Burak Yıl­maz

Burak Yıl­maz, als Sohn tür­kisch-kur­di­scher Eltern 1987 in Duis­burg gebo­ren, lebt als selbst­stän­di­ger Päd­agoge und Autor in sei­ner Hei­mat­stadt und setzt sich auf viel­fäl­tige Weise gegen Anti­se­mi­tis­mus ein. Bei­spiels­weise berät er den Deut­schen Bun­des­tag zum Thema Anti­se­mi­tis­mus. Sein Buch „Ehren­sa­che. Kämp­fen gegen Juden­hass“ erschien 2021 im Suhr­kamp Ver­lag und the­ma­ti­siert unter ande­rem seine Arbeit als lang­jäh­rige Betreuer eines Jugend­zen­trums und Thea­ter­päd­agoge. Er initi­ierte das Pro­jekt „Junge Mus­lime in Ausch­witz“ und lei­tet die Thea­ter­gruppe „Die Blick­wand­ler“, die nach einer gemein­sa­men Fahrt nach Ausch­witz das Stück „Ben­ja­min und Muham­med“ insze­nierte und damit durch Deutsch­land tourte. Für sein viel­fäl­ti­ges Enga­ge­ment gegen Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus sowie für eine inklu­sive Erin­ne­rungs­kul­tur bekam er im Jahr 2021 von Bun­des­prä­si­dent Frank-Wal­ter Stein­meier das Bun­des­ver­dienst­kreuz ver­lie­hen. Für sei­nen lang­jäh­ri­gen Ein­satz gegen Dis­kri­mi­nie­rung und Aus­gren­zung wurde er im Jahr 2022 außer­dem mit dem Julius Hirsch Preis vom Deut­schen Fuß­ball-Bund ausgezeichnet.

Warum ist es aus Ihrer Per­spek­tive wich­tig die poli­ti­sche Jugend- und Bil­dungs­ar­beit in Deutsch­land wei­ter aus­zu­bauen? Was ist dafür not­wen­dig und was wün­schen Sie sich für die Zukunft?

Jugend­li­che müs­sen Selbst­wirk­sam­keit spü­ren. Die Poli­tik muss ihnen diese Ange­bote machen und ihnen ermög­li­chen, an demo­kra­ti­schen Pro­zes­sen teil­zu­neh­men. Wäh­rend Rechts­extreme und Isla­mis­ten volle Lei­den­schaft zei­gen, um Jugend­li­che zu errei­chen, fehlt diese Lei­den­schaft in der deut­schen Politik.

Wir haben diese Gruppe in der Pan­de­mie völ­lig ver­ges­sen, für sie wurde keine Poli­tik gemacht. Ich kenne Jugend­li­che, die waren wäh­rend der Pan­de­mie 6-8 Stun­den am Tag bei Tik­Tok oder vor der Play­sta­tion. Natür­lich hin­ter­lässt das Schä­den. Man fühlt sich ein­sam, ver­las­sen, iso­liert. Obwohl gerade in jun­gen Jah­ren das Leben am meis­ten Spaß macht und man viele andere Men­schen und Orte ken­nen­ler­nen sollte. Aber wenn die Struk­tu­ren dafür feh­len, dann hat man das Gefühl, nichts bewe­gen und ver­än­dern zu kön­nen. Wenn sie aber mer­ken: „Wow, ich kann echt etwas ver­än­dern!“, dann gehen sie rich­tig rein und fin­den eine Lebens­auf­gabe. Wir müs­sen in Deutsch­land Jugend­li­che viel mehr ernst neh­men, ihnen viel mehr zuhö­ren, ihre For­de­run­gen umset­zen. Wer an der Stelle spart, han­delt ein­fach nur fahrlässig.

Sie arbei­ten unter ande­rem mit dem Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung Dr. Felix Klein zusam­men. Zuletzt wird Ihre öffent­li­che Kri­tik an der Debatte über Anti­se­mi­tis­mus, Erin­ne­rungs­kul­tur und Ras­sis­mus in Deutsch­land lau­ter – woran neh­men Sie kon­kret Anstoß?

Erin­ne­rungs­kul­tur in Deutsch­land ist ein Selbst­ge­spräch der deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft. Es ist mir alles zu har­mo­nisch und läuft nach dem sel­ben Schema ab. Heiße Eisen wer­den ver­mie­den. Wenn die deut­sche Mehr­heits­ge­sell­schaft den Ton angibt, wieso setzt sie dann nicht an ihren eige­nen Gefühls­erb­schaf­ten an? Wieso reden sie nicht dar­über, wie es ist, in einer Fami­lie auf­zu­wach­sen, in der geschwie­gen wird?

Warum spricht nie­mand über die­ses Schwei­gen? Statt­des­sen zeigt man mit dem Fin­ger auf andere und sagt: Mus­lime sind das Pro­blem. Das macht mich sauer. Es ist nicht authen­tisch. Es ist Ver­drän­gung und Ablen­kung. Wir brau­chen eine neue Debat­ten- und Streitkultur.

Aber wer in sei­ner Fami­lie das Schwei­gen gelernt hat und es auch nicht gelernt hat zu strei­ten, von dem kann ich nicht viel erwarten.

Sie haben das Pro­jekt „Junge Mus­lime in Ausch­witz“ durch­ge­führt. Auch in ande­ren Berei­chen Ihrer Arbeit fällt auf, dass Sie immer wie­der auf bio­gra­phi­sches bzw. anek­do­ti­sches Erzäh­len und Fra­gen zurück­grei­fen. Was bezwe­cken Sie damit?

