Ein Höchst­maß an Medienvielfalt

 Viel­falts­ori­en­tierte Medi­en­ord­nung soll über das rein markt­wirt­schaft­li­che Den­ken hinausgehen

Fast ein Jahr nach dem ers­ten Ent­wurf des Medi­en­staats­ver­tra­ges wurde in die­sem Som­mer der zweite Ent­wurf ver­öf­fent­licht. Waren es im ver­gan­ge­nen Jahr über 1.200 Inter­es­sierte, die ihre Ein­wände oder Ergän­zun­gen online an die Staats­kanz­lei von Rhein­land-Pfalz über­mit­tel­ten, so war die Zahl der Ein­ga­ben dies­mal mit knapp 100 deut­lich gerin­ger. Um ihren medi­en­po­li­ti­schen Hand­lungs­spiel­raum zu behaup­ten, um zu ver­hin­dern, dass der Bund künf­tig alle Fra­gen der Online-Kom­mu­ni­ka­tion regelt und ihrer Ver­ant­wor­tung für die Siche­rung der Medi­en­viel­falt gerecht zu wer­den, haben die Län­der den Medi­en­staats­ver­trag auf den Weg gebracht. Denn dem Bund stün­den nach den Bestim­mun­gen des Grund­ge­set­zes keine Gesetz­ge­bungs­kom­pe­ten­zen für viel­falt­si­chernde Rege­lun­gen im Medi­en­be­reich zu, so Die­ter Dörr in einem im Juni ver­öf­fent­lich­ten Gut­ach­ten der Medi­en­an­stal­ten. »Da das Grund­ge­setz dem Bund keine dies­be­züg­li­chen Gesetz­ge­bungs­be­fug­nisse ver­leiht, ist es nach Art. 70 Abs. 1 GG Sache der Län­der, für die Ein­hal­tung der all­ge­mei­nen Gesetze in Medien und sozia­len Netz­wer­ken Sorge zu tra­gen. Wegen der Vor­ga­ben des Grund­ge­set­zes sind sie zur effek­ti­ven Viel­falt­si­che­rung ver­pflich­tet«, stellt der Main­zer Medi­en­recht­ler fest.

Wie Heike Raab, Medi­en­staats­se­kre­tä­rin in Rhein­land-Pfalz, betonte, soll der Medi­en­staats­ver­trag bis Ende des Jah­res ver­ab­schie­det wer­den. Es gehe den Län­dern darum, aktiv in der digi­ta­len Trans­for­ma­tion auch kom­mu­ni­ka­tive Chan­cen­gleich­heit zu sichern. »Ziel ist es, ange­passte, ange­mes­sene und gemein­sam akzep­tierte Regeln, Stan­dards und Werte – off­line und online
– Gel­tung zu ver­schaf­fen. Die Zahl der Ein­ga­ben hat gezeigt, dass ein gro­ßes Inter­esse an der Medi­en­ord­nung besteht. In der Rund­funk­kom­mis­sion wer­den wir dies sorg­fäl­tig aus­wer­ten und bera­ten«, so Raab.

Der zweite Ent­wurf ent­hielt nur wenige Ände­run­gen im Ver­gleich zur ursprüng­li­chen Fas­sung. »Viele Punkte, die im Län­der­kreis vor der Abfas­sung des Ent­wurfs umstrit­ten waren, waren es auch im Rah­men der Online-Kon­sul­ta­tion. Die meis­ten Stel­lung­nah­men sind rund um das Thema Rund­funk­be­griff und Zulas­sung ein­ge­gan­gen. Erwar­tungs­ge­mäß waren aber auch The­men wie das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot im Rah­men der Regu­lie­rung für Medi­en­in­ter­me­diäre sehr umstrit­ten«, beschreibt Sena­tor Cars­ten Brosda, in Ham­burg für Medi­en­po­li­tik zustän­dig und einer der Archi­tek­ten des Medi­en­staats­ver­tra­ges, das Ergeb­nis der ers­ten öffent­li­chen Konsultation.

Die Grund­phi­lo­so­phie des ers­ten Ent­wurfs, ein Höchst­maß an Mei­nungs­viel­falt zu sichern und zu för­dern, die Inhal­te­an­bie­ter zu schüt­zen und eine abge­stufte Regu­lie­rung vor­zu­se­hen, wurde bei­be­hal­ten. Im neuen Vor­schlag wer­den auch Sprach­as­sis­ten­ten von der Regu­lie­rung erfasst und es ist ein eige­ner Abschnitt zu soge­nann­ten Video-Sha­ring-Platt­for­men enthalten.

