Kul­tur vor Ort

Stadt­teil­kul­tur und deren Bedeu­tung für die kul­tu­relle Teilhabe

Stel­len Sie sich eine Stadt vor, in der jeder Mensch unab­hän­gig von Ein­kom­men, Her­kunft oder Lebens­al­ter Kunst erle­ben, Musik machen und Thea­ter spie­len kann. Wo Kul­tur nicht exklu­siv ist, son­dern direkt im Stadt­teil für alle zugäng­lich bleibt. Die­ser Uto­pie kommt in Ham­burg die Wirk­lich­keit sehr nahe – dank der Stadtteilkultur.

Die Ham­bur­ger Stadt­teil­kul­tur bie­tet zahl­rei­che erfolg­rei­che Pro­jekte, die kul­tu­relle Teil­habe ermög­li­chen. Ihre Erfolgs­fak­to­ren lie­gen in ihrer loka­len Ver­an­ke­rung, ihrer Offen­heit für alle Men­schen sowie der akti­ven Betei­li­gung der Bevöl­ke­rung. Stadt­teil­kul­tur rich­tet sich an alle – unab­hän­gig von Her­kunft, Bil­dung oder Ein­kom­men. Die Ange­bote ent­ste­hen direkt in den Stadt­tei­len und wer­den gemein­sam mit den Anwoh­ne­rin­nen ent­wi­ckelt. Men­schen wer­den nicht nur als Zuschau­ende gese­hen, son­dern als aktive Mitwirkende.

Das Pro­jekt „Female* Voices – Was uns zum Leuch­ten bringt“ der Stif­tung Bür­ger­haus Wil­helms­burg bei­spiels­weise bringt Frauen* unter­schied­li­cher kul­tu­rel­ler Hin­ter­gründe zusam­men, die in Work­shops ihre per­sön­li­chen Geschich­ten in Form von Tex­ten, Musik oder Per­for­man­ces krea­tiv zum Aus­druck brin­gen. Durch regel­mä­ßige Tref­fen ent­steht ein unter­stüt­zen­des Netz­werk, in dem sie Erfah­run­gen aus­tau­schen und gemein­sam eine beein­dru­ckende öffent­li­che Prä­sen­ta­tion vor­be­rei­ten. „Female* Voices“ gibt Frauen* Raum, sich selbst und ihre Geschich­ten sicht­bar zu machen – und stärkt so nicht nur die Ein­zel­nen, son­dern auch die Gemein­schaft und den inter­kul­tu­rel­len Dia­log im Stadtteil.

Wie klingt Was­ser? Wel­che Farbe hat eine Welle? Und wie fühlt sich ein Fluss aus Papier an? In dem krea­ti­ven Pro­jekt „Was­ser Kunst“ des KIKU Kin­der­kul­tur­hau­ses schaf­fen Kin­der und Jugend­li­che aus nach­hal­ti­gen Mate­ria­lien über­große Fan­ta­sie­we­sen, die zugleich den tech­ni­schen Anfor­de­run­gen ent­spre­chen und schwimm­fä­hig sein müs­sen, gestal­ten flie­ßende Bil­der oder erfin­den eigene Geschich­ten rund um das Ele­ment, das unser Leben bestimmt. Die Kin­der und Jugend­li­chen sind an jedem Schritt des Pro­jekt­pro­zes­ses betei­ligt, zei­gen ihre Werke bei der gro­ßen Pro­zes­sion durch den Stadt­teil und bewei­sen beson­de­ren Mut, wenn sie am Ende bei der Ver­nis­sage die Skulp­tu­ren zu Was­ser las­sen und die schwim­men­den Objekte teil­weise selbst besteigen.

