Ein UFO im Schwimmbad

Sozio­kul­tu­relle Ver­eine auf dem Land stär­ken das Mit­ein­an­der und die Demokratie

In Hänigsen ist ein UFO gelan­det. Im Frei­bad. Direkt auf der Sport­wiese. Geht man nah an das UFO heran, dann stellt man fest: Es ist ein Bau­wa­gen. UFO steht mit gro­ßen Buch­sta­ben auf einem Trans­pa­rent am Wagen und meint: Unser-Freund­schafts-Ort. Der sozio­kul­tu­relle Ver­ein „Kunst­spi­rale“ hat das UFO im Frei­bad von Hänigsen, etwa 30 Kilo­me­ter nörd­lich von Han­no­ver, lan­den las­sen und es für die Men­schen im Frei­bad geöff­net. Gespen­det wurde der Wagen von der Land­ju­gend, die ihn gebaut hat, damit darin Akti­vi­tä­ten und Gemein­schaf­ten ent­ste­hen kön­nen. Jede und jeder kann sich über die Ange­bote des Ver­eins infor­mie­ren, kann im Bau­wa­gen Pro­jekte gestal­ten wie z. B. Auf­nah­men in einem Pod­cast-Stu­dio, gemein­sa­mes Musi­zie­ren oder Malen und sich aktiv mit Ideen, Know­how und eige­nen Wün­schen für zukünf­tige Ange­bote ein­brin­gen. Auch Flo­rian Gahre, der Bür­ger­meis­ter von Hänigsen, hat bei der Eröff­nung die Gele­gen­heit genutzt, sich inten­siv mit den neuen Nut­ze­rin­nen und Nut­zern über Visio­nen, Pläne und Pro­jekte des Dorf­le­bens auszutauschen.

Der Ver­ein „Kunst­spi­rale“ ist eins von 118 Mit­glie­dern im Lan­des­ver­band Sozio­kul­tur Nie­der­sach­sen. Etwa die Hälfte der Mit­glieds­ver­eine des Lan­des­ver­bands haben ihren Sitz im länd­li­chen Raum. Sie bele­ben mit ihren Ver­an­stal­tun­gen und Betei­li­gungs­an­ge­bo­ten ver­las­sene Scheu­nen, Kapel­len, Geschäfte, Werk­stät­ten, Müh­len etc. und neh­men damit einen wich­ti­gen gesell­schaft­li­chen Auf­trag wahr: Sie vita­li­sie­ren den länd­li­chen Raum.

Tra­di­tio­nelle Begeg­nungs­räume wie Knei­pen oder Gast­stät­ten mit Kegel­bah­nen, aber auch Orte des täg­li­chen Bedarfs wie die Post oder der Bäcker sind vie­ler­orts weg­ge­bro­chen. Das hat fatale Fol­gen für das soziale Mit­ein­an­der. Es führt nicht nur dazu, dass Men­schen weg­zie­hen, son­dern auch zur Ver­ein­sa­mung der Men­schen. Ein­sam­keit ist ein zen­tra­les gesell­schaft­li­ches Pro­blem. Laut einer aktu­el­len Stu­die der Bun­des­re­gie­rung fühlt sich fast jede dritte Per­son in Deutsch­land ein­sam. Sozio­kul­tu­relle Initia­ti­ven wir­ken mit ihren Pro­jek­ten der Ein­sam­keit ent­ge­gen. Mit teil­ha­be­ori­en­tier­ten Ange­bo­ten initi­ie­ren sie gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment und schaf­fen Orte der Begegnungen.

Auch die KULTURSTATION Bad Beven­sen leis­tet seit vie­len Jah­ren mit ihren sozio­kul­tu­rel­len Pro­jek­ten einen wich­ti­gen gesell­schafts­po­li­ti­schen Bei­trag im länd­li­chen Raum. Ende der 1980er Jahre auf einem Bio-Bau­ern­hof gegrün­det, stand die Ver­bin­dung von Kunst und nach­hal­ti­ger Lebens­weise von Anfang an auf der Agenda des Ver­eins. Kul­tur­schaf­fende und Ver­eins­mit­glie­der aus unter­schied­li­chen Kon­tex­ten knüp­fen Koope­ra­tio­nen mit Dorf­ge­mein­schaf­ten, Schüt­zen­ver­ei­nen oder Trä­gern der Jugend­ar­beit. Zusam­men schaf­fen sie künst­le­ri­sche Inter­ven­tio­nen in der Land­schaft und in Dör­fern. Der Weg ist dabei immer auch das Ziel und kunst­vol­les Spiel. Bei­läu­fig kann so erör­tert wer­den, was sonst nicht leicht zur Spra­che kommt. „Wir über­le­gen, wie wir wie­der sess­haft wer­den kön­nen, damit wir gute Ver­bin­dun­gen nach­hal­tig pfle­gen und ent­wi­ckeln kön­nen“, resü­miert Ver­eins­vor­sit­zende Katja Schae­fer-Andrae. „Wir brau­chen einen siche­ren Ort zum Tref­fen, Pla­nen, Fei­ern und immer wie­der Los­ge­hen.“ Dabei wir­ken sich die Ent­wick­lun­gen in der Region auch auf die tem­po­rä­ren Pro­jekte aus. Zur Sorge trägt seit eini­gen Jah­ren bei, dass völ­kisch-natio­nale Gemein­schaf­ten auf­ge­ge­bene Höfe erwer­ben und der Zuzug das Zusam­men­le­ben in den Dör­fern belastet.

