Euro­pa­wahl – Was steht, auch für die Kul­tur­po­li­tik, auf dem Spiel?

Der breite Kon­sens, der in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im Euro­päi­schen Par­la­ment herrschte, ist in Gefahr

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren konnte man recht ent­spannt auf das Ergeb­nis der Wah­len zum Euro­pa­par­la­ment schauen: Sta­bile pro-euro­päi­sche Mehr­hei­ten in der Mitte, erfah­rene oder zumeist enthu­si­as­ti­sche und kon­struk­tive Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker auch im Kul­tur­aus­schuss. Bedeu­tende Pro­gramme wie Hori­zon Europe im For­schungs­be­reich, Eras­mus für grenz­über­schrei­tende Mobi­li­tät für jun­ger Men­schen oder Krea­ti­ves Europa wur­den etwa für die Lauf­zeit 2021 bis 2027 groß­zü­gig auf­ge­stockt, es herrschte Einig­keit dar­über, dass Aus­tausch, Koope­ra­tion und Von­ein­an­der ler­nen Sinn machen, gar not­wen­dig sind, zur Stär­kung und Kon­so­li­die­rung des Stand­orts Europa. Auch the­ma­tisch brachte der Wille zur Zusam­men­ar­beit auch neben dem Haus­halts­ver­fah­ren, ins­be­son­dere mit der Euro­päi­schen Kom­mis­sion, in den wich­ti­gen Poli­tik­be­rei­chen hand­feste posi­tive Resul­tate. Getra­gen wurde diese rela­tive Einig­keit von einer brei­ten Über­ein­stim­mung, wenn auch nicht in jedem Detail, dass man die gesell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen bes­ser gemein­sam anpackt. Die­ser breite Kon­sens steht bei der Euro­pa­wahl am 9. Juni auf dem Spiel. Soll­ten Par­teien der äuße­ren Rän­der in ganz Europa, wie rea­lis­tisch zu erwar­ten, erheb­li­chen Stim­men­zu­wachs errei­chen kön­nen, kann es sowohl im Klei­nen wie auch im Grund­sätz­li­chen zu einer star­ken Belas­tung für den Gesetz­ge­bungs­pro­zess kom­men. Je nach­dem, in wel­che Aus­schüsse diese neuen Mit­glie­der stre­ben, kann von einer stär­ker natio­na­lis­tisch, popu­lis­tisch und pro­tek­tio­nis­tisch aus­ge­rich­te­ten Seh­weise und ent­spre­chen­dem Stimm­ver­hal­ten aus­ge­gan­gen wer­den. Soll­ten sich etwa sol­che Abge­ord­ne­ten mit extrem kon­ser­va­ti­ver oder gar rech­ter Gesin­nung für den Kul­tur­aus­schuss ent­schei­den, könn­ten längst für erreicht oder all­ge­mein­gül­tig erklärte Werte und Ziele wie Inklu­sion, gleich­be­rech­tig­ter Zugang zu Kul­tur oder Kunst­frei­heit in Frage gestellt wer­den. Das gilt natür­lich auch für alle ande­ren Aus­schüsse; aber nament­lich in sol­chen mit Dos­siers mit Sub­si­dia­ri­täts­vor­be­halt ist es recht ein­fach, jeden als zu pro­gres­siv emp­fun­de­nen Vor­stoß zu ver­hin­dern. Es geht dort schließ­lich ganz beson­ders um unsere Werte und unsere euro­päi­sche Lebens­weise. Wer das Andere eher als Bedro­hung denn als Berei­che­rung emp­fin­det, wird sich nicht für Offen­heit und Zusam­men­ar­beit ein­set­zen oder sich gar für mehr natio­na­lis­tisch gepräg­tes Design ein­zel­ner Poli­tik­be­rei­che stark machen. Das wird sich natür­lich unmit­tel­bar in den kom­men­den Ver­hand­lun­gen zum neuen mehr­jäh­ri­gen Finanz­rah­men ab 2028 aus­wir­ken, der sowieso auf­grund der aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen wie etwa dem Krieg in der Ukraine, not­wen­di­gen Inves­ti­tio­nen in Euro­pas Wirt­schaft und Sicher­heit sowie dem Kampf gegen den Kli­ma­wan­del unter Druck steht. Das Euro­päi­sche Par­la­ment als gleich­be­rech­tig­ter Teil der Haus­halts­be­hörde spielt hier eine wich­tige Rolle. Auch die Frage nach der Stel­lung, Siche­rung oder För­de­rung eines unab­hän­gi­gen Jour­na­lis­mus oder danach, wie man mit Ein­fluss­nahme aus bestimm­ten Dritt­län­dern umgeht, könnte anders beant­wor­tet wer­den. Auch ob eine Erwei­te­rung um neue Mit­glied­staa­ten etwa aus dem West­bal­kan oder aber auch die Ukraine von sol­chen Skep­ti­kern unter­stützt, geschweige denn mit vor­an­ge­trie­ben würde, darf bezwei­felt wer­den. Das Argu­ment eines Ver­tei­lungs­kampfs um künf­tige Haus­halts­mit­tel oder auch die Frage, wie eine erwei­te­rungs­fä­hige Euro­päi­sche Union aus­se­hen kann oder sollte, wird lau­ter wer­den, die Dis­kus­sion ist nicht nur in Deutsch­land schon lange im Gang. Wel­ches Sze­na­rio zu Rea­li­tät wird, wird sich ab Juli zei­gen, wenn sich das Par­la­ment konstituiert.

Die­ser Text ist zuerst erschie­nen in Poli­tik & Kul­tur 06/2024.

Von |2024-06-06T15:30:11+02:00Juni 6th, 2024|Grundgesetz|Kommentare deaktiviert für

Euro­pa­wahl – Was steht, auch für die Kul­tur­po­li­tik, auf dem Spiel?

Der breite Kon­sens, der in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im Euro­päi­schen Par­la­ment herrschte, ist in Gefahr

Barbara Gessler ist Head of Unit Creative Europe bei der Europäischen Kommission.