Dif­fe­ren­zen zwi­schen Inhalte-anbie­tern und Plattformen

Drei The­men­fel­der sol­len im Medi­en­staats­ver­trag gere­gelt wer­den: Rund­funk­be­griffs- und Zulas­sungs­vor­schrif­ten, die Platt­form­re­gu­lie­rung und die Regu­lie­rung von Medienintermediären.

Beim Rund­funk­be­griff und den Zulas­sungs­vor­schrif­ten ori­en­tiert man sich weit­ge­hend an der novel­lier­ten AVMD-Richt­li­nie, die an der bis­he­ri­gen Unter­schei­dung zwi­schen linea­ren audio­vi­su­el­len Medi­en­diens­ten und audio­vi­su­el­len Medi­en­diens­ten auf Abruf fest­hält. Der Rund­funk­staats­ver­trag unter­schei­det bis­her zwi­schen zulas­sungs­pflich­ti­gem Rund­funk einer­seits und zulas­sungs- und anmel­de­freien Tele­me­dien ande­rer­seits. Diese Grund­struk­tur soll bei­be­hal­ten, aber um eine Baga­tell­re­ge­lung, z. B. für You­Tube-Kanäle oder Ange­bote von Zei­tungs­ver­la­gen, erwei­tert werden.

Dif­fi­zi­ler ist die Platt­form­re­gu­lie­rung. Wäh­rend Platt­form­an­bie­ter wie Kabel­netz­be­trei­ber bereits regu­liert wer­den, sind End­ge­räte wie Smart-TVs oder auch soge­nannte »OTT /over the top« Anbie­ter wie Net­flix, Ama­zon Prime, Google TV oder Apple TV davon nicht betrof­fen. Hier sto­ßen die Inte-res­sen der Digi­tal­wirt­schaft und der Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­bran­che sowie der Inhal­te­an­bie­ter wei­ter­hin kon­tro­vers auf­ein­an­der. Geht es der ers­ten Gruppe vor allem um die Bei­be­hal­tung ihrer Geschäfts­mo­delle, die wesent­lich auf der Ver­brei­tung der Ange­bote Drit­ter beru­hen, drängt die Con­tent-Bran­che auf eine dis­kri­mi­nie­rungs­freie, unein­ge­schränkte Dis­tri­bu­tion zum Nut­zer. So stell­ten sich ANGA, BITKOM, eco und ZVEI in einer gemein­sa­men Erklä­rung gegen den Ent­wurf, da er nach ihrer Auf­fas­sung die Frei­heit der Nut­zer ein­schränke, Inno­va­tio­nen blo­ckiere und unver­hält­nis­mä­ßig in die Gestal­tungs­frei­heit von Medi­en­platt­for­men ein­greife. Laut eines Gut­ach­tens des Insti­tuts für Euro­päi­sches Medi­en­recht im Auf­trag die­ser vier Tech­no­lo­gie­ver­bände ist die Aus­ge­stal­tung der genauen recht­li­chen Bedin­gun­gen ein­schließ­lich mög­li­cher Aus­nah­men vom grund­sätz­li­chen Über­blen­dungs­ver­bot den Mit­glied­staa­ten über­las­sen. Dabei sol­len aber ins­be­son­dere auch die berech­tig­ten Inter­es­sen der Nut­zer berück­sich­tigt werden.

Das sieht der VAUNET – Ver­band Pri­va­ter Medien erwar­tungs­ge­mäß anders: »Gerade ange­sichts der statt­fin­den­den Kon­so­li­die­rung im Markt und der damit noch ein­mal ver­schärf­ten Ver­hand­lungs­macht der Platt­for­men gegen­über den Inhal­te­an­bie­tern ist es mehr denn je erfor­der­lich, ihnen im Inter­esse der Ange­bots- und Anbie­ter­viel­falt bei der poten­zi­ell die Viel­falt ein­schrän­ken­den Gestal­tung der Platt­form, Leit­li­nien an die Hand zu geben. Das gilt glei­cher­ma­ßen für den Zugang, die Auf­find­bar­keit und chan­cen­glei­che, nicht dis­kri­mi­nie­rende kom­mer­zi­elle Kon­di­tio­nen. Dies ist mit dem vor­lie­gen­den Ent­wurf zum MStV zu einem guten Teil gelungen.«