„Unan­tast­bar. Grund­rechte – Greif zu!“ der Zinn­schmelze moti­viert Men­schen jeden Alters im Stadt­teil, sich aktiv mit den Grund­rech­ten aus­ein­an­der­zu­set­zen, indem sie an inter­ak­ti­ven For­ma­ten wie sze­ni­schen Lesun­gen, Per­for­man­ces und krea­ti­ven Work­shops teil­neh­men. Was bedeu­tet z. B. Mei­nungs­frei­heit, wenn sie auf ein­mal nicht mehr selbst­ver­ständ­lich ist? Mal laut und pro­vo­kant, mal leise und nach­denk­lich zei­gen die Teil­neh­men­den in Per­for­man­ces oder Aus­stel­lun­gen, warum unsere Grund­rechte geschützt wer­den müs­sen – und was pas­siert, wenn sie ins Wan­ken gera­ten. In Zei­ten, in denen die abso­lute Gel­tung von Grund­rech­ten nicht mehr selbst­ver­ständ­lich für alle zu sein scheint, zeigt das Pro­jekt die beson­dere poli­ti­sche und kul­tu­relle Rele­vanz von Stadt­teil­kul­tur für die offene Gesell­schaft und bin­det gleich­zei­tig unter­schied­lichste Koope­ra­ti­ons­part­ner in ver­schie­de­nen Stadt­tei­len ein.

Die Ham­bur­ger „Hip­Hop Aca­demy“ der Stif­tung Kul­tur­pa­last Ham­burg ist ein pul­sie­ren­der Treff­punkt für junge Talente aus der gan­zen Stadt, unab­hän­gig von Her­kunft oder sozia­lem Hin­ter­grund. Hier wer­den Beats pro­du­ziert, Texte geschrie­ben, Break­dance-Moves per­fek­tio­niert und Graf­fiti gesprüht – immer mit der eige­nen Stimme und Geschichte im Mit­tel­punkt. Erfah­rene Coa­ches aus der Hip-Hop-Szene beglei­ten die Jugend­li­chen dabei, sich künst­le­risch aus­zu­drü­cken und eine Bühne für ihre Ideen zu fin­den. So wird Hip-Hop nicht nur als Kunst­form gefei­ert, son­dern auch als Mit­tel zur Selbst­er­mäch­ti­gung und gesell­schaft­li­chen Teil­habe genutzt.

Eine leben­dige Demo­kra­tie braucht kul­tu­relle Teil­habe, weil sie Mei­nungs­viel­falt, gesell­schaft­li­chen Aus­tausch, kri­ti­sches Den­ken und poli­ti­sche Mün­dig­keit unter­stützt. Durch den Zugang zu Kunst und Kul­tur wer­den soziale Inte­gra­tion geför­dert und demo­kra­ti­sche Werte gestärkt.

Damit die Sozio­kul­tur wei­ter­hin kul­tu­relle Teil­habe garan­tie­ren kann, braucht es eine nach­hal­tige Finan­zie­rung, um lang­fris­tige Pro­jekte und Pla­nungs­si­cher­heit zu ermög­li­chen, eine stär­kere Ver­net­zung mit öffent­li­chen Ein­rich­tun­gen, um Syn­er­gien zu schaf­fen, eine höhere Wert­schät­zung sozio­kul­tu­rel­ler Arbeit und die faire Bezah­lung ihrer Prot­ago­nis­ten und Prot­ago­nis­tin­nen. Auch dies formt sich in Ham­burg gerade zur Realität.

Wenn kul­tu­relle Teil­habe gelin­gen soll, reicht es nicht, Ein­tritts­preise zu sen­ken oder neue Ziel­grup­pen in bestehende Struk­tu­ren zu inte­grie­ren. Es braucht einen ech­ten Per­spek­tiv­wech­sel – hin zu einer Kul­tur, die vor Ort ent­steht, Men­schen ein­bin­det, ihre Viel­falt abbil­det und die kul­tur­po­li­tisch wie finan­zi­ell auf Augen­höhe mit den eta­blier­ten Ein­rich­tun­gen aner­kannt wird. Die Ham­bur­ger Stadt­teil­kul­tur zeigt, dass dies mög­lich ist und wel­che bedeu­tende Rolle sozio­kul­tu­relle Arbeit bei der Sta­bi­li­sie­rung unsere Demo­kra­tie spie­len kann.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 3/2025.

Von |2025-04-24T17:21:52+02:00April 24th, 2025|Bürgerschaftliches Engagement, Heimat, Kulturelle Vielfalt, Teilhabe|Kommentare deaktiviert für

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Stadt­teil­kul­tur und deren Bedeu­tung für die kul­tu­relle Teilhabe

Corinne Eichner ist Geschäftsführerin von STADTKULTUR HAMBURG, dem Dachverband für lokale Kultur und kulturelle Bildung.