Arbeit und Kul­tur – untrenn­bar verwoben

Hans Jes­sen im Gespräch mit der Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­rin Andrea Nahles

Andrea Nah­les ist eben­falls eine der Initia­to­rin­nen der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion. Der Jour­na­list Hans Jes­sen spricht mit ihr über Inte­gra­tion durch Arbeit, die Angst vor Über­frem­dung und vie­les mehr.

Hans Jes­sen: Frau Nah­les, bei der Vor­stel­lung der Initia­tive sag­ten Sie: „Arbeit ist der Schlüs­sel zum Gelin­gen der Inte­gra­tion.“ Was mei­nen Sie damit? Warum ist Arbeit der Schlüs­sel? Andere hal­ten ja eher Kennt­nisse der deut­schen Spra­che für den Schlüssel.
Andrea Nah­les: Bei­des ist wich­tig. Spra­che ist die Grund­vor­aus­set­zung, um sich mit­ein­an­der zu ver­stän­di­gen. Und der Moment, in dem man zum Kol­le­gen oder zur Kol­le­gin wird, trägt eine große Chance in sich. Durch das Mit­ein­an­der im All­tag fin­det ein Aus­tausch statt, der alles ein­fa­cher macht, das Spra­cheler­nen und auch das Zusam­men­le­ben. Wo sonst kann man die Eigen­hei­ten eines Lan­des, das einem zunächst fremd ist, so schnell und so gut ken­nen­ler­nen? Arbeit ist ein gro­ßer Teil unse­rer Kul­tur – in Deutsch­land noch mehr als in ande­ren Län­dern. Wer arbei­tet, ist nicht pas­siv, son­dern aktiv. Man kann selbst einen Bei­trag leis­ten in einem neuen Land, in dem man ver­sucht, Fuß zu fas­sen. Bei uns in der Eifel sagt man bei­spiels­weise den schö­nen Satz: „Den kann ma jebrau­che“. Das heißt soviel wie: Der packt an, der macht mit, der will Teil der Gemein­schaft sein. Als eine geflüch­tete Fami­lie mit vier Kin­dern zu uns ins Dorf kam und über den Vater gesagt wurde „Den kann ma jebrau­che“, war das für mich das beste Zei­chen dafür, dass die Fami­lie in der Dorf­ge­mein­schaft ange­kom­men war.

Für Sie ist also eine bestimmte Hal­tung zur Arbeit schon Bestand­teil von Kul­tur, wenn man Kul­tur als Lebens­weise ansieht?
Ja. Arbeit ist ein ganz wesent­li­cher Teil unse­rer Kul­tur in Deutsch­land. Arbeit und Kul­tur sind untrenn­bar mit­ein­an­der ver­wo­ben. Ich will Ihnen noch ein Bei­spiel nen­nen: Eine der gro­ßen Schwie­rig­kei­ten in den Inte­gra­ti­ons­kur­sen besteht darin, den Men­schen die Bedeu­tung unse­rer dua­len Aus­bil­dung zu ver­mit­teln. Ein Vier­tel der Men­schen, die aus den acht wesent­li­chen Her­kunfts­län­dern zu uns gekom­men sind, haben einen Hoch­schul­ab­schluss. Ein wei­te­res Vier­tel hat hin­ge­gen über­haupt kei­nen Abschluss, ist aber zum aller­größ­ten Teil noch sehr jung. In ihren Hei­mat­län­dern, in Afgha­ni­stan, Syrien, im Irak oder in Eri­trea, gibt es das Sys­tem der dua­len Aus­bil­dung schlicht­weg nicht. Sie ver­ste­hen daher auch nicht, wel­cher Stel­len­wert dem deut­schen Fach­ar­bei­ter­tum hier zukommt. Das zu erklä­ren, ist kul­tu­relle Über­set­zungs- und schwere Über­zeu­gungs­ar­beit. Erklä­ren Sie jeman­dem, des­sen Ver­ständ­nis von Ver­ant­wor­tung darin besteht, schnell Geld für sich und seine Fami­lie zu ver­die­nen, dass es sich lohnt, in eine Aus­bil­dung zu gehen, obwohl er dann zunächst ein­mal weni­ger Gehalt bekommt. Ich erin­nere mich auch sehr gut an einen syri­schen Mann, der vor mir regel­recht auf die Knie gegan­gen ist, um nicht an einem fünf­wö­chi­gen Erpro­bungs­kurs bei der Hand­werks­kam­mer Koblenz teil­neh­men zu müs­sen. Dabei ging es ledig­lich darum, sich von sei­nen Fer­tig­kei­ten zu über­zeu­gen, nach­dem er ange­ge­ben hatte, er sei Bäcker. Das prüft die Hand­werks­kam­mer, damit er auch tat­säch­lich als Bäcker arbei­ten kann. Anschlie­ßend kann er sofort eine Arbeit auf­neh­men, und zwar eine gute. Er selbst war aber davon über­zeugt, dass er mit sei­nem 400-Euro-Aus­hilfs­job bereits bes­tens ver­sorgt sei. Wir hin­ge­gen set­zen auf die Per­spek­tive, lang­fris­tig einen guten Job zu finden.