Die pro­gram­ma­ti­schen Aus­rich­tun­gen sozio­kul­tu­rel­ler Orte sind geprägt von den Men­schen, die sich in den Ver­ei­nen enga­gie­ren. Sozio­kul­tu­relle Ver­eine auf dem Land stif­ten Gemein­sinn mit ihrem – meist ehren­amt­li­chen – Enga­ge­ment und schaf­fen hand­feste, prag­ma­ti­sche Struk­tu­ren, um aktu­elle Her­aus­for­de­run­gen in ver­schie­de­nen Berei­chen der Gesell­schaft anzugehen.

Karu Grun­wald-Delitz, einer der fünf Kul­tur­be­ra­te­rin­nen und Kul­tur­be­ra­ter des Lan­des­ver­bands, fasst es so zusam­men: „Gerade durch so viel ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment und die lokale Nähe ent­ste­hen hier oft her­zige Atmo­sphä­ren, ein war­mes Mit­ein­an­der. Es sind vor allem Orte der Begeg­nung und des Aus­tau­sches im länd­li­chen Raum, wo man gern hin­geht und sich trifft.“ Andrea Hingst, eben­falls Kul­tur­be­ra­te­rin des Lan­des­ver­bands und selbst auch Kul­tur­schaf­fende im länd­li­chen Raum, ergänzt: „Die Wege ins Rat­haus sind kurz und der Kon­takt zu Bür­ger­meis­te­rin­nen und Bür­ger­meis­tern gestalt­bar und häu­fig per­sön­lich. Bünd­nisse wer­den the­men­be­zo­gen ein­ge­gan­gen und es kreu­zen sich Wege von Men­schen mit sehr ver­schie­de­nen Ausbildungshintergründen.“

Immer mehr Initia­ti­ven haben es sich zur Auf­gabe gemacht, kul­tu­relle, soziale und eben auch demo­kra­tie­stär­kende Räume zu schaf­fen. Das geht nicht zuletzt aus der Viel­zahl der Pro­jekt-, aber auch Struk­tur­för­der­an­träge her­vor, die an den Lan­des­ver­band Sozio­kul­tur Nie­der­sach­sen gestellt wer­den. Für die Bewäl­ti­gung der selbst­ge­stell­ten und gesell­schafts­re­le­van­ten Auf­ga­ben braucht es Kon­ti­nui­tät. Anders als in den Groß­städ­ten gibt es jedoch nur sehr geringe bis keine kom­mu­nale För­de­rung. Der Lan­des­ver­band Sozio­kul­tur Nie­der­sach­sen för­dert sozio­kul­tu­relle Ver­eine auf dem Land mit einer Struk­tur­för­de­rung und sorgt mit Arbeits­krei­sen und Fort­bil­dungs­an­ge­bo­ten für Aus­tausch zwi­schen den Kul­tur­schaf­fen­den. Mit der Struk­tur­för­de­rung kann die Basis­fi­nan­zie­rung für in der Regel drei Jahre ein wenig siche­rer gestal­tet wer­den, so dass die Lei­den­schaft zum Gestal­ten einer lebens­wer­ten, demo­kra­ti­schen Gemein­schaft nicht aus­ge­bremst, son­dern geför­dert wird.

Sozio­kul­tu­relle Zen­tren sind die per­fek­ten Orte, um das Dorf, die Region oder die Stadt der Zukunft zu ver­han­deln. Sie ver­fü­gen über die Exper­tise für die Grün­dung von neuen Gemein­schaf­ten und sind ele­men­ta­rer Bestand­teil der Inte­gra­tion von Men­schen. Die Methode Sozio­kul­tur ist pra­xis­nah, effi­zi­ent und beweg­lich. Schlag­worte wie Wert­schät­zung, Awa­re­ness, Com­mu­nity Buil­ding und Gemein­wohl­ori­en­tie­rung wer­den hier mit Leben gefüllt.

So wie das UFO in Hänigsen als neuer Begeg­nungs­ort fun­giert, so tra­gen auch die viel­fäl­ti­gen Initia­ti­ven im länd­li­chen Raum dazu bei, das soziale Mit­ein­an­der zu stär­ken und Ein­sam­keit ent­ge­gen­zu­wir­ken – ein leben­di­ges Zei­chen für die Kraft der Soziokultur.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 3/2025.

Von |2025-04-24T17:34:29+02:00April 24th, 2025|Bürgerschaftliches Engagement, Heimat, Kulturelle Vielfalt, Teilhabe|Kommentare deaktiviert für

Ein UFO im Schwimmbad

Sozio­kul­tu­relle Ver­eine auf dem Land stär­ken das Mit­ein­an­der und die Demokratie

Dorit Klüver ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildung beim Landesverband Soziokultur Niedersachsen. Linda Meier ist Referentin für Förderung und Kommunikation beim Landesverband Soziokultur Niedersachsen.