cia­tion wurde es dem Goe­the-Insti­tut ermög­licht, Kin­der und Jugend­li­che zwi­schen 12 und 17 Jah­ren in kul­tu­rel­len Inte­grationskursen zu betreuen. Außer­dem ent­stan­den zwei wun­der­bare Pro­jekte zu einer anschau­li­chen Ver­mitt­lung der deut­schen Spra­che in ihrem kul­tu­rel­len Kontext.

Zum einen ist es eine Reihe von Kin­der- und Hör­bü­chern in Deutsch, Ara­bisch und Farsi unter dem Titel „Ein­fach Lesen“ und „Ein­fach Hören“, die Ein­bli­cke in die Lebens­welt deut­scher Kin­der gibt. Mit den Büchern kön­nen die jun­gen Leser in ihrer Mut­ter­spra­che Geschich­ten deut­scher Autoren ken­nen­ler­nen und bekom­men gleich­zei­tig die Mög­lich­keit, sich mit der deut­schen Spra­che ver­traut zu machen. 300 Bücher­pa­kete wur­den über Stadt­bi­blio­the­ken ver­teilt, über 100.000 Kin­der wur­den inzwi­schen erreicht. Und die Eltern lesen mit! Zum ande­ren ist es der Film­kof­fer Cine­manya mit 18 deut­schen Spiel­fil­men mit ara­bi­schen und zum Teil per­si­schen Unter­ti­teln und einem Kurz­film­pro­gramm. Die 15 Kof­fer wer­den durch geschulte Patin­nen und Paten für Begleit­ver­an­stal­tun­gen in ganz Deutsch­land mit gro­ßem Erfolg ein­ge­setzt. Obwohl unter­ti­telt, wer­den die Filme kom­plett auf Deutsch gese­hen, meist auf aus­drück­li­chen Wunsch der Kin­der. Die Film­kof­fer­ver­an­stal­tun­gen sind häu­fig als Begeg­nungs­ver­an­stal­tun­gen ange­legt, d. h. das Publi­kum besteht aus Kin­dern und Jugend­li­chen mit und ohne Flucht­er­fah­rung. So wer­den sie Teil der loka­len Jugend­kul­tur, es wer­den Bar­rie­ren abge­baut und die Moti­va­tion erhöht, sich wei­ter mit Spra­che und Kul­tur zu befassen.

Wir haben gute Chan­cen, aus der sprach­li­chen und kul­tu­rel­len Ver­ar­bei­tung gemein­same Erfah­run­gen nutz­bar zu machen und zu wirk­li­chen Begeg­nungs­ge­schich­ten wer­den zu lassen.

Von |2019-06-11T10:23:18+02:00März 29th, 2017|Sprache|Kommentare deaktiviert für

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Deut­sche Spra­che als Integrationsmotor

Klaus-Dieter Lehmann ist Präsident des Goethe-Instituts.