Fühlt die Arbeits­mi­nis­te­rin sich viel­leicht auch des­we­gen für Inte­gra­tion zustän­dig, weil Inte­gra­tion selbst Arbeit ist?
Wohl wahr, das gilt aber nicht nur für mich (lacht). Ich habe das im letz­ten Jahr erlebt, als es darum ging, zahl­rei­che Gesetze anzu­pas­sen, die unsin­nige und pra­xis­ferne Vor­schrif­ten ent­hiel­ten. Z. B., dass man als gedul­de­ter Flücht­ling keine Aus­bil­dung mehr begin­nen durfte, wenn man älter als 21 Jahre alt war. Das ist Quatsch. Warum sollte ein 25-Jäh­ri­ger nicht mehr Kfz-Mecha­tro­ni­ker wer­den kön­nen, wenn es einen Betrieb gibt, der ihn gern aus­bil­den möchte? Das sol­len die Betriebe selbst ent­schei­den kön­nen. Wir haben diese Alters­grenze des­halb abge­schafft. Diese und andere Erleich­te­run­gen zur Inte­gra­tion in den Arbeits­markt waren mit mühe­vol­ler Über­zeu­gungs­ar­beit ver­bun­den. Ins­be­son­dere kon­ser­va­tive Innen­po­li­ti­ker sahen in vie­lem nur soge­nannte Pull-Fak­to­ren, also zusätz­li­che Anreize, nach Deutsch­land zu kom­men. Aber die Men­schen sind ja nun hier, also müs­sen wir auch so damit umge­hen, dass es hier gelingt. Die eigent­li­che Inte­gra­ti­ons­ar­beit beginnt erst jetzt. Es geht darum, all die­je­ni­gen, die bis­lang in Inte­gra­ti­ons­kur­sen saßen, auch in Arbeit zu brin­gen. Das ist eine große Auf­gabe, ein Mara­thon und kein Sprint.

Ich möchte noch­mal nach­fra­gen, was für Sie kul­tu­relle Inte­gra­tion eigent­lich bedeu­tet, dar­un­ter ließe sich ja sowohl die Inte­gra­tion in eine bestimmte Lebens­weise ver­ste­hen als auch die Ein­be­zie­hung in bestimmte Kul­tur­ebe­nen wie Musik, Lite­ra­tur und Kunst. Was ist es für Sie?
Kul­tu­relle Inte­gra­tion bedeu­tet für mich die Bereit­schaft, einen Weg für ein gutes Mit­ein­an­der der Kul­tu­ren zu fin­den, ohne seine eige­nen Wur­zeln und Über­zeu­gun­gen auf­ge­ben zu müs­sen. Sich in der Kul­tur eines Lan­des zurecht­zu­fin­den und ein­zu­glie­dern bedeu­tet also nicht, dass man seine Her­kunft leug­net oder ver­wischt. Es geht viel­mehr um ein Zusam­men­füh­ren von Kul­tu­ren. In mei­nem Wahl­kreis in Ander­nach bei­spiels­weise gab es frü­her eine leer­ste­hende fran­zö­si­sche Kaserne. Dort wur­den 6.000 Russ­land­deut­sche ein­quar­tiert. Es waren Men­no­ni­ten, denen aus reli­giö­sen Grün­den nicht erlaubt ist, an Musik­ver­an­stal­tun­gen oder Fes­ten teil­zu­neh­men. Trotz­dem haben sie sich gut in die bestehende Gemein­schaft inte­griert. Und zwar über den Sport. Ander­nach hat seit­dem bei­spiels­weise eine Top-Tur­ner-Abtei­lung. Gleich­zei­tig wurde ihnen die Mög­lich­keit gege­ben, ihre Reli­gion auch bei uns zu leben. Sie durf­ten auf einem Grund­stück der Stadt ihre eigene Kir­che bauen. Das ver­stehe ich unter geleb­tem Mit­ein­an­der. Es gibt viele Wege für ein gutes Mit­ein­an­der, bei jedem sieht er viel­leicht ein biss­chen anders aus. Es kann über den Sport lau­fen, die Musik, die Arbeit. Es geht darum, die Offen­heit auf bei­den Sei­ten auf­zu­brin­gen, den Weg gemein­sam zu finden.