Mir ist der per­sön­li­che Zugang zu The­men wie Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus wich­tig. Ich hatte immer einen emo­tio­na­len Zugang zu die­sem Thema. Als ich in der 5. Klasse den Film „Schind­lers Liste“ sah, bin ich panisch nach Hause gerannt und habe von die­sem Film erzählt. Ich wollte, dass wir unsere Kof­fer packen und hier abhauen, weil ich Angst hatte, dass sich die Geschichte in die­sem Land wie­der­ho­len wird. Die­ser Film hat mein Sicher­heits­emp­fin­den als Kind erschüt­tert und gleich­zei­tig habe ich so vie­les verstanden.

Wir hat­ten einen alten deut­schen Opa im Innen­hof, der uns immer ras­sis­tisch beschimpfte beim Fuß­ball­spie­len, der uns sogar drohte, uns in die Kam­mer zu ste­cken. Als Kin­der haben wir ihn immer aus­ge­lacht und nie ernst genom­men, aber nach dem Film „Schind­lers Liste“ habe ich ver­stan­den, was er mit Kam­mer meint. Die­sen alten deut­schen Opa habe ich als Kind mit den Nazis im Film ver­gli­chen, nach dem Motto: Der war frü­her bestimmt auch so einer. Neben der Unsi­cher­heit, der Angst und dem Miss­trauen war aber auch eine ganz andere Seite da: unglaub­lich viel Neu­gier, ein Ver­lan­gen nach mehr Wis­sen. Ich wollte ein­fach ver­ste­hen, wieso die­ses Land so ist wie es ist und was das alles mit mir und mei­nem Leben zu tun hat.

Meine per­sön­li­chen Erfah­run­gen hat­ten einen direk­ten Bezug zur NS-Zeit. Mit allen mög­li­chen Gefüh­len. Ich finde Fak­ten und Zah­len auch wich­tig, aber nichts hat mich mehr geprägt als diese Erfah­run­gen im Leben.

Anti­se­mi­tis­mus hat viel­fäl­tige Erschei­nungs­for­men in allen gesell­schaft­li­chen Milieus. Ein Schwer­punkt Ihrer Arbeit liegt auf der Auf­klä­rungs­ar­beit über Anti­se­mi­tis­mus inner­halb der mus­li­mi­schen Com­mu­nity und dar­über hin­aus. Wie wirkt sich der Anschlag der Hamas vom 7. Okto­ber 2023 auf Ihre Arbeit aus? Was hat sich verändert?

Es hat sich alles ver­än­dert. Es fin­det so viel hem­mungs­lose Gewalt statt. Auch inner­halb mei­ner Com­mu­nity. Es ist so viel Druck und Bekennt­nis­zwang da wie noch nie. Mus­li­mi­sche Iden­ti­tät wird daran gekop­pelt, ob man pro paläs­ti­nen­sisch ist oder nicht. Gleich­zei­tig wird deut­sche Iden­ti­tät daran gekop­pelt, ob man pro israe­lisch ist oder nicht. Es geht nur noch um Posi­tio­nie­rung und Ausgrenzung.

Es fin­det ein kras­ses Lager­den­ken statt und die Räume der Refle­xion und des Aus­tau­sches wer­den immer weni­ger und klei­ner. Ich habe letz­tes Jahr ein Thea­ter­pro­jekt mit jüdi­schen und mus­li­mi­schen Jugend­li­chen durch­ge­führt. Das scheint mir wie eine Begeg­nung aus einer ande­ren Zeit zu sein, als würde das 50 Jahre zurück­lie­gen. Das macht mir rie­sige Angst, weil kein selbst­kri­ti­scher und kri­ti­scher Dis­kurs statt­fin­det. Es herrscht so eine Stim­mung nach dem Motto: Der, der die Schlä­ge­rei gewinnt, der hat Recht. Alle rüs­ten auf und zei­gen nur noch Härte. Da muss man echt auf­pas­sen, dass man seine Empa­thie und Mensch­lich­keit nicht verliert.

Die 15 The­sen der Initia­tive kul­tu­relle Inte­gra­tion tra­gen den Titel „Zusam­men­halt in Viel­falt“. Was bedeu­tet für Sie „Zusam­men­halt in Viel­falt“ und wel­che der 15 The­sen ist Ihre „Lieb­lings­these“?

Ich muss Ihnen ehr­lich sagen, dass ich aktu­ell nicht weiß, wie Zusam­men­halt in Viel­falt aus­se­hen soll. Ich erlebe gerade, dass sich viele Com­mu­ni­ties zurück­zie­hen, sich in Deutsch­land nicht sicher füh­len, über­le­gen aus­zu­wan­dern. Auch ich ziehe mich zurück und habe gerade viel Miss­trauen, um mich selbst zu schüt­zen. Ich über­lege mir zwei Mal, mit wem ich meine Zeit ver­brin­gen will und mit wem nicht. Ich erlebe gerade kei­nen Zusam­men­halt, son­dern Pola­ri­sie­rung, Iso­la­tion und Aus- sowie Abgren­zung. Viele Com­mu­ni­ties sind gerade eher im Über­le­bens­mo­dus und wer­den immer noch nicht verstanden.

Ihnen wird immer­noch zu wenig zuge­hört. Ich mache mir gerade kaum Gedan­ken über Zusam­men­halt, son­dern frage mich mit mei­nen Freun­din­nen und Freun­den eher, wie wir alles über­le­ben kön­nen und wohin wir gehen, wenn alles nur noch schlim­mer wird.

Vie­len Dank!

Von |2024-06-10T12:15:38+02:00Juni 1st, 2024|Menschen|Kommentare deaktiviert für Burak Yıl­maz