Für Heike Raab ist es ein erklär­tes Ziel des Medi­en­staats­ver­tra­ges, mediale Kom­mu­ni­ka­ti­ons­räume ins­ge­samt offen zu hal­ten. Des­halb sol­len alle moder­nen Ver­brei­tungs­wege für Medi­en­in­halte umfas­send in den Blick genom­men wer­den. Hier braucht es natür­lich immer einen Aus­gleich zwi­schen den ver­schie­de­nen berech­tig­ten Inter­es­sen – »Inhal­te­an­bie­ter, Inhal­te­ver­mitt­ler sowie Nut­ze­rin­nen und Nut­zer. Für einige Ange­bote und Dienste bedeu­ten die Vor­schläge frei­lich, dass sie erst­mals unter eine Form der Medi­en­re­gu­lie­rung fal­len wer­den. Gerade vor dem Hin­ter­grund der dar­ge­stell­ten Ver­än­de­run­gen der Medi­en­land­schaft bin ich mir aber sicher: Es braucht mehr denn je eine viel­falts­ori­en­tierte Medi­en­ord­nung, die über das rein markt­wirt­schaft­li­che Den­ken hin­aus­geht. Dass hier das ein oder andere Geschäfts­mo­dell mög­li­cher­weise ange­passt wer­den muss, sollte hier kein Hin­der­nis sein, son­dern viel­mehr Ansporn für uns alle, nach sinn­vol­len Lösun­gen gerade in der Umset­zung zu suchen«, unter­streicht die für die Medi­en­po­li­tik der Län­der zustän­dige Koordinatorin.

Regu­lie­rungs­tiefe von Medien-inter­me­diä­ren wei­ter umstritten

Die Regu­lie­rung von Medi­en­in­ter­me­diä­ren ist in Bezug auf die Tiefe und die Art der Regu­lie­rung unter den Län­dern wei­ter umstrit­ten. Vor allem ist man sich nach den Erfah­run­gen mit dem neuen EU-Urhe­ber­recht des schma­len Grads zwi­schen der Siche­rung der Mei­nungs­viel­falt und der Ein­schrän­kung der Mei­nungs- und Infor­ma­ti­ons­frei­heit bewusst. Den Vor­wurf, Zen­sur aus­zu­üben, wol­len die Län­der um jeden Preis ver­mei­den. So sind auch keine Upload­fil­ter geplant.

Nach Auf­fas­sung von Wolf­gang Schulz, Direk­tor des Leib­niz-Insti­tuts für Medi­en­for­schun­g/Hans-Bre­dow-Insti­tut (HBI) sei die­ses Unterfangen
»…ziem­lich ein­ma­lig. Ich kenne kein Land der Welt, das es unter­nimmt, poten­zi­elle Mei­nungs­macht von Inter­me­diä­ren in die Medi­en­re­gu­lie­rung ein­zu­be­zie­hen«. Der Ent­wurf ent­hält z. B. grund­le­gende Trans­pa­renz­vor­ga­ben und eine Dis­kri­mi­nie­rungs­vor­schrift für beson­ders markt­mäch­tige Medienintermediäre.

Im Medi­en­staats­ver­trag sol­len – auch das ist neu – »Tele­me­dien mit jour­na­lis­tisch-redak­tio­nell gestal­te­ten Ange­bo­ten, in denen Inhalte peri­odi­scher Druckerzeug­nisse wie­der­ge­ge­ben wer­den« in den Schutz­be­reich auf­ge­nom­men wer­den. Die bis­her vor­ge­se­hene Beschrän­kung auf Rund­funk und rund­funk­ähn­li­che Tele­me­dien ist damit besei­tigt. »Indem die Rege­lung der Medi­en­platt­for­men und Benut­zer­ober­flä­chen nun auch die digi­tale Presse schützt, voll­zieht sie eine Anglei­chung an den Schutz gegen­über Medi­en­in­ter­me­diä­ren, der bereits seit dem ers­ten Dis­kus­si­ons­ent­wurf alle ›journalistisch-redaktionelle[n] Ange­bote Drit­ter‹ und so die Gesamt­heit digi­ta­ler Medien umfasst«, bewer­ten Bun­des­ver­band Deut­scher Zei­tungs­ver­le­ger e.V. (BDZV) und Ver­band Deut­scher Zeit­schrif­ten­ver­le­ger e.V. (VDZ) in einer Stel­lung­nahme gegen­über medienpolitik.net die Veränderungen.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 10/2019.

Von |2019-11-26T16:06:11+01:00September 24th, 2019|Medien, Meinungsfreiheit|Kommentare deaktiviert für

Ein Höchst­maß an Medienvielfalt

 Viel­falts­ori­en­tierte Medi­en­ord­nung soll über das rein markt­wirt­schaft­li­che Den­ken hinausgehen

Helmut Hartung ist Chefredakteur des Blogs medienpolitik.net.