Aber wird nicht gerade das von Tei­len der Gesell­schaft, die sich poli­tisch nach rechts ori­en­tie­ren, abgelehnt?
Lei­der ja. Aber eine Gesell­schaft ist dann beson­ders stark, auch öko­no­misch, wenn sie zusam­men­hält, wenn sich ihre Mit­glie­der auf Augen­höhe begeg­nen, wenn sie Per­spek­ti­ven schafft und jedem Ein­zel­nen die Chance gibt, dass er etwas errei­chen kann, wenn er sich anstrengt. Egal, ob er hier gebo­ren und auf­ge­wach­sen ist oder ob er unlängst zu uns gekom­men ist. Genau das zeich­net unsere Gesell­schaft aus und dar­auf bin ich stolz. Klar ist auch, dass unsere Gesell­schaft über ver­bind­li­che Regeln verfügt.

Sie sind in unse­rer Ver­fas­sung nie­der­ge­legt und alle, die bei uns Schutz suchen oder aus ande­ren Grün­den zu uns kom­men, haben sich an diese Regeln zu hal­ten. Eine Gesell­schaft darf also durch­aus etwas erwar­ten von den­je­ni­gen, die zu uns kom­men. Ich war und bin des­halb auch davon über­zeugt, dass das Prin­zip des För­derns und For­derns für alle gel­ten muss. Aber: Wer kul­tu­relle Inte­gra­tion als Ein­bahn­straße ver­steht und von den Men­schen for­dert, ihre Her­kunft, ihre Geschichte und damit einen gro­ßen Teil ihres Selbst­ver­ständ­nis­ses auf­zu­ge­ben, der spal­tet und sorgt für Kon­fron­ta­tion statt Inte­gra­tion. Das halte ich für sehr gefährlich.

In die­ser Dis­kus­sion war immer wie­der die These zu hören, man befürchte eine Über­frem­dung unse­rer Kul­tur durch mas­sen­haf­ten Zustrom. Es gibt offen­bar wach­sende Teile der deut­schen Bevöl­ke­rung, die Inte­gra­tion grund­sätz­lich ableh­nen – es sei denn, sie fin­det in Form von Assi­mi­la­tion statt. Woran liegt das? Und wie geht man damit um? Bezie­hungs­weise: Wie gehen Sie damit um?
Die Stärke unse­res Lan­des und unse­rer Wirt­schaft begrün­det sich auch his­to­risch gese­hen in hohem Maße auf Inte­gra­tion und Zuwan­de­rung. Und für die Zukunft unse­res Lan­des wird dies umso mehr gel­ten. Auch vor die­sem Hin­ter­grund halte ich eine Total­ver­wei­ge­rung für gefähr­lich und kurz­sich­tig. Aber sie ist trotz­dem ernst zu neh­men. Wir müs­sen für unsere Posi­tion wer­ben, ins Gespräch kom­men, Begeg­nung orga­ni­sie­ren, Vor­ur­teile abbauen, auch und vor allem über Arbeit. Ich stelle häu­fig fest, dass Vor­be­halte in Respekt oder gar Sym­pa­thie umschla­gen, wenn es einen per­sön­li­chen Kon­takt gibt. Denn bei allen Vor­be­hal­ten im All­ge­mei­nen gibt es doch die kon­krete Offen­heit für den Einen.

Diese Offen­heit zu för­dern und sie im All­tag spür­bar zu machen, ist unser gemein­sa­mes Ziel. Eben des­halb freue ich mich über die Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion, die hierzu gewiss einen gro­ßen Bei­trag leis­ten kann und wird.

Dan­ke­schön.

Von |2019-06-10T16:57:57+02:00März 7th, 2017|Arbeitsmarkt|Kommentare deaktiviert für

Arbeit und Kul­tur – untrenn­bar verwoben

Hans Jes­sen im Gespräch mit der Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­rin Andrea Nahles

Andrea Nahles, MdB ist Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Hans Jessen ist freier Journalist und Publizist. Er war langjähriger ARD-Hauptstadtkorrespondent.